Amanda Lear ist vieles: Model, Schauspielerin, Malerin. Vor allem aber ist sie ehrlich und unverblümt. Vor ihrem Auftritt im Chalet Muri hat der Bärnerbär sie zum Interview getroffen.
Amanda Lear beginnt, ohne auf eine Frage des Journalisten zu warten und inspiriert von ihren eigenen Bildern, die Gastgeber Claudio Righetti im Chalet Muri ihr zu Ehren aufgehängt hat, gleich von selbst an zu reden: Sie erzählt von ihren Anfangszeiten als Malerin, damals, als sie den Künstler Salvador Dalí kennengelernt hatte.
Amanda Lear: Ich war Mannequin in Paris, doch eigentlich wollte ich malen. Als ich Salvador Dalí über den Weg lief, gab ich vor, ebenfalls Malerin zu sein. ‹Wir sind Berufskollegen›, meinte ich. Er antwortete: ‹Wir? Kollegen? Sie träumen wohl! Frauen, die malen – die gibt es gar nicht!›
Dalí sagte einst, das Talent dazu «sitzt in den Hoden und folglich können Frauen keines haben».
Ich war empört. Ich meine: Was ist mit Mary Cassatt oder mit Frida Kahlo? Doch er fügte bloss an, ich solle ihm nie eines meiner Gemälde zeigen. Ich dachte: ‹Oje, das beginnt aber schlecht.› (lacht) Und hielt ihn für einen eingebildeten, spanischen Macho.
Erzählen Sie weiter.
Irgendwann hat er mich dann zu einem Tête-à-Tête eingeladen. Ich merkte, dass Dalí eine Art gespaltene Persönlichkeit hat. Er liebte die öffentliche Provokation, privat verhielt er sich hingegen äusserst herzlich. So begann unsere Freundschaft. Eine gewisse Zeit später stellte er mich in seinem Atelier dann auf die Probe, ich musste für ihn vormalen – nach einer Stunde schaute er sich das Resultat an und frotzelte: ‹Nicht schlecht für eine Frau!› (lacht)
Heute gehen die Frauen für Ihre Rechte auf die Strasse.
Das verstehe ich, auf der anderen Seite kann man mehrere hundert Jahre gesellschaftliche Tatsachen nicht in ein paar Wochen auf den Kopf stellen. Das wird sich ändern, garantiert.
Wie haben Sie persönlich diese Männerdominanz erlebt?
Als Mannequin hatte ich zu schweigen. Man sagte mir: Sei hübsch und lächle. Ja, man behandelte mich wie ein Objekt.
Bewegungen wie etwa MeToo gab es damals noch nicht einmal ansatzweise.
Mir ist so ein Fall vor rund fünfzig Jahren ansatzweise passiert. Salvador Dalí hat mich, die ich knapp 20 war, dem berühmten Filmproduzenten Darryl F. Zanuck von 20th Century Fox vorgestellt. Die Karikatur eines typischen Vertreters seiner Zunft, mit Zigarre und allem, was dazugehört. Der Harry Weinstein von damals. Dalí sollte für einen Film mit Raquel Welch ein Kinoplakat kreieren. Am Ende des Abendessens meinte Dalí, dass ich gerne Schauspielerin werden möchte.
Und dann?
Zanuck schlug einen Beauty-Test vor. Ich wurde in seinem Fotostudio schliesslich von allen Seiten fotografiert. Einige Tage später rief er zurück und meinte, er habe gute Neuigkeiten und wolle sich im Hotel mit mir treffen. Vor Ort hiess es, Zanuck erwarte mich in seinem Zimmer. Als er die Türe öffnete, trug er ein Pyjama.
Der Klassiker.
Wir waren dumm. Wir hätten immer und sofort Nein sagen müssen. Doch es lockte die grosse Bühne, der Ruhm. Heute beklagen sich alle: ‹Er hat versucht, mich anzufassen, welch Skandal!› Aber bitte: Das ist normal, tut mir leid! Seit die Welt existiert, versuchen Männer in Machtpositionen Frauen zu begrapschen. Egal, in welcher Branche. So sind Männer. Wir Frauen würden es umgekehrt doch genau gleich machen (lacht).
Ich spüre ein gewisses Unverständnis für MeToo in Ihren Worten.
Die Schauspielerin Asia Argento hat öffentlich erklärt, sie sei sexuell belästigt und sogar vergewaltigt worden. Doch sie liess es passieren, jahrzehntelang. Wieso hat sie das akzeptiert? Doch, um es deutlich zu sagen: Ich verstehe den Frust der Frauen, natürlich.
Themawechsel. Wovon träumen Sie?
Von einer guten Theater- oder Filmrolle. Bis jetzt habe ich stets Figuren gespielt, die nicht hundertprozentig zu mir passten. Obwohl ich eigentlich zeit meines Lebens davon geträumt hatte, von der Malerei leben zu können. Doch ich will mich nicht beklagen: Ich hatte eine fantastische Karriere, mein Leben ist ein Geschenk. Dafür danke ich dem Himmel jeden Tag. Und das alles ist ja noch nicht zu Ende (lacht).
Was bereuen Sie?
(Bestimmt) Nichts. Objektiv betrachtet müsste ich vieles bereuen: einige CDs, zwei oder drei Filme. Doch all diese «Fehler» bringen einen weiter. Wenn ich heute Bilder von mir sehe, die ich vor etwa vierzig Jahren gemalt habe, denke ich: «Sch…!» Doch diese Stolpersteine haben mir geholfen, mich zu entwickeln. Ich habe mal einen Film mit Adriano Celentano gedreht. Fürchterlich. Aber nun, was solls?
Die Vergangenheit lässt sich nun mal nicht ändern.
Nein, bloss die Zukunft. Wir sind Herr über unser eigenes Schicksal. Wir entscheiden über unser Leben, wir wählen aus. Mit der Kraft des Denkens lässt sich vieles realisieren. Seien wir ehrlich: Es gibt bessere Sängerinnen als ich: Nana Mouskouri oder Barbra Streisand. Bessere Models. Dennoch habe ich 25 Millionen Platten verkauft und war mehrfach auf dem «Vogue»-Cover. Wer glaubt, kann!
Zum Schluss die obligate Bern-Frage: Was verbindet Sie mit dieser Stadt?
Ich habe schon mehrfach hier ausgestellt. 2014 war ich Teil der MissSchweiz-Jury bei der Wahl auf dem Bundesplatz. Hauptsächlich aber gehörte die Schweiz bei meinen Theater-Tourneen zum festen Bestandteil. Und die Schweiz, vor allem Bern, ist das Land respektive die Stadt der Apotheken. Ich habe es wieder festgestellt, als ich durch den Bahnhof gelaufen bin. Ich weiss nicht, ob es vielleicht daran liegt, dass hier viele ältere Menschen wohnen (lacht). Die Berner Gesundheits-Obsession gefällt mir als Hypochonder sehr gut (lacht). Und ich bin ein Fan der Sterbehilfe. Man hat das Recht, zu leben oder nicht. Das erachte ich als hohes Gut.
Yves Schott