Jaël ist wieder da. Ihr neues Album heisst «Nothing To Hide». Auch im Interview zeigt sich die Berner Sängerin und Mutter von ihrer intimen und verletzlichen Seite.
Jael, im letzten Bärnerbär-Interview hattest du erzählt, wie dich dein mittlerweile 21 Monate alter Sohn Eliah zu Beginn ganz schön auf Trab gehalten hat. Er schrie häufig in der Nacht.
Gleich nach diesem Gespräch wurde es noch intensiver: Eliah wachte über Monate bis zu 15 Mal in der Nacht auf. Mittlerweile geht es zum Glück deutlich besser. Er brauchte Zeit.
Wer deine Interviews liest, spürt heraus, dass du in dieser Phase wohl an deine physischen und psychischen Grenzen gestossen bist. Littest du an Depressionen?
Es ist so eine Erscheinung unserer Gesellschaft, dass man dann den Stempel «posttraumatische Depression» aufdrücken will. Es kann aber auch einfach alles sehr streng und belastend sein.
Du hast in der «Schweizer Familie» deine Hypersensibilität thematisiert. Generell gibst du viel Intimes preis.
Wer meine Texte hört, erfährt sowieso viel Privates. Grundsätzlich bin ich von oberflächlichen Gesprächen schnell gelangweilt. Wenn ich mir dann bei jeder Frage eines Journalisten überlegen würde, wie viel ich erzählen soll, würde mich das mehr fordern als umgekehrt. Ich merke das sogar in meinem Freundeskreis. Manchmal heisst es: «Oh, das war jetzt aber ziemlich privat!» Und ich denke dann: ach, wirklich? Hochsensitiv zu sein ist doch nichts Peinliches.
Wo ziehst du die Grenzen?
Dort, wo mein Bauch mir sagt, dass es mir unangenehm wird. Es hängt vom Gegenüber ab. Sympathischen Menschen verrate ich logischerweise mehr. Es ist ein sehr subjektives Empfinden.
Da erscheint dein neuer Albumtitel «Nothing To Hide» («Nichts zu verstecken», d. Red.) irgendwie folgerichtig.
Ursprünglich wollte ich den ersten Track «Done with Fake» als Titel nehmen. Doch da gerade so viel von «Fake News» berichtet wird, befürchteten wir, dass mein Album dann mit amerikanischer Politik in Verbindung gebracht wird. (lacht) «Nothing To Hide» ist in der Aussage ähnlich, aber ohne das vorbelastete Wort «Fake» drin.
In «Done with Fake» hast du dich ungeschminkt gezeigt. Welche Botschaft wolltest du damit transportieren?
Das Lied entstand in einer Phase, in der ich ermüdet war von Gesprächen mit Menschen, die sich immer etwas lauter und pseudo-lustiger verhalten als nötig. Ständig ein bestimmtes Bild wahren zu wollen, muss wahnsinnig anstrengend sein.
Nun gehst du solchen Zeitgenossen aus dem Weg?
Ich möchte, so gut es geht, mich sein und mich mit anderen über Themen austauschen, die zählen. «Done with Fake» soll heissen: Ich mag dieses Fassaden-Getue nicht mehr.
Was beschäftigt dich derzeit am meisten?
Ich habe gerade vorhin etwas übers Klima gelesen, und so kam mir nun, als du die Frage stelltest, das grad als Erstes in den Sinn. Aber eine ehrlichere Antwort wäre wohl: Ich bin grundsätzlich immer noch stark auf dem Planeten Mama engagiert. Mich beschäftigt Eliahs Erziehung und wie ich ihm als Hochsensitive gerecht werden kann. Sonst bin ich im Studio am Proben.
Das Album als persönliche Erleichterung?
Ich setze mich nicht mit dem Hintergedanken hin, der Menschheit bestimmte Dinge mitzuteilen. Ich verfasse keine Konzeptalben. Manche Songs auf dieser Platte sind neu, andere schon älter. «Done with Fake» entstand vor rund neun Jahren in London. Als ich das Demo-Tape wieder aus der Schublade hervorgenommen habe, stellte ich fest, dass ich mich ja bereits damals 2010 mit diesem Thema beschäftigt hatte. Mittlerweile weiss ich: Ich bin angekommen.
Konkret?
Ich weiss, wer ich bin, wie ich töne, wie ich aussehe und wie ich mich anziehe. Ob das nun modisch ist oder ob es Musik ist, die nur Teenagern gefällt oder den 50-Jährigen – das ist mir wirklich egal. Wer meine Musik aufnehmen möchte, dem schenke ich sie von Herzen gerne. Alle anderen: Hört etwas anderes! Bloss sollte das, was man tut, immer authentisch sein.
Wie würdest du dich denn jemandem kurz und knapp vorstellen, der dich nicht kennt?
Kurzes Umschreiben gehört weniger zu meinen Stärken. Ich bin jemand, der viel spricht, laut denkt und, wie man merkt, weit ausholt. (lacht) Ich würde dieser Person sagen, sie soll sich etwa drei Stunden mit mir hinsetzen, um einen Einblick zu erhalten.
Du bist soeben 40 geworden. Ist ein zweites Kind weiterhin ein Thema?
Ich weiss es ehrlich gesagt nicht. In manchen Momenten denke ich, dass doch alles stimmt, wie es gerade ist. Vor allem jetzt, wo wir die Tour starten und ich endlich wieder etwas mehr Raum habe für mich und meine Musik. Zu hundert Prozent habe ich mit diesem Thema allerdings noch nicht abgeschlossen. Ich habe ja noch etwas Zeit.
Yves Schott