In der Schweiz gründen Frauen seltener Unternehmen als Männer. Woran das liegt, hat ein Forscher:innen-Team um Dr. Nadine Hietschold der Berner Fachhochschule Wirtschaft untersucht. Über Knackpunkte, Klischees und was sich ändern muss.
Dr. Nadine Hietschold ist Forscherin am Institut Innovation & Strategic Entrepreneurship der BFH Wirtschaft. Ausgangspunkt für die von ihr mitverfassten Studie zu Women Entrepreneurship waren Fakten, die nicht gefallen: «Die Gründungsrate von Frauen, also die Quote an Frauen, die an einer Neugründung arbeiten bzw. ein Jungunternehmen von maximal 3,5 Jahren führen, liegt gemäss dem aktuellen Global Entrepreneurship Monitor Schweiz bei 7,2 Prozent. Damit liegt sie deutlich unter der Gründungsquote von Männern. Diese liegt bei 12,3 Prozent.» Diesem Unterschied wollte sie auf den Grund gehen. Sie hat daher gemeinsam mit Prof. Dr. Susan Müller, Jan Keim und Prof. Dr. Ingrid Kissling-Näf die Rahmenbedingungen für Unternehmerinnen untersucht und fünf Bereiche mit hohem Verbesserungspotenzial ermittelt.
Wie haben Sie und Ihre Co-Autor:innen in der Studie mit dem Titel «Für mehr Gründerinnen in der Schweiz: Ansatzpunkte zur Verbesserung gründungsrelevanter Rahmenbedingungen» die Daten erhoben?
Wir sind zweigleisig vorgegangen: Einerseits arbeiteten wir mit schriftlichen Fragebögen und schickten diese im Rahmen des National Expert Survey des Global Entrepreneurship Monitors Schweiz an nationale Expert:innen. Zudem führten wir Interviews mit Vertreter:innen der Schweizer Gründer:innen-Szene sowie Entscheidungsträger:innen und Meinungsführer:innen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Die Resultate sind nicht ohne Brisanz. Wie gut bereitet beispielsweise die Bildung Schüler:innen auf Karrieren als Unternehmer:innen vor?
Derzeit werden in den obligatorischen Bildungsstufen die nötigen unternehmerischen Kompetenzen zu wenig vermittelt. Deshalb empfehlen wir in unserer Studie, unternehmerisches Denken und Handeln über alle Bildungsstufen hinweg zu integrieren. Auch an Berufsfachschulen sowie an Hochschulen sollte unternehmerisches Denken und Handeln für alle Berufe bzw. in allen Studiengängen eine Rolle spielen. Denn: Unternehmerische Kompetenzen sind Zukunftskompetenzen. Zudem sollen vermehrt weibliche Vorbilder gezeigt werden, mit denen sich bereits Mädchen identifizieren können.
Wie entscheidend sind Vorbilder?
Sie sind sehr wichtig, aber da wird zu oft mit Klischees gearbeitet. Auch in den Medien. Es werden häufig wachstumsorientierte und zeitintensive Start-ups hervorgehoben, die von männlichen Unternehmern gegründet wurden. Gleichzeitig werden Gründerinnen oft als «Powerfrauen» dargestellt, so dass «normale» Frauen sich nicht mit ihnen identifizieren können. Diese Darstellung entspricht weder der Realität noch spiegelt sie die bestehende Heterogenität von Gründerinnen und ihren Gründungsvorhaben wider.
Um Unternehmertum für Frauen attraktiver zu machen, sollte aufgezeigt werden, wie vielfältig die Möglichkeiten einer Gründung sind. So sollten beispielsweise auch Gründungen gezeigt werden, bei denen die Schaffung von gesellschaftlichem Mehrwert im Vordergrund steht oder die einen regionalen Fokus haben. Zudem sollten auch Organisationsformen gezeigt werden, die es erlauben, unternehmerische Initiativen zu starten, ohne dass dies eine 60-Stunden-Woche mit sich bringt. Warum nicht ein Unternehmen gründen, das zwei Co-CEOs hat?
Gibt es auch bei den Finanzierungsmöglichkeiten Verbesserungspotenzial?
Ja, dies ist ein zweiter Knackpunkt. So sind viele Finanzierungen auf jüngere
Menschen ausgerichtet. Dadurch werden Frauen in der mittleren Lebensphase, die erst nach der Familienphase gründen möchten, benachteiligt. In der mittleren Lebensphase ist zudem der Zugang zu Technologie schwieriger. Deshalb sollte vieles getan werden, um Frauen in der mittleren Lebensphase die Gründung von Unternehmen zu erleichtern: Zum Beispiel könnten Förderorganisationen ihre Reichweite auf Frauen und Männer unterschiedlichen Alters ausdehnen, und es sollten Netzwerke für Frauen aufgebaut werden, die in der mittleren Lebensphase Unternehmerinnen werden wollen.
Das verstärkte Aufkommen von «sozialem Unternehmertum» wäre prädestiniert für Gründerinnen, oder?
Genau, denn es steht für ein Wertesystem, das viele Frauen anspricht. Eine stärkere Betonung von Sinnhaftigkeit in der öffentlichen Wahrnehmung kann daher dazu beitragen, mehr Frauen für das Unternehmertum zu gewinnen. Dies könnte in mehreren Bereichen erfolgen: in der Medienberichterstattung, in Bildungsprogrammen für Existenzgründer:innen oder auch bei der finanziellen Unterstützung von Initiativen. Die stärkere Thematisierung von wirkungsorientierten unternehmerischen Initiativen in der Bildung könnte auch dazu beitragen, mehr Frauen für MINT-Fächer zu begeistern, da Technologien natürlich auch genutzt werden können, um einen sozialen Wert zu schaffen und sozialunternehmerische Ideen zu verbreiten. Wenn mehr Mädchen und junge Frauen bereits in der Früherziehung für MINT-Fächer begeistert werden, könnte sich dies auch auf die Ausrichtung ihrer Gründungsvorhaben auswirken.
Ist das Ändern von Vorurteilen und traditionellen Rollenbildern also auch für Unternehmensgründungen wichtig?
Ja. Im traditionellen Rollenverständnis leisten vor allem Mütter die Betreuungsarbeit. Die damit verbundene Sozialisation und Stereotypisierung sowie die unzureichende staatliche Kinderbetreuung haben dazu geführt, dass Frauen seltener ein Unternehmen gründen wollen. Obwohl sich Normen eher langfristig als kurzfristig ändern lassen, können einige Massnahmen die implizite geschlechtsspezifische Voreingenommenheit ansprechen und langfristig mehr Frauen zur Gründung ermutigen.
Nennen Sie uns vier Gründe, weshalb wir mehr Gründerinnen brauchen.
Werden mehr Unternehmen von Frauen gegründet, wächst die Vielfalt – auch in Gründungsteams – und es gäbe vielleicht mehr Alternativen zu stark wachstumsorientierten und monetär motivierten Gründungsvorhaben. Es ist auch davon auszugehen, dass Unternehmerinnen stärker darauf achten, dass Produkte und Dienstleistungen nicht nur auf die Bedürfnisse von Männern zugeschnitten werden müssen, wie bisher üblich, sondern auch auf die von Frauen und vielfältiger Kundengruppen. Zudem sind diverse Teams leistungsfähiger. Hinzu kommen der demografische Wandel und Fachkräftemangel: Unsere Wirtschaft kann nicht ohne den Input von qualifizierten Frauen auskommen, der wirtschaftliche Verlust wäre enorm. Mehr von Frauen geführte Unternehmen würden – das ist der vierte Grund – auch den Wandel zu einer nachhaltigeren Wirtschaft vorantreiben, denn viele Gründerinnen wollen mit ihrem Unternehmen einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft ausüben.
In der Studie haben Sie Aussagen von mehreren Expertinnen optisch vorgehoben. Zudem wünschten Sie ein Beispiel auch auf dieser Seite – siehe unten – integriert. Weshalb?
Unternehmerinnen und Expertinnen in verschiedenen Lebensphasen nehmen eine wichtige Vorbildrolle ein. Und sie zeigen exemplarisch auf, mit wem wir in unserer Studie arbeiten durften.
Dominik Rothenbühler/
Anne-Careen Stoltze-Siebmann
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