Hinter «malreden» steht der Verein Silbernetz Schweiz mit Sitz in Bern. Das Thema beschäftigt die beiden Gründerinnen und Co-Geschäftsleiterinnen Eve Bino und Sylviane Darbellay schon länger. Im Gespräch erzählen sie, wie das Projekt funktioniert.
Die Betriebsökonomin und die Physiotherapeutin: Aufgrund ihrer Berufe käme man nicht automatisch auf die Idee, dass sich Sylviane Darbellay und Eve Bino einem sozialen Projekt zuwenden würden. Haben sie aber. Durch ihre Tätigkeit als Physiotherapeutin erlebte Eve Bino oft, dass sie für viele Klientinnen die einzige Ansprechperson war. «Meine Aufgabe war aber eine andere, ich konnte nie genügend Zeit aufbringen, um ihnen ganz zuzuhören, das war unbefriedigend», erinnert sie sich. Das Konzept von malreden wurde bereits 2013 in England unter der Bezeichnung «Silver Line Helpline» entwickelt und später von Deutschland als «Silbernetz» übernommen. Eve Bino war überzeugt, dass ein solches Angebot auch in der Schweiz nötig wäre. Sie suchte Unterstützung und fand sie in Sylviane Darbellay. In enger Zusammenarbeit mit Silbernetz Deutschland passten die beiden das Konzept den schweizerischen Gegebenheiten an. An die Öffentlichkeit gelangten sie mit malreden erstmals 2021.
Mit Leiden und Schmerz verbunden
Wann ist man denn einsam? Dazu Eve Bino: «Einsamkeit ist ein subjektiv empfundenes Gefühl, welches mit Leiden und Schmerz verbunden ist.» Dabei können folgende Formen von Einsamkeit unterschieden werden: Die soziale Einsamkeit, wenn Bezugspersonen wie Bekannte und Austauschfreunde fehlen. Emotionale Einsamkeit entsteht, wenn beispielsweise der Lebenspartner, die Lebenspartnerin als engste Vertrauensperson verstorben ist. Dies sei ein häufiger Grund der Anrufenden, wie die beiden Initiantinnen bekräftigen. Bei der kollektiven Einsamkeit fühlen sich die Menschen nicht einer Gemeinschaft zugehörig, Ursachen dazu können Diskriminierung, fehlende Sprachkenntnisse, Chancenungleichheit oder Rassismus sein. «Ein Thema, das in der Gesellschaft häufig unterschätzt wird», ergänzt Sylviane Darbellay.
Das Angebot malreden richtet sich in erster Linie an Menschen ab 60 Jahren. 95 Prozent der Anrufenden seien Frauen, bestätigen sowohl Sylviane Darbellay als auch Eve Bino. Das ist denn auch der einzige Fakt, den sie kennen, denn die Gespräche sind absolut vertraulich und anonym, weder die Herkunft noch das Alter sind bekannt. Die Co-Geschäftsleiterinnen schätzen das Durchschnittsalter der Anrufenden auf über 70-jährig.
Warum braucht es überhaupt einen Telefongesprächsdienst? Das Angebot für Anlässe einsamer Menschen ist doch schweizweit von privater und behördlicher Seite reichhaltig. Eve Bino bestätigt und widerspricht gleichzeitig: «Wir bieten ein niederschwelliges Angebot, ein Plaudertelefon für das Alltagsgespräch. Nicht immer steht die Einsamkeit im Hintergrund. Manchmal möchten sich die Anrufenden rasch mit jemandem austauschen, weil sie vielleicht gerade etwas erlebt haben, das sie loswerden möchten. Dabei kann es sich durchaus um etwas Erfreuliches handeln. Wir leisten damit eine Art Prävention.» Nicht wenige ältere Menschen seien zudem nicht mehr mobil, könnten das Haus nicht ohne fremde Hilfe verlassen, um einen Anlass zu besuchen. Das sei mit Umtrieben und Kosten verbunden. Auch das bisherige soziale Netz könne nicht mehr so gepflegt werden wie sie das gerne möchten, fügt Sylviane Darbellay hinzu.
Keine Krisenintervention
Bei der Hotline werden zurzeit etwa 560 Gespräche pro Monat gezählt. Die Zeit für ein Hotline-Gespräch begrenzt sich auf etwa 20 Minuten, «wobei wir nicht mit der Stoppuhr ausgerüstet sind», schmunzelt Eve Bino. Ein sogenanntes Tandemgespräch dauert in der Regel eine Stunde. Bei diesem Angebot ruft die immer gleiche Gesprächspartnerin einmal wöchentlich die Klientin an. «Es ist stets das gleiche Tandem», sagt Sylviane Darbellay. «Bei allen unseren Alltagsgesprächen arbeiten wir nicht lösungsorientiert, wie wir uns das normalerweise in unseren Berufen gewöhnt sind», bekräftigt Eve Bino. «Wir machen keine Krisenintervention, führen keine Notfallgespräche, geben keine Ratschläge. Im Zentrum der Gespräche steht das aktive, empathische Zuhören.»
Bei der Schulung der freiwilligen Mitarbeitenden wird denn auch grosser Wert darauf gelegt, dass sie ihre eigenen Grenzen gut spüren und diese auch kommunizieren können. «Wenn in einem Gespräch zum Beispiel Gewalt oder gar Suizidalität im Spiel ist, verweisen wir die Anrufenden an entsprechende professionelle Fachstellen», betont Eve Bino. Für die beiden Angebote «Hotline» und «Tandem» arbeiten zurzeit 48 ausgebildete Freiwillige. Diese werden vor ihren Einsätzen sorgfältig während mehrerer Tage auf ihre Aufgabe vorbereitet: Rollenspiele mit schwierigen Gesprächssituationen, ressourcenorientierte Gesprächsführung, Alter und Einsamkeit, Telefonie-System. Als Gesprächspartner:innen engagiert sich eine Vielfalt von Freiwilligen, von Studierenden bis hin zu Pensionierten. «Diese Durchmischung ist sehr bereichernd», fügt Eve Bino hinzu.
Peter Widmer
Eve Bino wurde 1975 geboren und wuchs in Bern auf. Die gelernte Physiotherapeutin absolvierte später einen Master in transkultureller Kommunikation und Management. Nach einigen Jahren Tätigkeit als Physiotherapeutin arbeitet sie heute in einem Teilzeitpensum als Ausbildnerin bei den interkulturellen Dolmetschenden von isa Fachstelle Migration in Bern. Die Geschäftsstelle des Vereins Silbernetz Schweiz leitet sie zusammen mit Sylviane Darbellay. Eve Bino ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Bern.
Sylviane Darbellay wurde 1969 geboren und wuchs im Wallis auf. Die studierte Betriebsökonomin arbeitete mehrere Jahre im Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum als Sektionschefin. Heute betreut sie als Co-Leiterin die Geschäftsstelle des Vereins Silbernetz Schweiz in Bern und arbeitet teilzeitlich bei der Firma SWiCAL. Sylviane Darbellay ist verheiratet, hat drei Kinder und wohnt in Bern.