Endo Anaconda ist tot, die Trauer in Bern gross. Wir haben mit Weggefährten gesprochen, die um den Sänger und Dichter trauern und sich an eine Persönlichkeit voller Humor und Weltschmerz erinnern.
«Ich bin Gott, zumindest ein siebeneinhalb Milliardstel davon», philosophierte Endo Anaconda im Mai 2020. Der Sänger der Berner Mundart-Band Stiller Has war mitten in der Pandemie zu Gast in der SRF-Sendung Sternstunde Philosophie und sprach mal nachdenklich, mal augenzwinkernd über das menschliche Dasein, die Drogen, die er hinter sich gelassen hatte und seinen Wunsch, nach der Abschiedstournee mit seiner neuen Band in den künstlerischen Underground zu gehen. «Frischen Wind und einen süssen Tod», wünschte er sich für sein Ende. Vergangene Woche ist der als Andreas Flückiger 1955 in Burgdorf geborene Ausnahmekünstler im Alter von 66 Jahren überraschend an Lungenkrebs gestorben. Schock und Trauer bei den Hinterbliebenen sitzen tief. Anaconda hinterlässt drei Kinder von drei Frauen. Er selbst bezeichnete sich einst als beziehungsunfähig. Nichtsdestotrotz fand ihn die Liebe. Sonja Schnider, seine Lebenspartnerin der letzten zehn Jahre, die bis zum Schluss an seiner Seite war, sagt im Gespräch mit dem Bärnerbär: «Endos Tod ist noch nicht bei mir angekommen.» Schnider, die seit 2021 als Kundenberaterin bei der IMS Marketing AG tätig ist, lernte Endo Anaconda 2007 auf der Schweizer Rock & Blues Cruise auf einem Kreuzfahrtschiff kennen. «Polo Hofer hat mich Endo vorgestellt», erinnert sie sich. Ein erstes Gespräch zwischen den beiden dauerte bis in die Morgenstunden. Die Musik von Stiller Has begeistert Schnider schon seit sie 18 Jahre alt ist. An dem Mann hinter der Musik gefiel ihr nebst seiner rauen Stimme seine Grösse, im eigentlichen wie im übertragenen Sinn. Sie sagt: «Die Tiefe, die Sensibilität, das Feine», das machte ihn aus. Unkonventionell war die Beziehung. Das Paar lebte nur von 2018 bis 2020 zusammen und bezeichnete diese Phase als Projekt. «Als wir dieses Experiment beendeten, setzten wir wieder dort an, wo wir angefangen hatten», sagt Schnider rückblickend. Anaconda besass kein Smartphone, hatte sich vermehrt kritisch zu den neuen Formen der Kommunikation geäussert. Mit seiner letzten Partnerin pflegte er einen regen Briefwechsel. «Die handgeschriebenen Zeilen von Endo werde ich wahnsinnig vermissen», meint Schnider traurig.
Die Flucht aus dem Spital
Anaconda, der Singer-Songwriter, Schriftsteller und Kolumnist in einem war, spielte so verrückt mit Sprache, dass er immer mal wieder als Dadaist bezeichnet wurde. Der Berner Schriftsteller und Spoken-Word-Artist Jürg Halter dazu: «Endo ist für mich der grösste Mundartdichter. Seine Texte haben Weltformat.» Halter hat mit Endo einen engen Freund verloren. Als «grosse Inspiration, selbstloser Förderer und Unterstützer, tief Verbündeter», bezeichnet er den Verstorbenen. Begegnet sind sich die beiden im Zaffaraya, als Halter noch als Kutti MC unterwegs war und das erste gemeinsame Lied «Mon Bébé» entstand. Halters Lieblingssong von Anaconda ist nicht etwa «Aare» oder «Walliselle», sondern Endo selbst. «Live war Endo ein Ereignis, witzig, politisch und scharfsinnig.» Tatsächlich nahm Anaconda regelmässig Stellung zum Zeitgeschehen. «Das Grundeinkommen macht das Geld etwas weniger wichtig und die Leute freier», sagte der einstige Kommunist. Der Sohn eines Schweizers und einer Österreicherin wuchs nach dem frühen Tod des Vaters in einem katholischen Internat in Klagenfurt auf und war Gewalt ausgesetzt. Das politisierte ihn wohl für die Schwachen der Gesellschaft. In den Achtzigerjahren kehrte er schliesslich nach Bern zurück. 1989 war das Gründungsjahr der Band Stiller Has, die anfangs aus Endo Anaconda und dem Multiinstrumentalisten Balts Nill bestand. Seit 2002 trat die Band mit dem bis dato als Gastmusiker agierenden Gitarristen René «Schifer» Schafer (Ex-Rumpelstilz) auf. Die drei waren bereits bei der Band ohne Konzept, bei Caduta Massi, Italienisch für «Achtung, Steinschlag!» gemeinsam aufgetreten und lieferten den radikalen Sound zur 80er-Bewegung. «Der Cellist David Gattiker hat Endo erstmals an die Proben mitgebracht und kann als sein Entdecker bezeichnet werden», sagt Schifer Schafer, der das legendäre Album «Landjäger» (1994) produziert hat. «Ich und Endo hatten viele Meinungsverschiedenheiten, aber wir haben uns immer wieder gefunden.» Anaconda lebte zuletzt im Emmental. Mit Schifer Schafer gab es vor einem halben Jahr noch eine zufällige Begegnung im Breitenrain-Quartier. «Wir haben uns beide gefreut, uns zu sehen.» Ein Weggefährte aus den wilden politischen Zeiten ist auch Giovanni Schuhmacher, besser bekannt als «Fashion». Auch er trauert um einen Freund und erinnert sich an intensive Gespräche in der Brasserie Lorraine und an gemeinsame Demonstrationen. «Ich habe ihn getroffen, als er vom Spital abgehauen ist, wo er 2011 wegen Nierenproblemen auf der Intensiv war», so Schumacher. «Es war eine lustige Begegnung mit viel Humor und alten Geschichten.» Als Geschichtenerzähler bezeichnete sich Anaconda gerne selbst.
Spinnen und russische Fürsten
Romanesk klingt auch der letzte Gruss der Dichterin Ariane von Graffenried. Sie schrieb dem Bärnerbär auf Anfrage: «Wir trafen uns hinter einer Bühne oder vielleicht auf hoher See. Wir liebten beide Romy Schneider, den Wilden Westen und die Dadaisten, H.C. Artmann, Cissy Kraner und Maria Tănase. Alte Gemäuer auch, wo Spinnen im Fensterloch ihr Zelt aufschlagen. Wir mochten die Namen von russischen Fürsten, warmes Mittagessen und Reisen in den Osten. Endo Anaconda war ein gewaltiger Dichtersänger, klug, schwarzhumorig und schwermütig. Ein grosser Künstler, ein gütiger Mensch und lieber Freund. Er fehlt mir sehr.»
Helen Lagger