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Rammstein bringt Bern zum Brennen

Am Wochenende zündete die legendäre Deutsche Metalband Rammstein ihr furioses Feuerwerk. Überschatten nicht nur dunkle Rauchwolken das Konzert, sondern auch die schweren Vorwürfe gegen den Frontmann Till Lindemann?

Es ist der Sturm, bevor der Orkan losbricht: Denn von Ruhe kann zu keiner Zeit die Rede sein, als am Samstagnachmittag 40 000 Fans zum Wankdorf-Stadion pilgern – zum ersten von zwei Konzerten am Wochenende. Es bilden sich lange Kolonnen vor den Eingängen, Toiletten und Verpflegungsständen. Entgegen den Medienberichten, die Konzerte seien ausverkauft, ist vor Ort kurz vor Showbeginn zu erfahren, es gebe noch offizielle Tickets. Möglicherweise auch, weil zuhauf gefälschte Eintrittskarten im Umlauf waren und Fans auf die Online-Abzocke hereingefallen sind: Sie habe noch nie so viele Fälle von Ticketbetrug erlebt wie an diesem Konzert, bemerkt die Gästebetreuerin am Info-Point. Augenfällig inmitten der schwarz gekleideten Anhänger sind die patrouillierenden Care-Mitarbeitenden in türkisfarbenen Shirts: Sie sollen sich um Personen kümmern, die Hilfe jeglicher Art benötigen – eine Reaktion der Organisatoren auf den Missbrauchsskandal um den Leadsänger.

Skandalumwittertes Spektakel
Es liegt glühende Vorfreude in der Luft, während sich die Sonne heiss auf die Gesichter der Wartenden legt – doch die Vorwürfe von Machtmissbrauch, die gegen den Frontmann Till Lindemann erhoben wurden und eine Kontroverse um seine Person entfacht haben, sorgen für eine Demonstration: Rund 100 Personen versammeln sich auf dem Wankdorf-Areal, um ihre Forderung «Keine Bühne für Täter» kundzutun. Die hitzigen Diskussionen verstummen mit einem ohrenbetäubenden Knall, als die sechsköpfige Band die Bühne betritt: pulshochpeitschend provokant, powerful, pyromanisch inszeniert – mit den gewohnten Geschmacksgrenzgängen. Die Magie, die Massen zu (ent-)fesseln vermag, liegt irgendwo im Smog von martialisch und melancholisch. Till Lindemann steht im Strudel von Anschuldigungen wie ein furchiger Fels in der kultigen Kulisse, der sich scheinbar durch nichts erschüttern lässt. Im Gegenteil: Vom ihm selbst geht das Beben aus mit seiner explosiven Bühnenpräsenz, umzüngelt von Flammen und befeuert von ekstatisch jubelndem Publikum.

Liedzeilen in neuem Licht?
«Bestrafe mich, bestrafe mich», raunt Lindemann, während Lichtblitze das dämmerige Himmelsgewölbe zerreissen und sich tausende Fäuste erheben. Das sei als subtiles Statement zu verstehen, ist ein langjähriger, eingefleischter Fan überzeugt. Rammstein habe das Line-up für das Berner Konzert abgeändert und den Song «Bestrafe mich» von 1997 bewusst ausgegraben. Den Rückhalt, den die Band damit bei den Fans zu suchen scheint, findet sie auch. «(Ich will) Ich will, dass ihr mir vertraut. (Ich will) Ich will, dass ihr mir glaubt», knurrt der 60-jährige Sänger später bei der Zugabe eindringlich in das Mikrofon. Auch diese über 20-jährigen Liedzeilen fordern in Anbetracht jüngster Ereignisse und anlaufender Ermittlungen zu einer neuen Leseart heraus. Die Antwort des Publikums ist eindeutig: Ja, es will vertrauen und glauben. Geradezu als Symbolbild dafür scheint zu stehen, dass sich die Band von einem Podest aus in Gummibooten von den Fans zurück zur Bühne befördern lässt: Sie tragen ihre Idole auf Händen. Für Toben und Treue bedanken sich die Musiker zum Ende des Konzertes mit einem Kniefall. Die Band steht unter scharfer Beobachtung, in jedes Wort und jeden Wink kann man etwas hineininterpretieren, wenn man das denn möchte. Sollten sich die schwerwiegenden Vorwürfe erhärten und zu einer Verurteilung des Rockmusikers führen, ginge das Konzert in Bern legendenbildend in die Geschichte ein: als eine der letzten Shows von Rammstein nach 30-jährigem Bestehen. Wenn nicht, dürfte die Berichterstattung als Booster für die Begehrtheit wirken, was für Lindemanns angekündigte Solotournee Ende dieses Jahres wohl förderlich wäre. Wie nah Fantasie und Wirklichkeit, Spielerei und Schande, Genie und Wahnsinn beieinanderliegen, lässt sich kaum ermessen. Rammstein lässt auf ihrem Instagram-Account verlauten, dass jene, die Anschuldigung erhoben haben, «ein Recht auf ihre Sicht der Dinge» hätten, ebenso die Band selbst. Alle Beteiligten haben ein Recht auf die bewiesene Wahrheit – nicht bloss die gefühlte. Als die sechs Bandmitglieder nach fast zwei Stunden Spektakel von der Bühne abgetreten sind, haben sich Schall und Rauch über dem Nachthimmel des Stadions längts nicht verzogen.

Daniela Dambach

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