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«Nach der Tournee kaufe ich mir ein Senioren-GA!»

Bevor Endo Anaconda in Rente geht und Stiller Has in Pension schickt, gibt er sich auf seinem neuen Album «Pfadfinder» noch einmal alles andere als kleinlaut und geht mit seiner Band auf Abschiedstournee. Im Interview verrät er, weshalb er sich als Klima-Opa sieht und er Alkohol und Drogen entsagt.

Sind Sie ein Pfadfinder oder suchen Sie noch?
Sucht man nicht sein Leben lang den richtigen Pfad? Leider war ich nie bei den Pfadfindern. Stattdessen musste ich Mitglied der Katholischen Jugend Österreichs werden, der KÖJ. Aus Protest und um meine Mutter zu ärgern, trat ich danach der KJÖ bei, der Kommunistischen Jugend Österreichs …

Was haben Sie bei der KJÖ gemacht?
Marschieren mussten wir bei der KJÖ genauso wie bei der KÖJ. Es hat aber lange gedauert, bis ich erkannte, dass auch der Kommunismus nur eine Art Religion ist.

Was inspirierte Sie zum Titelsong des neuen Albums?
Es ist die Klimajugend-Bewegung, die sich intensiver als viele Politiker mit den Fragen auseinandersetzt, die gelöst werden müssen, wenn wir auf diesem Planeten eine Zukunft haben wollen.

Was würden Sie vorschlagen?
Diese jungen Leute haben die besseren Ideen als ich. Meine Generation ist anderen Wertvorstellungen verhaftet. Eigentum spielt dabei eine grosse Rolle, auch Statussymbole. Sicher sollten wir der Forderung der Klimajugend nachkommen, bei den Entscheidungen die Wissenschaft mehr zu berücksichtigen. Ich warne davor, die Probleme zu ignorieren und die Jugendlichen zu infantilisieren. Sonst könnten wir eines Tages vor unseren Kindern für unser Handeln zur Verantwortung gezogen werden.

Sehen Sie sich als musikalische Speerspitze der Klimajugend?
Ich bin vielleicht ein Klima-Onkel oder ein Klima-Opa! (lacht) Auf jeden Fall bin ich auf ihrer Seite.

Sie haben abgenommen und sehen jünger aus als bei «Endosaurusrex». Fühlen Sie sich auch besser?
Ich hatte in der Zwischenzeit mit akuten gesundheitlichen Problemen zu kämpfen: Ich musste mir einen Nebennieren-Tumor entfernen lassen und laborierte lange an einer gebrochenen Kniescheibe. Aus medizinischen und persönlichen Gründen beschloss ich danach, das Trinken aufzugeben und keine Drogen mehr zu nehmen. Deshalb geht es mir viel besser.

Hatten Sie Alkohol und Drogen mehr aus Lust oder aus Frust konsumiert?
Beides. Wegen einer Traumatisierung habe ich schon seit meiner Kindheit depressive Phasen. Den Gebrauch von Drogen möchte ich nicht bagatellisieren, aber waren sie nicht die bessere Option, als sechzig Jahre lang Antidepressiva zu schlucken?

Wie gehen Sie heute mit Ihren Depressionen um?
Wenn mich die schwarzen Löcher gelegentlich noch aufsuchen, bleibe ich viel gelassener, weil ich weiss: Nach zwei, drei Tagen sind sie vorbei. Dann ist Musik die beste Medizin. Der Alkohol fehlt mir nicht. Ich kann auch gut anderen beim Trinken zuschauen. Ich muss jedoch ganz auf ihn verzichten, sonst wäre ich schnell wieder bei einer Flasche Whisky oder Gin.

Hat Ihr gesünderer Lebensstil auch mit Ihrer Partnerin zu tun, einer Marathon-Läuferin?
Sonja hat mich nicht dazu gedrängt. Es war mein Wunsch, sie mit meinem Gewicht nicht zu erdrücken! (lacht)

Sie sind zu ihr in den Aargau gezogen. Hat Ihnen auch die Luftveränderung gutgetan?
Die meiste Zeit verbringe ich nach wie vor im Emmental. In Erlinsbach, wo meine Freundin wohnt, bin ich nur, um sie auch unter der Woche sehen zu können. Von mir aus wäre ihr Arbeitsweg nach Aarau zu lange.

Stimuliert das Nomadisieren Ihre Kreativität?
Ich brauche es offenbar einfach. Ich konnte noch nie nur an einem Ort leben. Mir wird es immer schnell zu eng und dann bekomme ich Beklemmungen. Meinetwegen könnte ich im Hotel wohnen. Das Emmental ist auch nur eine Idee von Heimat. Eine Landschaft, wo ich mich wohlfühle – meine Seelenlandschaft. Ausserdem liegen meine Grosseltern hier begraben.

Fehlt Ihnen Bern nicht?
Nein, ich ziehe das Emmental vor. In Bern kennt mich jeder und die Versuchungen, in alte Muster zurückzufallen, sind ungleich grösser. Geht man in den Ausgang, hält man das nüchtern nicht aus. Geht man an eine Party, muss man etwas einwerfen, um sie durchzustehen. In Bern habe ich immer Kontakt gesucht, weil ich mich einsam fühlte. Im Emmental bin ich viel allein, trotzdem fühle ich mich nicht einsam. Im Gegenteil – ich geniesse die Ruhe. Wenn ich mal eine Ausstellung, ein Konzert oder meine Kinder besuchen will, bin ich schnell in Bern. Ich habe mich zum Naturburschen gewandelt. Beinahe, denn ich bin ein Naturbursche, der fast ununterbrochen im Auto sitzt…

Haben Sie wenigstens schon auf ein Elektroauto umgesattelt?
Nein, statt zwei Autos habe ich jedoch nur noch ein halbes, weil ich mir mit meiner Freundin eines teile. Und nach der Tournee werde ich mir ein Senioren-GA zulegen. Wenn das kein Schritt in die richtige Richtung ist! (lacht)Haben Sie wenigstens schon auf ein Elektroauto umgesattelt? Nein, statt zwei Autos habe ich jedoch nur noch ein halbes, weil ich mir mit meiner Freundin eines teile. Und nach der Tournee werde ich mir ein Senioren-GA zulegen. Wenn das kein Schritt in die richtige Richtung ist! (lacht)

Stimmt es, dass Sie mit «Pfadfinder» auf Abschiedstournee gehen?
So ist es, 2021 ist mit Stiller Has definitiv Schluss. Alle, die mich noch einmal mit Band auf grosser Bühne erleben möchten, haben jetzt die letzte Gelegenheit dazu. Danach will ich drei, vier Jahre nicht mehr auftreten. Oder ich trete ganz ab. Bei meiner Gesundheit weiss man ja nie…Zudem ist die Schweiz als Markt für meine Art von Musik verdammt klein. Wer umgangssprachliche Texte schreibt, sucht sich, um über die Runden zu kommen, besser einen zweiten und einen dritten Job. Ich habe jedenfalls nicht mehr die Kraft, 365 Tage im Jahr buchbar zu sein, um meine Rechnungen bezahlen zu können.

Das tönt etwas verbittert. Fühlen Sie sich zu wenig estimiert?
Ich habe genug davon, mich noch immer rechtfertigen zu müssen, dass ich mir nicht vorstellen konnte, weitere Jahrzehnte mit Balts Nill Musik zu machen oder weiterhin Blues zu spielen. Ich bin ein Mann des Wortes und für mich ist es wichtig, dass man den Text eines Liedes versteht. Musik ist für mich ein Medium. Meine heutigen musikalischen Mitkünstler Roman Wyss, Boris Klecic und Bruno Dietrich haben damit kein Problem.

Wie ist die Sprache eigentlich zu dem Instrument geworden, das Sie so virtuos beherrschen?
In meiner Jugend musste ich mich wehren. Und das konnte ich nur verbal. Diese Sprachbegabung habe ich von der Natur mitbekommen. Inzwischen bin ich auch ein veritabler Sänger geworden. Meine Stimme ist viel schöner als früher. Ausserdem kann ich meine musikalischen Ideen nun so formulieren, dass es meinem Team leichtfällt, sie umzusetzen.

Ihr Vater war Schweizer, Ihre Mutter Österreicherin. Wie wurde zuhause gesprochen?
Mein Vater ist gestorben, als ich vier Jahre alt war. Meine Mutter redete ihren österreichischen Dialekt, doch lange Zeit sprachen wir gar nicht miteinander. Das Verhältnis zu meiner Mutter war gestört. Deshalb bin ich nach meiner Zeit in Klagenfurt und Wien in Bern geblieben und Vater von drei Kinder geworden.

Weshalb haben Sie nach 16 Jahren in Österreich nicht Wienerisch, sondern Berndeutsch als Gesangssprache gewählt?
Berndeutsch klingt einfach am besten. Wobei es ja eigentlich gar nicht Berndeutsch ist – ich singe Mittelländisch. Noch besser gefiele mir Italienisch, das ich aber leider nur rudimentär beherrsche.

Sonst wären Sie Cantautore geworden?
Wenn ich Italiener wäre. Ich habe etwa das gleiche Verhältnis zu Italien wie Ivan Rebroff zu Russland. Ich bin ein Sehnsuchts-Italiener. Doch im Unterschied zu Rebroff wollte ich in Italien nicht einmarschieren, sondern nur einwandern. Vielleicht mache ich das auch noch…

Momentan stehen dort viele Immobilien zum Verkauf. Schwebt Ihnen ein Landgut in der Toskana vor?
Ein Objekt zu mieten, könnte ich mir schon vorstellen. Genug Geld für den Erwerb einer Immobilie hatte ich als Musiker und Vater von drei Kindern nie. Ich bin schon froh, schuldenfrei ins Rentenalter zu kommen! (lacht)

Reinhold Hönle

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