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«Wenn ich kreativ sein will, muss ich den Stecker zur Welt ziehen»

Latino-Popstar Loco Escrito (29) über die Wende in seinem Leben durch einen schweren Motorradunfall und die Geburt seiner Tochter, den neuen Trend Putzen statt Kiffen und seine Zuneigung zu Bern.

Ende Januar erscheint Ihr Album «Estoy Bien». Es ging Ihnen also nicht immer gut?
Ja, vor der Geburt meiner Tochter und während ihrer ersten zwei Lebensjahre hatte ich noch keinen Erfolg und viele Leute meinten, als Vater müsse ich es mir nun erst recht überlegen, ob das mit der Musik eine Zukunft hat. Ich wollte Aisha jedoch zeigen, dass ich meinen Traum verwirklichen kann. Jetzt lebe ich von der Musik, kann für sie sorgen, ihre Mutter tatkräftig unterstützen und sogar mein Team vergrössern.

Wie speziell ist es für Sie, dass Sie Ihr Konzert in Zürich im Komplex 457 geben, in dem sich auch Ihr Management FrontLine Music befindet?
Ich bin nun drei oder vier Mal im kleinen Club aufgetreten, wo maximal 400 Leute Platz haben, und jedes Jahr wollten mich mehr Leute sehen. Nun ist die Nachfrage so gross, dass ich dieser intimen Location, die ich eigentlich sehr schätze, definitiv entwachsen bin und wir den grossen Saal mit 1900 Plätzen buchen konnten. Die After-Party wird jedoch immer noch in unseren Büros stattfinden! (lacht)

Sind Sie vor Ihrem Heimspiel besonders nervös?
Nein, ich habe das schon in der Schulzeit nicht verstanden, wie man nervös sein kann. Leider nicht. Ich wünschte, ich könnte das auch mal spüren. Aber ich habe immer eine extreme Vorfreude und will es besonders gut machen, wenn viele Leute kommen, die ich kenne.

Gibt es Rituale, bevor Sie auf die Bühne
Ich sage «Danke, dass ich auf die Bühne kann» und «Danke, dass ich auf mein Herz gehört habe». Ich bedanke mich bei Gott, dass ich mir immer vertraut habe.

Wie haben Sie reagiert, als Sie vor drei Jahren erfuhren, dass Sie Vater würden?
Ehrlich gesagt, ich war zuerst geschockt und dachte: «Nein, das geht nicht!», denn wir waren schon gar kein Paar mehr. Und ich hatte das Gefühl, dass es für uns beide zu früh wäre. Zudem hatte ich mein Leben noch nicht im Griff und wusste auch nicht, wie ich das finanziell stemmen sollte. Trotzdem haben wir uns für das Baby entschieden. Ich glaube, es hätte mir sonst mein ganzes Leben lang zu schaffen gemacht.

Welche Rolle spielte der Motorradunfall, als Ihnen ein Autofahrer den Vortritt genommen hatte?
Als ich auf der Strasse lag und meine Beine nicht mehr spürte, war mein einziger Gedanken, dass ich ihre Geburt noch erleben wollte. Der Entscheid war zwar vorher schon gefallen, aber durch den Unfall verlor ich die Angst vor den Folgen.

Und nun kümmern Sie sich zu 50 Prozent um Aisha?
Genau. Ein Freund von mir, der auch getrennt ist, hat immer gesagt: «Zwei Vögel ums Nest sind besser als einer.» Ich habe viele beobachtet, die versuchten, die Liebe zueinander durch das Kind zu finden, aber das ist ungerecht gegenüber dem Kind.

Wie schaffen Sie es, Kind und Musik unter einen Hut zu bekommen?
Meine Mutter, bei der ich bei Aishas Geburt noch wohnte, hat mir geholfen. Ich bin aber selbst alle zwei Stunden aufgestanden, als ich meine Tochter nach einem Monat schon regelmässig bei mir hatte. Ich bin so dankbar für diese Zeit! Sie hat mich sehr stark gemacht.

Wann ist Nicolas Herzig trotzdem noch Loco?
Wenn ich auf meinen Töff steige, habe ich immer noch alle Schrauben locker. Deshalb fahre ich nur noch so wenig möglich mit ihm. Ein Konzert gibt mir mehr Adrenalin.

Heute ist es schon fast normal, dass man auch zu gewissen Substanzen greift, um sich zu stimulieren. Wie halten Sie es damit?
Ich habe früher sehr viel gekifft. Alkohol habe ich nie konsumiert. Dann habe ich aufgehört zu rauchen und bin immer mehr auf den «Trip» gekommen, so bewusst wie möglich zu sein. Weil ich ein Workaholic bin, greife ich noch hin und wieder zu einem Joint, aber es ist vor allem meine Tochter, die mich immer wieder runterholt.

Weshalb hatten Sie gekifft?
Ich habe es oft gebraucht, um negative Sachen zu vergessen. Gerade, wenn es einem nicht gut geht, kann das Kiffen jedoch sehr negative Auswirkungen haben. Wie das Konsumieren von anderen Substanzen. Ich will das aber nicht kritisieren. Ich finde einfach, man muss alles so bewusst wie möglich machen. Sogar das Wohnungsputzen ist dann meditativ – zumindest für mich.

Inspiriert Sie ein Joint?
Wenn ich kreativ sein will, muss ich den Stecker zur restlichen Welt ziehen. Ohne den Joint dauert das vielleicht etwas länger, aber er hilft mir nicht, gute Musik zu machen.

Während Ihre Tochter Sie runterholt, bringt Sie die Maria in Ihrer gleichnamigen Single um den Verstand. Wer ist diese Frau, die Ihnen gemäss Songtext mit ihrem Lächeln den Boden unter den Füssen wegzieht?
Wenn ich ganz, ganz ehrlich bin, ist es etwas, das ich mir wieder einmal wünsche. Leider habe ich es schon lange nicht mehr erlebt, dass mich eine Frau so in ihren Bann zieht, dass ich alles um mich herum vergesse und nicht mehr an die Konsequenzen denke. Ich finde den Moment extrem faszinierend. Und das Video zu diesem Song ist sehr sexy …

Haben Sie dafür in einem Casting nach Ihrer Traumfrau gesucht?
Genau, und dann haben wir die Nummern ausgetauscht und ich habe zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen! (lacht) Nein, sicher nicht. Das Team hat mir drei Vorschläge gemacht und dann habe ich in persönlichen Treffen diejenige ausgesucht, bei der die Chemie am besten stimmte.

Woher stammt Ihre Maria?
Aus Chur, aber ich glaube, sie hat dänische Wurzeln. Jedenfalls hat sie wunderschöne blaue Augen. Viele stellen sich diese Frau wahrscheinlich dunkelhaarig vor, aber für einen Latino ist eine mystische Frau eher blond, da sie mehr das Unbekannte verkörpert. Man muss heute jedoch sehr aufpassen, wenn man über Äusserlichkeiten redet. Auf jeden Fall bin ich sehr zufrieden mit dem Video. Die Luft vibriert richtiggehend.

War es mit der Mutter von Aisha auch so?
Am Anfang schon. Es gab viel Gefühl, auch unkontrolliertes Gefühl. Ich habe mich noch nie so schnell verliebt wie damals. Das war sehr untypisch für mich. Es war eine Beziehung, in der ich viel gelernt habe.

Ihr Vater ist Kolumbianer. Was bedeutet Ihnen Ihre zweite Heimat?
In Kolumbien habe ich zum ersten Mal gesehen, wie die Realität für die meisten Menschen auf diesem Planeten aussieht. Den krassen Gegensatz zwischen Macht und Ohnmacht, Reichtum und Armut. Obwohl ich mich krass mit Kolumbien identifiziere und meinen Vater, der dort lebt, schon oft besucht habe, bilde ich mir nicht ein zu wissen, wie das Leben dort wirklich ist. Ich spüre jedoch, dass die manchmal naiv wirkende fröhliche Grundeinstellung hilft, wenn man mit so viel Schwierigem umgehen muss. Gleichzeitig schätze ich die Schweiz wieder mehr. Wir sind vielleicht nicht so herzlich miteinander, aber dafür kann man sich darauf verlassen, was die Leute sagen und hat gegenüber anderen Menschen einen grossen Grundrespekt, der uns jedoch auch hemmt, weil wir Angst haben, uns falsch zu verhalten.

Wo haben Sie den Sommer genossen, wenn Sie mal in Zürich waren?
Ich bin halt immer bei meiner Tochter oder am Arbeiten. Ich bin nie im Ausgang oder mache sonstige Freizeitaktivitäten. Wir sind höchstens mal mit dem Boot eines Freundes auf den See hinausgefahren. In welche Clubs würden Sie mit Freunden aus Kolumbien gehen? Keine Ahnung, ich war seit drei Jahren nicht mehr im Zürcher Nachtleben unterwegs! Ich glaube, das Barrio 5 gibt es noch, wo viele Latinos verkehren, falls ich den Freunden einen zu grossen Kulturschock zu Beginn ersparen möchte. (lacht)

Wo kaufen Sie Ihre Kleider ein?
Ein Laden, den ich kürzlich entdeckt habe, ist das Titolo, da ich gerne exklusive Schuhe trage. Ansonsten ist das ein Gebiet, wo ich noch dazulerne. Shoppen mag ich nicht so gerne, besonders Hosen anprobieren.

Wo kann man Sachen kaufen, die ein 3-jähriges Mädchen glücklich machen?
(Lacht) Die gibt es an vielen Orten. Das Wichtigste ist jedoch, dass man mit Kindern in diesem Alter raus in die Natur geht. Ich kaufe Aisha auch ab und zu etwas, aber so viel Freude wie an einem Stecken oder einem Stein, den sie selbst gefunden hat, macht ihr das selten. Ein Tipp, für Leute, die nicht so viel Geld für Kleider oder Spielsachen haben: Geht dort in Secondhandläden an Orten, wo viele Reiche leben. Die kaufen so viele Sachen, die sie gar nie brauchen. In Küsnacht zum Beispiel, da findet man krasses Zeug!

Sie treten im Bierhübeli auf, das bereits ausverkauft ist. Was bedeutet Ihnen Bern?
Bern ist eine wunderschöne und sympathische Stadt. Sehr heimelig. Und das Bierhübeli ist eine Institution. Früher hätte ich nie gedacht, dass wir es füllen können. Jetzt ist es soweit und ich freue mich auf das Konzert.

Reinhold Hönle

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