Der ehemalige Berner FDPGemeinderat Alexandre Schmidt erzählt von seinen ersten Wochen als Vorsitzender der Geschäftsleitung der UPD. Dabei äussert er sich kritisch zum Finanzierungssystem der Leistungen und freut sich auf die Abstimmung zur Pflegeinitiative.
Die berühmten ersten 100 Tage haben Sie noch nicht ganz erreicht. Aber dennoch: Wie haben Sie die erste Zeit in Ihrer neuen Funktion erlebt?
Grossartig! Ich bin heute mit Menschen für Menschen unterwegs, mit rund 1500 Mitarbeitenden. Ich betrachte dies als Ehre, als Freude und als Privileg, so arbeiten zu dürfen. Im Unterschied zu meiner früheren politischen Tätigkeit, wo die ganze Gesellschaft im Fokus stand, habe ich es heute mit dem Individuum zu tun. Es ist eine ganz andere Intensität, verbunden mit vielen Emotionen.
In der UPD-Vision steht unter anderem «Die Mitarbeitenden lernen lebenslang». Auch Sie wurden als «Branchenfremder» wieder Lernender. Welche Fragen haben Sie in den letzten Wochen gestellt?
Ich war schon im Mai und Juni 2021 während zehn Wochen in der UPD, um mich einzuarbeiten, und zwar «an der Front». So war ich beispielsweise während einer Nachtschicht präsent, besuchte sämtliche UPD-Stationen im ganzen Kanton. So hörte ich überall den O-Ton und konnte mir ein Gesamtbild verschaffen. Diese Einsätze hätte ich nicht missen wollen. Das ist der Preis als Quereinsteiger, den ich aber gerne bezahlt habe! So hatte ich am ersten offiziellen Arbeitstag bereits ein Basiswissen zum gesamten Betrieb. Denn als Vorsitzender der GL erhält man gleich zu Beginn Entscheidgrundlagen vorgelegt.
Welche Erfahrungen und Fähigkeiten aus Ihrer Politiker-Laufbahn sind Ihnen im neuen Job nützlich?
Sehr viel. Wir haben in der UPD mit zahlreichen Eigenschaften von Menschen und mit vielen Akteuren zu tun: Mit Wissensträgern, welche Wissen aufbauen und vermitteln, mit Betreuenden von Patienten mit all ihren Facetten, dann der ganze Bereich der Rehabilitation und Reintegration, der Umgang mit der Universität Bern, dem Inselspital, mit Kantonsbehörden, um nur einige zu nennen. Das politische «Gspüri», das Dosieren zwischen Gas- und Bremspedal, das Spiel auf der gesamten Klaviatur – alle diese Elemente helfen mir auch in der jetzigen Funktion.
In der Geschäftsleitung sind ausser Ihnen fast ausschliesslich Medizinerinnen und Mediziner vertreten. Wie sehen Sie sich als Vorsitzender der GL: Dompteur oder Primus inter pares?
Ich ergänze aufgrund meines Profils unsere Exzellenz in der Patientenversorgung. Wenn wir uns gegenseitig zum Team formieren können, kommen wir sehr weit. Mir geht es darum, dass ich mit meinem Team den Medizinalpersonen den Rücken von IT-Problemen, Finanzen, Baufragen und anderem mehr freihalten kann, damit sie sich voll der Patientenbetreuung widmen können.
Gibt es Spannungsfelder zwischen Medizin und Wirtschaft?
Wie fast alle Spitäler sehen wir uns vor allem mit drei Problemfeldern konfrontiert: Fachkräftemangel, Spitäler schlingern in Defizite, uneinige Akteure in der Spitallandschaft. Das erzeugt Spannungsfelder. Die oberste Priorität ist das Patientenwohl, das aber oft in Konflikt mit der wirtschaftlichen Seite gerät, weil gewisse Dienstleistungen nicht genügend finanziert sind.
Sie sind bekannt als humorvoller Mensch. So sagten Sie einmal «Mit Lachen geht es einfacher». Wird mit Ihnen an den GL-Sitzungen mehr gelacht?
(Lacht) Ich achte bewusst auf eine lockere Ernsthaftigkeit. Unterstützend sind informelle Gespräche nach den Sitzungen, beispielsweise bei einem gemeinsamen Mittagessen. Auch Sitzungen ausserhalb der UPD können die Lockerheit fördern. Bei diesen Gelegenheiten kommt zur Berufsfunktion der Mensch dazu. Der Werdegang von Menschen führt manchmal an Sitzungen zu besonderen Aussagen und wenn der Kontext bekannt ist, versteht man gewisse Reaktionen besser. Auch versuche ich gerne mit Sprachbildern zu arbeiten, das hilft, ein ernsthaftes Thema verständlich zu platzieren. Der langen Rede kurzer Sinn: Ja, es wird gelacht in der UPD!
Da ist ein wortgewandter und schlagfertiger Basler gegenüber den behäbigen Bernern wohl im Vorteil …
(Lacht) Das sind Ihre Worte!
Im Zusammenhang mit Homeoffice sagten Sie in einem Interview: «Wer wann und wo arbeitet, ist egal. Wichtiger ist die Leistung.» Gilt das auch für die administrativen Jobs in der UPD?
In meinem direkten Umfeld, in der Verwaltung stelle ich es den Mitarbeitenden frei, von zuhause aus zu arbeiten. Ich glaube daran, dass die meisten Menschen mit diesem Freiraum verantwortungsvoll umgehen können. Ich heisse auch alle Ferienwünsche gut, setze aber voraus, dass sich die Teams über die Stellvertretung abgesprochen haben und wichtige Sitzungstermine berücksichtigen. Mit diesem «Vertrauensvorschuss» habe ich bisher immer gute Erfahrungen gemacht. Ich selber war seit meinem Arbeitsbeginn in der UPD noch nie im Homeoffice. Ich will sicht- und ansprechbar sein.
Was betrachten Sie als eine Ihrer bedeutendsten Aufgaben in Ihrer Funktion?
Mir ist enorm wichtig, dass die Mitarbeitenden – vor allem in der Pflege – Arbeitsbedingungen vorfinden, in denen sie sich wohl fühlen, dass die Wertschätzung vorhanden ist, die Einsatzpläne stimmen. Denn es ist ein sehr, sehr schwieriger Job. Mitarbeitende der UPD haben eine immense innere Motivation und verdienen jede Unterstützung ihres Umfeldes. Ihre Energie gilt den teils aufwändigen Patienten, nicht sich selber. Meine Kurzformel: Es sind stille Helden!
Als Vorsitzender der GL eines recht komplexen Unternehmens sind Sie ziemlich weit entfernt von der Basis, so mindestens das Klischee. Was kriegen Sie mit von den Schicksalen der Patientinnen und Patienten?
Indem ich mich beispielsweise beim Mittagessen spontan an einen Tisch setze und mit den Mitarbeitenden spreche. Ich vermeide aber bewusst das direkte Gespräch mit den Patientinnen und Patienten. Das masse ich mir als Laie nicht an und überlasse dies meinen professionellen Fachkräften. Aber während meiner «Schnupperzeit» im Sommer war ich bei Patientengesprächen zugegen und suchte den Austausch mit den Pflegenden durch Fragen.
Welches sind derzeit Ihre grössten Herausforderungen?
In der Psychiatrie sind es die Folgen von Corona, und zwar besonders bei Kindern und Jugendlichen. Wir haben einen enormen Zulauf von Jugendlichen, die sich in einer Ausweglosigkeit befinden und weder Hoffnung noch Perspektiven sehen. Dadurch haben wir massiv mehr Notfälle. In einzelnen Gebäuden mussten wir sogar Büros räumen, um mehr Betten anbieten zu können. Frustrierend ist leider die Tatsache, wenn ich gewissen Mitarbeitenden trotz ihrer bewundernswerten Arbeit sagen muss, dass sie trotz allem Einsatz Tag für Tag ein Defizit produzieren. Das Refinanzierungssystem ist nicht dort, wo es sein müsste. Das ist sowohl für die Patienten als auch Mitarbeitenden eine absolut unwürdige Situation, aber auch für die Prämien- und Steuerzahlenden, die davon sollten ausgehen können, dass die bezogene Leistung auch über die Prämie finanziert werden kann, was nicht überall der Fall ist. Deshalb schaue ich mit Vorfreude und Gelassenheit der Abstimmung am 28. November 2021 über die Pflegeinitiative entgegen. Mit Freude, dass die Schweiz über die Pflege debattiert und mit Gelassenheit, weil sowohl die Initiative als auch der Gegenvorschlag ein Schritt in die richtige Richtung sind.
Hat sich der Politiker Alexandre Schmidt nun definitiv von der Politik verabschiedet?
Es kribbelt überhaupt nicht mehr in Richtung Politik! Wenn ich die Sinnhaftigkeit, die Menschennähe, die Weiterentwicklungen betrachte, die hier stattfinden, dann sind das fantastische Herausforderungen. In der Gesundheits – welt finde ich vor, was ich immer suchte: Die Vielfalt der Fragestellungen von Akteuren, das Zusammentreffen von Anliegen wie der Behörden, der Mitarbeitenden, der Wirtschaft, der Medien.
Wie finden Sie den Ausgleich zu Ihrem Beruf?
Ich habe ein grandioses Mandat, das Präsidium des Flughafens Bern-Belp, das mir einen völligen Themenwechsel bringt und wo ich mich jede Woche einbringen kann. Und bei den Wochenendaktivitäten mit meiner Familie kann ich abschalten und auftanken.
Peter Widmer