Christoph Düby ist Leiter Betriebliche Bildung der kantonalen Bildungs- und Kulturdirektion. Er sagt, warum es so viele offene Lehrstellen gibt und welche Jobs am beliebtesten sind.
Wie steht es um die Lehrstellensituation in Betrieben in Bern?
Das ist eine spannende Frage, die man aber nicht pauschal beantworten kann. Dazu muss man wissen: Nicht alle Lehrstellen werden publiziert, viele werden unter der Hand vergeben. Bei weiteren wird vergessen, diese nach der Besetzung aus dem System zu nehmen, so dass der Eindruck entsteht, sie seien noch zu vergeben. Einige Lehrbetriebe lassen ihre Lehrstellen bewusst ausgeschrieben, damit diese für potenzielle Auszubildende sichtbar sind. Daher sind die Zahlen, die über viele offene Lehrstellen berichten, sehr mit Vorsicht zu geniessen. Kurz und knapp: Die Berufsbildung im Kanton Bern ist tipptopp unterwegs.
Gibt es da einen Unterschied zwischen Stadt und Land?
Ja, den gibt es. Wenn sich Firmen in der Stadt befinden, zieht es auch junge Nachwuchskräfte in die Stadt. Entsprechend finden sich in der Stadt mehr Lehrstellen. Allerdings machen sich Lehrbetriebe auf dem Land aufgrund dessen teilweise mehr Mühe, junge Auszubildende zu gewinnen und diese auch zu halten.
Gibt es Branchen, in denen besonders viele Lehrstellen offen sind?
Praktisch alle Branchen erleben momentan grosse Veränderungen und haben teilweise offene Lehrstellen. Es handelt sich um Angebot und Nachfrage von Lehrstellen, welche demografisch ganz unterschiedlich sein können. Hier spielt auch die Digitalisierung eine Rolle – in manchen Bereichen erschwert sie das Lehrstellenangebot, anstatt es zu fördern.
Wie das?
Durch die neuen Technologien und die zunehmende Automatisierung werden einige Berufe in Zukunft verschwinden und die Jugendlichen haben heute andere Kompetenzen. Dies müssen wir in die Ausbildungen mit einfliessen lassen. Während auf der einen Seite Berufe aussterben, entstehen gerade durch neue Technologie zusätzliche Berufe.
Das wirkt sich doch sicher auf die Lehren aus?
Aufgrund der Entwicklungen besteht die Tendenz, dass die Lehren als solche länger werden. In einigen beruflichen Grundbildungen wurde in den letzten Jahren die Dauer von drei auf vier Jahre verlängert. Das setzt eine Lehre, die vorher drei Jahre gedauert hat, in Konkurrenz zu einer, die immer noch drei Jahre dauert. Wenn zum Beispiel eine dreijährige handwerkliche Lehre auf vier Jahre ausgedehnt wird, stellt sich die Frage: Warum sollte ich eine vierjährige, handwerkliche Ausbildung machen, wenn ich in nur drei Jahren beispielsweise eine KV-Lehre absolvieren kann, die am Ende vielleicht noch besser bezahlt wird?
Vor rund zehn Jahren waren Bürojobs im Kanton Bern noch am beliebtesten. Weiter unten auf der Liste standen Detailhandelsberufe. Ist das noch so?
National sieht es bezüglich Anzahl Lehrverhältnisse so aus: Die KV-Lehre steht auf Platz eins, Detailhandelsberufe auf dem zweiten Platz und die Fachangestellten Gesundheit FaGe auf Platz drei. Im Kanton Bern werden Platz zwei und drei getauscht, FaGe kommt vor Detailhandel. Digitale Berufe sind im Kommen. Trendberufe wie beispielsweise Mediamatiker:innen erfreuen sich einer grossen Nachfrage, da sie zurzeit «in» sind.
Stimmt es weiterhin, dass handwerkliche Berufe nicht mehr gefragt sind?
Es stimmt, dass handwerkliche Berufe sowie jene im Gastgewerbe zurzeit nicht einem besonders positiven Image unterliegen. Ich bin jedoch überzeugt, dass das zu Unrecht so ist und sich bald wieder ändern kann. Gerade bei handwerklichen Berufen kommt man karrieremässig sehr schnell vorwärts und kann rasch auf eigenen Beinen stehen oder sogar seine eigene Firma eröffnen. Wir brauchen auch in Zukunft gute Handwerker:innen sowie allgemein gute Berufsleute.
Kann es sein, dass viele Lehrstellen nicht besetzt werden, weil die Qualität der Bewerber:innen nicht mehr ausreicht?
Dieses Argument höre ich immer wieder. Inwiefern es wirklich zutrifft, kann ich nicht beurteilen. Was ich sagen kann, ist, dass die Betriebe in der zurzeit wirtschaftlich schwierigen Lage nicht mehr bereit sind, grosse Experimente bei der Vergabe ihrer Lehrstellen zu machen. Gerade zu Beginn der Ausbildung wird viel in die Lernenden investiert. Wenn man dort nicht sieht, dass die jungen Leute am Ende der Ausbildung fit für den Arbeitsmarkt sind, wird oft gar kein Ausbildungsplatz mehr angeboten.
Was wollen denn die Jugendlichen machen, wenn sie keine Ausbildung anfangen? Was ist denn so viel attraktiver?
Direkt nach der Volksschule in den Arbeitsmarkt einzusteigen, ist zwar kurzfristig und finanziell gesehen interessant, jedoch mittel- bis langfristig die schlechteste Lösung. Ungelernte Fachkräfte haben das grösste Risiko, arbeitslos zu werden. Junge Menschen sollten sich in erster Linie ausbilden lassen. Ob das über die Berufsbildung oder den gymnasialen Weg geschieht, ist sekundär. Hier stellt sich immer die Frage: «Bin ich am richtigen Ort und im richtigen Beruf?» Wichtig ist, dass eine Grundbildung erworben wird, auf der man aufbauen kann.
Vor ein paar Jahren hat man vorausgesagt, dass die Zeiten des Lehrstellenüberhangs bald vorbei seien. Dem ist nicht so.
Wir können froh sein, dass so viele Lehrstellen angeboten werden. Der demografische Wandel wird verlangen, dass in Zukunft noch mehr Lehrstellen zur Verfügung stehen werden. Die Anzahl der Volksschulabgänger:innen wächst kontinuierlich – in fünf bis sechs Jahren werden wir ungefähr zwölf Prozent mehr Abgänger:innen als im Jahr 2020 haben.
Also sollte man einfach irgendeinen Beruf lernen?
Nein, es sollte ein Berufsfeld oder ein Beruf sein, der einen fasziniert und auch etwas zu seinen eigenen Fähigkeiten passt. Wenn man natürlich merkt, dass einem der gewählte Beruf gar nicht zusagt, kann man auch wechseln.
Dennis Rhiel