Ostermundigens Gemeindepräsident Thomas Iten erklärt, was seine Gemeinde besser kann als die Hauptstadt, warum Bern ein wenig mehr «Agglo-Groove» guttun würde und wie er sich mit Alec von Graffenried versteht.
Thomas Iten, Alec von Graffenrieds Büro ist der Erlacherhof. Ihr Amtssitz gleicht eher einer Art Baracke. Sind Sie manchmal neidisch auf Ihren Amtskollegen?
Beim Gebäude am Schiessplatzweg handelt es sich tatsächlich um ein Providurium, wir feiern dieses Jahr sein 40-Jahr-Jubiläum. Entscheidend ist allerdings weniger, wie ein Büro aussieht, sondern dass man seinen Job für jene Menschen, die hier leben, optimal ausführt. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Nein, ich bin überhaupt nicht neidisch.
In Kürze stimmt das Ostermundiger Parlament über die Fusion mit Bern ab. Wie blicken Sie dieser Abstimmung entgegen?
Sehr gelassen. Inhaltlich ist unsere Arbeit mit den Nachverhandlungen, die wir geführt haben, seit Anfang März abgeschlossen. Mein Fokus richtet sich deshalb eher darauf, sämtliche Eventualitäten im Hinblick auf die Abstimmung in Betracht gezogen zu haben, zum Beispiel, indem ich mich auf mögliche Fragen des Rats vorbereite. Ich lehne mich, ohne das überheblich zu meinen, ein wenig zurück, und beobachte, wie die Debatte im Parlament verläuft.
Wie der Rat entscheidet, ist für Sie also zweitrangig?
Moment, das ist eine andere Diskussion. Uns als Gemeinderat wurde vorgeworfen, punkto Fusion keine klare Haltung eingenommen zu haben. Ich kann diese Kritik nachvollziehen. Aber am Ende des Tages soll das Volk über diese Frage entscheiden. Selbstverständlich interessiert mich das Resultat der Ratsdebatte.
Am 22. Oktober dürfen Sie, Herr Iten, selbst an die Urne. Werfen Sie ein Ja oder ein Nein ein?
Sie sind die gefühlt 321. Person, die diese Frage stellt (lacht). Ich meine das nicht böse, sie drängt sich ja auf. Als Teil einer Kollegialitätsbehörde kann ich sie Ihnen allerdings nicht beantworten.
Sie sind jemand, der sich häufig unter Leute mischt, an Konzerten oder Festen. Was sagt Ihnen Ihr Gefühl: Gelingt die Fusion?
Ich taste mich nach wie vor an die Stimmung der Menschen heran. Ich nahm vor kurzem am Freibadfest teil, am Streetfood Festival, am Schülerinnen- und Schülerturnier . Wichtig für die Meinungsbildung wird diese Woche das Votum des Parlaments sein, mein persönlicher Gradmesser ist die Bundesfeier am 31. Juli und dann vor allem das Mundige-Fescht am 2. September – ab da geht es definitiv Richtung Abstimmungskampf. Konkrete Prognosen aufzustellen, dürfte, ähnlich wie bei der Tramabstimmung, schwierig sein.
Legen Sie nach dem Urnengang offen, wie Sie abgestimmt haben?
(Schmunzelt) Das habe ich mir noch gar nicht überlegt. (Denkt kurz nach) Mal schauen.
Können Sie uns wenigstens verraten, ob Sie ein Resultat mehr freuen würde als das andere?
Nein. Und das hat wiederum mit der Fünfzig-fünfzig-Haltung des Gemeindesrats zu tun: Beide Resultate haben Vor- und Nachteile. Ob die Fusion zustande kommt oder nicht, eines ist mir wichtig zu betonen: Ostermundigen wird sich massiv verändern. Die Transformationsphase läuft bereits: Wie Sie wissen, ist das nächste Hochhaus in Planung, auf dem Tell-Areal entsteht Neues, wir konkretisieren den Baustart des Trams. Wenn die Fusion Tatsache ist …
Ja?
… dann werden sich gewisse Dinge einfacher umsetzen lassen. Zum Beispiel was eine mögliche Energiemangellage anbelangt. Manche finden, die Veränderung sei die Fusion. Ich entgegne: Die Veränderung wird selbst ohne Fusion mindestens so gross sein.
Was kann Bern besser als Ostermundigen und was kann Ostermundigen besser als Bern?
Einen Vergleich zwischen einer Hauptstadt und einer Agglomerationsgemeinde zu ziehen, finde ich schwierig. Ich formuliere es so: Bern hat schönere und höhere Brücken als wir – wir hingegen bauen politische Brücken über alle Parteien hinweg.
Klingt schon fast philosophisch.
Ich meine das durchaus ernst. Wir bemühen uns als Gemeinde stets, gemeinsame Nenner zu finden. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir haben für die Mitarbeitenden der Gemeindeverwaltung vor einiger Zeit ein neues Lohnsystem eingeführt. Es wurde im Parlament einstimmig angenommen – von ganz links bis ganz rechts. Der politische Diskurs wird durchaus mit ähnlich harten Bandagen geführt wie in Bern, doch wir stellen stets die Sache in den Vordergrund. Die Interessen eines Gewerblers sind uns genau gleich wichtig wie jene einer Klimaforscherin.
Bereitet es Ihnen keine Sorgen, dass dieses Brückenbauen bei einer Fusion verlorengehen könnte? Der politische Diskurs in Bern wird mitunter sehr ideologisch geführt. Links-grün dominiert die Agenda.
Uns zeichnet das Hemdsärmelige aus. Wir machen einfach mal – stehen aber auch hin, wenn wir einen Bock schiessen – was übrigens mir persönlich immer wieder passiert. Unsere Hemdsärmeligkeit beginnt im Kleinen. Letztes Jahr an der Bundesfeier zum Beispiel habe ich mit ein paar Kollegen meines Sohnes spontan ein paar Festbänke in die Hand genommen, die noch aufgestellt werden mussten. Wir würden diesen «Agglo-Groove» gerne in Bern einbringen.
Mit Verlaub: Das ist etwas gar blauäugig. Diesen «Agglo-Groove» dürften Sie als Teil von Bern kaum mehr durchsetzen können.
Glauben Sie mir: Bern muss Brücken bauen. Powerplay gehört ins Eishockey. Wenn Ostermundiger Pragmatismus und Berner Professionalität verschmelzen und daraus das Beste entstehen soll, dann braucht es auch die Bereitschaft, andere Perspektiven zuzulassen. Das wäre ein Mehrwert nicht nur für die fusionierte Gemeinde, sondern für die gesamte Region und letztendlich für den ganzen Kanton.
Wie gut verstehen Sie sich eigentlich mit Alec von Graffenried?
Wir sind zwei unterschiedliche Charaktere. Wir erhielten je einen Auftrag von unseren Legislativen – und diesen haben wir meines Erachtens gut ausgeführt. Sehen Sie: Ich bin Verwaltungsratspräsident und Geschäftsführer in Personalunion. Bei mir laufen sämtliche Fäden zusammen, weil meine Gemeinderatskollegen im Nebenamt tätig sind. Das ist in Bern anders. Kein Vorwurf, sondern ein Fakt.
Bleiben Sie bei einer Fusion eigentlich Gemeinderat?
Ich handhabe es wie ein YB-Spieler, der nächste Saison vermutlich in einem anderen Team spielen wird und sinngemäss sagte, er wisse noch nicht, was später ist.
Eine Fusion kann für Sie Chance wie auch Risiko sein.
Jeder Fussballer hat einen Vertrag mit einer bestimmten Laufzeit. Meiner läuft bis 2024.
Yves Schott
PERSÖNLICH
Thomas Iten, Jahrgang 1974, ist seit 2013 Gemeindepräsident von Ostermundigen. Davor war er unter anderem für die BLS tätig, als Leiter Bahn beim Personenverkehr. Iten war früher Mitglied der SP, trat dann aber aus und ist nun parteilos. Er ist verheiratet und hat zwei Söhne.
DIE FUSION
Seit Anfang 2021 laufen zwischen Bern und Ostermundigen intensive Fusionsverhandlungen. Der Berner Stadtrat sagte am 1. Juni klar Ja zur Fusion, am 29. Juni entscheidet nun das Ostermundiger Parlament. Die Volksabstimmung findet am 22. Oktober statt. Zur Fusion kommt es nur, wenn beide Gemeinden zustimmen. Das Interview mit dem Berner Stadtpräsidenten Alec von Graffenried zu diesem Thema finden Sie im Bärnerbär vom 30. Mai.