Keine Angst vor dem Handy: Omar Raissi, der 16-jährige Berater der Jugend-Job-Börse Bern, nimmt älteren Menschen die Hemmschwelle vor den Tücken der Technik. Ruhig und geduldig als ob er das schon immer gemacht hätte.
Der «Tatort»: Ein heller Sitzungsraum im Berner Generationenhaus am Bahnhofplatz 2, wo die Jugend-Job-Börse Bern beheimatet ist. Zwei Personen sitzen sich gegenüber: Marianne Stauffer, 74, und Omar Raissi, 16. Die Pensionistin, Betreiberin einer Schwimmschule in Bern, hat soeben ein neues Handy erstanden, ein iPhone 13. Früher hantierte sie mit dem iPhone 7. Ein Quantensprung, wie sie findet. «Ich vermisse den Knopf zum Einloggen» bedauert sie. Klar, die neueste iPhone Generation erkennt die Nutzerin nur noch übers Gesicht. Aber das ist eigentlich nicht Marianne Stauffers Hauptproblem. Sie möchte auf ihrem Handy einen Gruppenchat einrichten, damit sie mit den Kursteilnehmenden ihrer Schwimmschule rasch und zeitgleich kommunizieren kann. Bisher erreichte sie die Schülerinnen und Schüler vor allem telefonisch oder einzeln per SMS.
Ergebnislos das gibts nie
«Wie finde ich nun meine Chat-Gruppe? Kann ich nun von jeder Person die Handy-Nummer eingeben?» Diese Fragen von Marianne Stauffer richten sich an ihren 16-jährigen Berater Omar Raissi. «Wenn du ein SMS an die Gruppe schicken willst, musst du zuerst die Nummern speichern, und bevor du etwas sendest, musst du eine Nachricht schreiben», antwortet er folgerichtig und plausibel. Seine 74-jährige Schülerin hat verstanden. «Es ist super. Es ist schon die zweite Beratung bei der Jugend-Job-Börse», strahlt die lernfähige Seniorin. Beim ersten Mal kam sie mit ihrem Laptop ins Generationenhaus, um sich einfachere und direktere Abläufe erklären zu lassen. «Der Berater von damals war erst 13-jährig und noch etwas scheu», blickt sie zurück. Sie arbeite manchmal noch etwas kompliziert, aber mit ihrer Schwimmschule sei sie auf die Arbeitsinstrumente Handy und Computer angewiesen. «Es gibt Kunden, die buchen mich mehrmals», ergänzt Omar stolz. So könne er beim Wissensstand vom letzten Mal weiterfahren, das sei für ihn, aber auch für die Kundin oder den Kunden einfacher. Seit seinem Einstieg im Sommer 2021 hat er schon gegen 20 Beratungen durchgeführt. Bis jetzt habe er noch nie ergebnislos aufgeben müssen. «Die Auftraggeber konnten immer etwas mitnehmen. Hoffnungslose Fälle gabs bis jetzt nie, da sorge ich schon dafür», sagt der junge Mann selbstbewusst. Die Arbeit macht ihm grossen Spass, das spürt man. «Die Menschen, die sich von mir beraten lassen, lehnen den Computer nicht ab, sondern sind motiviert und wollen etwas lernen. Diese Motivation überträgt sich auf mich», fügt er begeistert bei. Geduld sei indes auch gefordert, besonders wenn die älteren Personen mehrmals die gleichen Fragen stellten. Omar hat aber Verständnis dafür, dass die Aufnahmefähigkeit bei Menschen, die seine Grossväter oder Grossmütter sein könnten, abnimmt. «Ich schätze den Kontakt mit älteren Leuten. Oft erzählen sie spannende Geschichten», lacht Omar.
Das Leben ist einfacher geworden, aber…
Die nächste Frage lässt nicht lange auf sich warten, diesmal betrifft es den Laptop von Marianne Stauffer. «Ich habe auf dem Desktop meine Kurse gespeichert. Wenn ich die rechte Maustaste bediente, erschien bis vor kurzem auf der Skala die Funktion «Löschen». Das geht aber nicht mehr. Wie lösche ich nun meine alten Kurslisten der Jahre 2019 und 2020?» Auch hier ist Omar nicht um eine Antwort verlegen: «Dann ziehst du mit der Maus das Dokument direkt in den Papierkorb rechts unten. So befindet sich diese Datei zwar im Papierkorb, ist aber noch nicht gelöscht. Wenn du sie aber definitiv löschen willst, musst du den Papierkorb leeren.» Die Fragestellerin zeigt sich zufrieden und erfreut, dass dieser direkte Vorgang doch viel einfacher und rascher ist. An die Zeit der manuellen und später elektrischen Schreibmaschine – «mit Kugelkopf» – denkt Marianne Stauffer nicht mit Wehmut zurück – im Gegenteil. «Wie war das oft mühsam und langwierig», erinnert sie sich. Das Arbeitsleben mit dem Computer sei schon viel einfacher und bequemer geworden, wenn auch das Tempo zugenommen habe. Als Digital Native mit Jahrgang 2005 kann Omar naturgemäss nicht aus eigenem Erleben mitreden. Er ist mit der Digitalisierung aufgewachsen, kennt nichts anderes. Aber vielleicht ist er in 60 Jahren auch auf Hilfe angewiesen; so sind die Lebenszyklen. Marianne Stauffer gesteht, dass sie trotz Beratung nicht mehr alle digitalen Fachausdrücke versteht, dann verwende sie halt ihre eigenen. Aber das Ziel der Handy- und Laptop-Beratung sei erreicht. «Wer weiss, vielleicht habe ich schon morgen wieder eine Frage!», lacht sie. Der Jugend-Job-Börse wird die Arbeit nicht ausgehen.
Peter Widmer