Slide Alec Von Graffenried 14

«Wir sollten mit einem blauen Auge davonkommen»

Energiekrise, Ukraine-Krieg, steigende Corona-Zahlen. Berns Stadtpräsident Alec von Graffenried erklärt, wie sich die Stadt für den Winter rüstet. Und wie es der ukrainischen Familie bei ihm zuhause geht.

Alec von Graffenried, der Krieg in der Ukraine dauert an, der Winter steht bevor. Wie geht es der ukrainischen Familie aus Charkiw, die Sie bei sich zuhause aufgenommen haben?
Die Mutter und ihr Sohn, die bei uns wohnen, haben Familienangehörige und Freunde in ihrer Heimat. Charkiw stand bis vor rund einem Monat unter täglichem Artilleriebeschuss, was sich erst mit der Gegenoffensive der Ukraine änderte. Aktuell kam es zu russischen Angriffen auf zivile Ziele. Von einer beruhigten Situation kann folglich keine Rede sein, entsprechend leiden die Flüchtlinge unter Stress.

Thematisieren Sie die aktuelle Lage?
Nein, das Thema ist bei ihnen eh dauerpräsent, da müssen wir die Raketenbeschüsse nicht noch speziell ansprechen.

Deutschland befürchtet derzeit eine neue Flüchtlingswelle: Mit der kälteren Jahreszeit dürften deutlich mehr Menschen aus der Ukraine hier Schutz suchen. Hinzu kommen Energiekrise und steigende Corona-Fallzahlen. Sind Sie besorgt?
Ich bin weder total entspannt noch in grosser Sorge. Immerhin ging meiner Meinung nach durchaus ein Ruck durch die Gesellschaft.

Inwiefern?
Indem man realisierte, wie fest wir punkto Energie vom Ausland abhängig sind. Wenn es früher um Versorgungssicherheit ging, war meist die Rede von landwirtschaftlichen Gütern. Dass 80 Prozent der Energie importiert wird, war zwar schon immer ein Fakt, wurde jedoch erfolgreich verdrängt. Im Gegensatz zu Lebensmitteln, die wir aus Spanien oder Holland importieren können, stammen Öl und Gas aus Russland, Saudi-Arabien und den Arabischen Emiraten. Von solchen Ländern möchten wir gewiss nicht abhängig sein.

Eine Folge des Ukraine-Kriegs ist die Energiekrise. Deshalb eine intime Frage: Wie lange duschen Sie momentan und bei welcher Temperatur?
Ich bin ein Warmduscher (lacht). Ich stelle aber das Wasser während des Einseifens bewusst ab, somit dusche ich kurz.

Ganz ernsthaft fragen sich sicher viele, ob wir in diesem Winter nun schlottern müssen.
Nein, das nicht, doch wir müssen Vorkehrungen treffen, um eben nicht zu frieren. Wir wissen zwar noch nicht, was für ein Winter uns erwartet – bei einem Jahrhundertwinter wird es schwieriger. Nach heutigem Kenntnisstand sollten wir energietechnisch jedoch mit einem blauen Auge davonkommen.

Das heisst konkret?
Dass es zu keinen Blackouts und Energieabschaltungen kommt, wir werden allerdings sparsam sein und uns teilweise einschränken müssen.

Welche Massnahmen bringen denn tatsächlich etwas? Im Gang das Licht zu löschen, ist ja wohl kaum mehr als ein Tropfen auf den heissen Stein.
Das ist der entscheidende Punkt: Es benötigt alle, selbst kleine, Anstrengungen, um etwas zu bewirken. Wir haben die Möglichkeit, uns in der Wohnung wärmer anzuziehen, und die Temperaturen zu senken. Noch einmal: jede Massnahme zählt. Aber die grösste Hebelwirkung erzielt man dort, wo am meisten Energie verbraucht wird – und das ist im Bereich der Gebäudeheizungen.

Dübendorf hat sein Hallenbad geschlossen, um Strom zu sparen. Drohen hier ähnliche Szenarien?
Geplant ist das nicht, es ist jedoch ein denkbares Instrument – wenn es sein muss. Wir haben in Bern jedoch mit der Absenkung der Wassertemperatur bereits eine Massnahme getroffen.

Die Betreiber des Stärnemärit erklärten, es sei unmöglich, ihren Markt im Dunkeln zu betreiben.
Wir erwarten von allen Weihnachts- und Winteranlässen in der Stadt eine Energieeinsparung von 15 Prozent. Der Stärnemärit hat bewiesen, dass er innovativ ist. Den Betreibern bleiben ja noch rund eineinhalb Monate Zeit, um Ideen zu entwickeln. Ich bin gespannt, wie ihre Lösungen aussehen werden.

Die Strompreise dürften ab nächstem Jahr deutlich steigen. Die Stadt ist alleinige Aktionärin der ewb: Kann sie die Erhöhungen zugunsten der Endverbraucher abfedern?
Im Gesetz steht, dass Strom zu den Beschaffungskosten weiterverkauft werden muss. Da haben wir also kaum Handlungsspielraum. Fakt ist allerdings ebenso: Energie war lange Zeit zu günstig – jetzt gibt es eine Korrektur. Die extremen Ausschläge, die momentan zu beobachten sind, werden sich einpendeln. Vielleicht werden die Preise kurz- oder mittelfristig etwas ansteigen. Sobald wir vornehmlich nur noch erneuerbare Energie beziehen, werden sie sich langfristig stabilisieren.

Zusammenfassend liesse sich sagen: Uns steht also ein harziger, wenngleich kein dramatischer Winter bevor.
Wichtig ist an dieser Stelle zu betonen: Wir können das Ganze beeinflussen. Schlimm wäre es, einer Sache komplett ausgeliefert zu sein. Aber das ist nicht der Fall. Niemand muss in seiner Wohnung bibbern. Man sollte ausserdem daran denken, dass eine Gesellschaft durch solche Situationen im wortwörtlichen Sinn wieder näher zusammenrücken kann. Hat jemand einen Holzofen in seiner Wohnung und heizt ihn ein, kann er ja Bekannte oder Nachbarn einladen.

Wie heizen Sie selbst Ihre Liegenschaft?
Wir haben eine Gasheizung sowie Solarthermie auf dem Dach. Und wir besitzen einen Holzofen. Den bauten wir bewusst ein, um in der Übergangszeit die Heizung noch nicht anzulassen.

Wissen Sie schon, wie Sie an Weihnachten beleuchten? Girlanden, Tannenbäume und sonstige Beleuchtungen.
Wir haben noch Kerzen am Weihnachtsbaum. Die werden wir definitiv anzünden, schon nur wegen des Heizwerts (lacht).

Es wird also romantischer im Hause von Graffenried? Kuscheliger sogar?
Ich will die Situation nicht allzu fest romantisieren. Ist sich eine Gesellschaft bewusst, gemeinsam etwas erreichen zu können und wird Solidarität tatsächlich gelebt, geht es auch ihr selbst besser. Dafür bietet sich Weihnachten natürlich an.

Yves Schott

Weitere Beiträge

Weitere Beiträge