Die Zahlen belegen es: Vor rund 20 bis 30 Jahren fuhren alle Auto. Heute sind zwar nach wie vor viele Menschen mit dem Auto unterwegs, immer mehr nutzen aber das Velo und den öffentlichen Verkehr.
Die Geschichte des Berner Stadtverkehrs liest sich wie viele andere Verkehrsgeschichten grosser Städte auch. Vor rund 170 Jahren herrschte überall der Langsamverkehr vor. Die Menschen bewegten sich zu Fuss fort, Waren wurden mit Pferdekarren transportiert und nur in Ausnahmefällen nutze man Reittiere oder Kutschen. Mit der Erfindung des Velos, des Autos und deren Siegeszug, begann sich der Verkehr in der Stadt zu verändern. 1910 gab es in Bern 4362 Velos und 165 Motorfahrzeuge. Im Jahr 2000 fuhren auf Berns Strassen 59273 Motorfahrzeuge und Velos.
Diese Entwicklung geht übrigens mit jener des Strassennetzes einher. Belegt ist durch das Berner Amt für Statistik, dass es im Jahr 1852 bereits ein Strassennetz von rund 83 Kilometern Länge gab. Im Laufe der vergangenen 170 Jahre hat sich das Strassennetz logischerweise vergrössert, um dem Verkehrsaufkommen gerecht zu werden. Um die Jahrhundertwende wurden in Bern bereits 181 Strassenkilometer notiert, zur Jahrtausendwende waren es 388.
Trauriger Höhepunkt 1970
Auch die Zahl der Verkehrsunfälle stieg mit der Zunahme des Verkehrs stark an. Die erste Erhebung hierzu stammt aus dem Jahr 1933: Damals gab es 666 Unfälle, 15 mit Todesfolge. Diese Zahl stieg parallel zu jener der Motorfahrzeuge und Velos. In den Jahren von 1950 bis 2007 ereigneten sich jährlich über 1000 Unfälle. Hier bildet das Jahr 1970 mit rund 2700 den traurigen Höhepunkt. Mit fortschreitender Sicherheitstechnik im gesamten Verkehrssektor nahm die Zahl der Unfälle wieder ab. Seit 2007 hat sich diese stetig verringert und pendelte sich mit leichten Schwankungen bei rund 700 Unfällen pro Jahr ein. 2019 waren es 658. Die Zahl der Todesopfer nahm ebenfalls ab. Während 1965 noch 20 Personen im Berner Stadtverkehr ums Leben kamen, blieb das Jahr 2019 ohne Tote.
Eine gleich rasante Entwicklung hat der öffentliche Verkehr durchgemacht. Diesen gibt es in Bern seit rund 140 Jahren. Das erste Tram wurde 1890 auf die Schienen gestellt. Vorher bewegte man sich mit sogenannten Pferdeomnibussen fort. Mittlerweile existieren in Bern 71 Tramhaltestellen auf einem Streckennetz von rund 40 Kilometern, die mit 5 Tramlinien bedient werden. Im Jahr 2019 haben die städtischen Verkehrsbetriebe rund 103 Millionen Fahrgäste befördert. Auch die Busse in Bern werden rege genutzt. Die 28 Buslinien transportieren ihre Passagiere auf einem Streckennetz von rund 105 Kilometern.
Jemand, der sich ganz genau mit den Zahlen zum Berner Stadtverkehr auskennt, ist Karl Vogel, Leiter der Verkehrsplanung. Er sagt: «Seit 20 Jahren wird der motorisierte Verkehr in der Stadt Bern an 28 permanenten Messstellen dokumentiert. Diese Messungen zeigen: Von 2019 bis 2020 ist das Verkehrsaufkommen um neun Prozent gesunken.» Gleichzeitig sei der Anteil des Veloverkehrs gewachsen. Dieser habe vom Jahr 2019 auf das Jahr 2020 hin um sieben Prozent zugenommen. «Und noch Zahlen zum ÖV: 2019 hat Bernmobil fast 900000 oder 0,9 Prozent mehr Fahrgäste als im Vorjahr transpor-tiert», erklärt Vogel weiter.
Immer mehr Autos
Im Vergleich zu früheren Jahren hat der Verkehr allgemein in der Stadt Bern und den angrenzenden Regionen stark zugenommen. Das spiegelt sich auch in der Anzahl Autos wider. In der Stadt Bern sind nach den aktuellen Zahlen aus dem Jahr 2019 82132 Motorfahrzeuge zugelassen, davon sind 13400 Motorräder. Knapp 43 Prozent der Stadtberner Haushalte besitzen ein Auto.
Zum Vergleich: Im Jahr 2010 drehten in der Stadt genau 78000 Motorfahrzeuge ihre Runden. Karl Vogel meint dazu: «Allgemein lässt sich sagen, dass in der Stadt Bern der motorisierte Privatverkehr abnimmt, der Veloverkehr stark zunimmt sowie der öffentliche Verkehr ebenfalls zunimmt.» Dies führt dazu, dass sich Bern, so wie viele andere Städte auch, einer Herausforderung stellen müssen. Es gilt, den notwendigen Verkehr vom unerwünschten Verkehr zu trennen.
«Grundsätzlich sollen Fussgängerinnen und Fussgänger, Velofahrende und der öffentliche Verkehr mehr Platz erhalten. Einerseits, weil so stadtverträgliche Mobilität gefördert werden kann, andererseits, damit auch der Aufenthalt im öffentlichen Raum angenehmer und sicherer wird», erklärt Vogel weiter. Dazu würden auch Verkehrsberuhigungsmassnahmen wie Tempo 30 und Tempo 20 gehören. «Da die Fläche in der Stadt gegeben ist, muss der vorhandene Raum neu aufgeteilt werden. Wichtig ist, dass dabei auch der Wirtschaftsverkehr seinen Platz behält. Das heisst zum Beispiel, dass Anlieferung möglich sein muss oder dass Handwerker zu ihrem Einsatz- ort fahren können.»
Es wartet viel Arbeit
Während die Trends in Sachen Verkehr für die Stadt Bern in der Zukunft also klar sind, müssen die Stadt- und Verkehrsplaner in den kommenden Jahren und Jahrzehnten einiges angehen. «Der mit Abstand grösste Nachholbedarf herrscht nach wie vor bei der Sicherheit im Strassenverkehr für die schwächsten Verkehrsteilnehmer. Für Fussgängerinnen und Fussgänger sowie für Velofahrende ist die Infrastruktur noch nicht überall bequem und sicher genug, damit mehr Menschen zu Fuss oder per Velo unterwegs sind», erläutert Verkehrsexperte Vogel. «Die starke Förderung des Fuss- und Veloverkehrs ist auch aus Gründen des Klimaschutzes enorm wichtig. Beim motorisierten Verkehr sind mittel- und langfristig sogenannte Mobilitätshubs am Stadtrand ein wichtiges Thema. Dort soll das Auto abgestellt werden können und auf die städtischen Verkehrsmittel umgestiegen werden.»
Das alles bedeutet in den kommenden Jahren viel Planungsarbeit und Ressourcennutzung. Etwas Luft hingegen hat die Corona-Krise in die Berner Verkehrssituation gebracht. «Im Jahr 2020 konnten wir die Auswirkungen der Corona-Pandemie sehr gut in den Verkehrsmessungen nachvollziehen – der allgemeine Rückgang der Mobilität im Frühjahr war auch in Bern gut sichtbar. Nach den ersten Lockerungen im Sommer 2020 konnten vor allem beim Veloverkehr absolute Spitzenwerte verzeichnet werden», sagt Vogel, «Hier hat sicher geholfen, dass Publibike während der ganzen Krise verlässlich in Betrieb war und so ein zweites öffentlich nutzbares Verkehrssystem immer zur Verfügung stand.»
Und der ÖV? «Beim ÖV ist immer noch ein deutlicher Einbruch der Nutzerzahlen sichtbar, beim motorisierten Verkehr hingegen hat die Rückkehr zum normalen Verkehrsvolumen schneller eingesetzt. Wir rechnen damit, dass die coronabedingten Trends auch 2021 anhalten werden.»
Dennis Rhiel