Gespräch Guggisberg Trede

«Natürlich stelle ich mich einem Duell auf dem Rennvelo»

Aline Trede (Grüne) und Lars Guggisberg (SVP) haben mehr Gemeinsamkeiten, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Privat, aber auch politisch.

Aline Trede und Lars Guggisberg, nennen Sie uns Ihr Highlight und Ihren Tiefpunkt 2021!
Aline Trede: Ein Highlight waren sicher die Olympischen Spiele in Tokio mit den diversen Frauenmedaillen. So nahm die Diskussion über die Bedeutung des Frauensports neuen Schwung auf, was mir seit langem ein Anliegen ist. Mein Tiefpunkt: das Nein zum CO2 -Gesetz im Juni. Und die Tatsache, dass wir nicht krisenresistent sind; eine Art Wohlstandverwahrlosung. Wir haben noch andere grosse Probleme zu lösen, wie zum Beispiel die Klimakrise.
Lars Guggisberg: Ich habe mich enorm über den vierten Meistertitel von YB gefreut. Der Tiefpunkt: Ja, Corona, auch bei mir. Es herrschte so viel Zuversicht, dass alles gut kommt, und schliesslich gings doch wieder bergab.

Wir sitzen hier im Bundeshaus, im Zentrum der politischen Macht. Was sagen Sie dazu, wenn Sie Dinge wie «Fake News» und «Demokratur» hören?
Trede: Von einer «Demokratur» sind wir weit entfernt, wir sitzen beide im Parlament und entscheiden mit – gewählt durch die Schweizer Bevölkerung. Der Umgang mit Social Media bereitet mir deutlich mehr Sorgen. Vor der Abstimmung über das Covid-Gesetz habe ich mir wirklich einiges, das auf Facebook an Fake News rumgeisterte, angesehen und dann versucht, neutral aufzuklären, worum es geht. Ich war erschrocken, wie stark etliche Leute an Dinge glauben, die sie irgendwo aufgeschnappt haben, anstatt der Wissenschaft zu vertrauen.

Gerade Ihre Partei, Herr Guggisberg, hat sich mit Kritik an Bundesrat und namentlich am Covid-Gesetz hervorgetan.
Guggisberg: Wir sind uns nicht gewohnt, dass ein kleines Gremium Entscheidungen von grosser Tragweite trifft – und das erst noch innerhalb kurzer Zeit. Das empfanden viele als einschränkend. Ich sehe es ähnlich wie Aline: Wir hatten als Parlament unsere Einflussmöglichkeiten. Das hat gedauert, logisch, doch das gehört zum System. Die Kritik am Bundesrat war aber oft berechtigt: Zahlreiche Massnahmen waren unverhältnismässig, widersprüchlich oder nicht nachvollziehbar. Fake News sind kein Phänomen, das erst durch Corona geboren wurde, sondern die Schattenseiten der sozialen Medien.

Sie hatten also nie Mühe mit Parteikollegen, die erklärten, im Abstimmungstext stehe nur die halbe Wahrheit?
Guggisberg: In den Medien wird die SVP oft als Einheit dargestellt. Wir waren die bösen Gegner. Unsere Nationalratsfraktion hat dem Gesetz allerdings mehrheitlich zugestimmt. Die Vermischung der einschränkenden Massnahmen mit den wirtschaftlichen Unterstützungsmassnahmen in einer Vorlage hat je nach Gewichtung zu unterschiedlichen Meinungen geführt. Aus meiner Sicht existiert wohl kaum ein Thema, bei dem die Meinungen so weit auseinandergegangen sind wie hier. Das dürfte bei anderen Parteien ähnlich sein. Es ist somit etwas einfach zu sagen: Hände weg von der SVP, die fahren eine falsche Linie!

Interessant ist hingegen schon, dass es ausgerechnet die beiden politischen Pole sind, die die meisten Impfkritiker in ihren Reihen wissen.
Trede: Nun, wenn Sie die anthroposophische Ecke meinen: Klar, die gibt es – und diese Personen waren bereits seit jeher impfkritisch. Egal um welche Art von Impfung es sich handelt. Man leugnet das Virus zwar nicht, findet aber, der Körper könne das alleine regeln und hält sich mit seiner Meinung zurück. Eine andere Gruppe wiederum ist der Meinung, das Zertifikat beschneide die Grundrechte. Ich bin da komplett gegenteiliger Meinung: Mir ist es mit dem Zertifikat, das durch den Datenschützer abgenommen wurde, deutlich wohler, als wenn ich bei einem Restaurantbesuch jedes Mal persönliche Daten auf ein Blatt kritzeln muss.

Fakt ist hingegen, dass mit der 2G-Regelung ein wesentlicher Teil der Bevölkerung vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen wird.
Trede: Die Frage ist ja, ob es ein Grundrecht auf einen Restaurantoder Kinobesuch gibt. Ich bin ebenfalls gegen generelles 2G – in einer Pandemie sind solche Punkte allerdings nicht mehr bloss ein rein persönlicher Entscheid. Um ein Beispiel zu nennen: In Winterthur fahren momentan weniger Busse, weil viele wegen Corona in Quarantäne oder erkrankt sind. Übrigens: Ich dachte zunächst auch, mit 2G würde es für die Ungeimpften ein bisschen streng werden.

Aber?
Trede: Manche in meinem Umfeld sagten dann zu mir, dass 2G ihnen bei der Entscheidung geholfen habe, weil sie sich mit ihrer Haltung in eine Sackgasse manövriert hätten. Dabei sei Impfen gar nicht so dramatisch. Wenn sie sich mit dieser Regelung in ihrem Umfeld nicht weiter erklären müssen, erachte ich das als positiven Effekt. Und Beizer, die ich kenne, finden 2G um einiges besser als einen erneuten Lockdown.
Guggisberg: Die Verhältnisse auf dem Land und in der Stadt sind sehr unterschiedlich. Entscheidend ist daher, dass Betriebe mit der unternehmerischen Freiheit selbst entscheiden können, ob sie das Zertifikat anwenden wollen oder nicht. Verschärfen durften Beizer schon immer. Wer in seinem Lokal 2G einführen wollte, konnte das tun.
Trede: Ein einzelner Beizer macht das nie!
Guggisberg: Wieso nicht? Das hätte ein Alleinstellungsmerkmal sein können. Und noch etwas: Zahlreiche Massnahmen sind tatsächlich widersprüchlich. Da führt man 2G ein, andererseits wird im öffentlichen Verkehr gar nie kontrolliert. Ich bin überzeugt, dass es im ÖV zu zahlreichen Ansteckungen kam. Ich bin mehrmals mit dem Zug von Bern nach Zürich gefahren: Da sassen Personengruppen mit Getränken und Esswaren, die die Maske praktisch nie aufgesetzt hatten. Wenn ich dann darüber hinaus erlebe, wie Einreisende aus dem Ausland nie kontrolliert wurden und an der Grenze kaum hingeschaut wird, ist das schon ärgerlich. Solche Situationen führen dazu, dass die Bevölkerung die strengen Massnahmen im Inland teilweise nicht nachvollziehen können.

In Bussen und Trams können Sie keine Beschränkungen einführen, sie gehören zur Grundversorgung eines Staats.
Guggisberg: Ja, bloss: Wer Ansteckungen verhindern will, muss dort ansetzen, wo sie passieren.
Trede: Mich nähme es wirklich wunder, ob deine Aussage stimmt, Lars. In Bussen, wo die Türen immer wieder öffnen, hängen Aerosole weniger stark in der Luft als in einem Restaurant. Und die Lüftung im Zug ist ständig an.

Prominente wie etwa Comedian Hazel Brugger liessen verlauten, sich nur noch mit Ungeimpften zu treffen. Wie ist das bei Ihnen?
Trede: Ich treffe mich mit ihnen, weil gewisse in meinem Bekanntenkreis ungeimpft sind. Aber ich passe natürlich bei ihnen besser auf, gerade jetzt mit Omikron.
Guggisberg: Ich treffe mich nach wie vor mit Ungeimpften, bei manchen weiss ich den Status sowieso nicht. Ein guter Freund von mir ist ungeimpft, da sind wir bei der Begrüssung vorsichtiger als sonst (lacht).

Sie beide stammen aus ideologisch völlig unterschiedlichen Richtungen. Trotzdem tun Sie sich hie und da politisch zusammen. Wie läuft das?
Guggisberg: Zunächst mal: Wir sind nicht dafür gewählt worden, uns als Menschen zu bekämpfen, sondern um einen Wettbewerb an Meinungen und Argumenten auszutragen. Zu Ihrer Frage: Corona soll einen Digitalisierungsschub auslösen. Hierzu habe ich einen Vorstoss eingereicht, den Aline mitunterzeichnet hat. Und wir helfen gemeinsam mit, um die Frauenfussball-EM 2025 in die Schweiz zu holen.
Trede: Zusätzlich setzen wir uns zusammen dafür ein, dass Züge wieder in Leissigen halten sollen. Es hat zwar einen Bahnhof und es stoppen auch Züge da – doch die Türen bleiben zu.

Wenn Sie politisch Gemeinsamkeiten finden, stellt sich natürlich die Frage, wie Sie privat miteinander auskommen.
Guggisberg: Ich unterscheide zwischen einer politischen und einer persönlichen Ebene, das muss sich nicht widersprechen.
Trede: Für mich hat es eher mit dem Charakter zu tun. Mit einigen Politikerinnen und Politikern möchte ich einfach nicht so viel zu tun haben – unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit.

Mit wem zum Beispiel?
Trede: (Lacht) Das ist jetzt weniger wichtig. Ich trinke mit Lars gerne ein Bier, mit anderen weniger.

Wie nehmen Sie den Nationalratsbetrieb insgesamt wahr?
Guggisberg: Insgesamt sehr sachlich. Klar, es entwickeln sich regelmässig emotionale Debatten, wenn es um Asylpolitik geht zum Beispiel oder ums Klima…
Trede: Denk an den Wolf!
Guggisberg: Genau, der Wolf! Da gibt man sich mal auf den Deckel, logisch. Die Medien haben an solchen Geschichten natürlich Freude (lacht).
Trede: Ich nahm in der «Rundschau» kürzlich an einem Streitgespräch mit Albert Rösti von der SVP teil. Der Moderator versuchte dauernd gespielt zu zündeln, obwohl Albert Rösti und ich ähnlich argumentierten. Solche Sticheleien finde ich unnötig, wenn die gesellschaftliche Situation sowieso bereits schwierig ist.

Aline Trede, Hand aufs Herz: Was ist Lars Guggisberg für ein Typ?
Trede: Er will dauernd zum Skispringen, weil er das scheinbar besser kann als ich (lacht). Ich hingegen fordere ihn zu einem Duell beim Velofahren heraus (zeigt auf ihre trainierten Beine).

Sie dürfen gerne antworten.
Guggisberg: Ich bin neu Verwaltungsratspräsident der Sprungschanzen Kandersteg und habe deswegen einen Anlass für Parlamentarierinnen und Parlamentarier organisiert. Leider hat Aline abgesagt (lacht).
Trede: Zum Glück, ich hatte danach ein Spiel mit dem FC Helvetia – drei, die mit euch mitgegangen sind, waren danach verletzt!
Guggisberg: Jetzt übertreibst du! Zwei Frauen hatten leichte Blessuren und konnten am Abend spielen. Apropos: Ich werde Captain des FC Nationalrat und erwarte schon, dass Aline zu uns ins Team kommt. Wenn der Gegner auch aus Frauen besteht, hätten wir natürlich der Fairness halber gerne Frauen in der Mannschaft. Und selbstverständlich stelle ich mich einem Duell auf dem Rennvelo.

Ihre Vorsätze für 2022?
Trede: Ich möchte in mir gerne etwas mehr Ruhe haben. Oder sagen wir: Gelassenheit.
Guggisberg: Ich muss Prioritäten besser setzen. Und ich möchte Leute in meinem Umfeld ins Bewusstsein rufen, wie gut es uns in der Schweiz im Allgemeinen geht.

Yves Schott

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