Slide Oberlikinopremiere

Beziehungsprobleme, Lügen und die kindliche Unschuld

Regisseurin Bettina Oberli kam am Tag des Kinos nach Bern, um die neue SRF-Serie «Emma lügt» im Kino Movie vorzustellen. Sie erzählte dem Bärnerbär, wie die sechs Folgen den Zeitgeist aufgreifen.

Emma macht sich die Welt, wie es ihr gefällt. In der Schule lässt sie alle glauben, dass drei plus drei acht ergibt, zuhause stiftet sie mit Flunkereien Unruhe zwischen ihren Eltern. «Emma lügt» lautet der Titel der neuen SRF-Serie unter Regie von Bettina Oberli.
Wir treffen die 49-jährige am vergangenen Sonntag, am Tag des Kinos, vor dem Movie, wo vier Episoden der sechsteiligen Serie gezeigt werden. Online kann man sich bereits jetzt alle sechs Folgen mit der App «Play Suisse» anschauen.
Oberli zog für das Skript die Theaterschaffende und Autorin Laura De Weck bei. «Sie schreibt sehr gute Dialoge.» Die Serie verhandelt das momentane Lebensgefühl, das allgemein grassierende Unbehagen. «Willst du aktuell sein, muss es schnell gehen», so Oberli. Gerade einmal drei Wochen hatte die Crew Zeit zum Drehen der als Kammerspiel konzipierten Serie. Der wilde Genre-Mix – es gibt Komödiantisches, Dramatisches und Mystery-Elemente – sei gewollt. «Wir wollten etwas Ernsthaftes und gleichzeitig Verspieltes machen.»

Signer als Psychologe
Oberli konnte für ihr Projekt hochkarätige Schauspielerinnen und Schauspieler für Kurzauftritte gewinnen. Darunter prominente Berner wie Marcus Signer («Der Goalie bin ig»), der einen Jugendpsychiater spielt, der herausfinden soll, warum Emma lügt. Sabine Timoteo, unter anderem bekannt aus dem Film «Die schwarzen Brüder» (2011), gibt eine strenge Polizistin. Auch Komiker Massimo Rocchi tritt in einer Folge auf. Er klopft an der Tür von Emmas Familie und soll für eine Statistik in Erfahrung bringen, wo der Schuh drückt. Dass der Vater (Martin Vischer) daraufhin die Eheprobleme mit seiner Frau Isabelle (Johanna Bantzer) erwähnt, ist natürlich ein Missverständnis. Der Statistiker möchte wissen, wie sehr ihm Krieg, Klimakrise oder Migration auf dem Magen liegen.
Die titelgebende Protagonistin ist eine Bernerin. Alma Klingenbeck konnte sich in einem schweizweiten Casting durchsetzen und begeistert als verträumte Lügnerin. «Bei Kindern hat Lügen ganz viel mit Fantasie zu tun», so Oberli. «Wenn sie etwas nicht verstehen, legen sie sich oft ihre eigene Wahrheit zurecht.» Emma etwa glaubt, die Mutter habe Schmetterlinge gegessen, nachdem diese ihrem heimlichen Geliebten am Telefon verrät, sie habe Schmetterlinge im Bauch. Der Schmetterling ist eine Art Leitmotiv in der Serie – so ist das Tier das Emblem einer Gruppe junger Verschwörungstheoretiker:innen, denen Emmas Schwester Liv (Paula Rappaport) angehört.

Eklige Nachtfalter
Für eine Folge drehte die Crew rund um Oberli nachts im Wald. Keine Schmetterlinge, sondern Nachtfalter flogen den mit Stirnlampen ausgestatteten Filmschaffenden dabei um die Ohren beziehungsweise ins Gesicht. «Sie fühlten sich eklig und pelzig an», so die Regisseurin lachend. Doch sie liess sich davon nicht beirren. «Ich drehe wahnsinnig gern.»
Mit Kindern zu arbeiten, sieht sie als besondere Herausforderung. «Man muss oft sehr lange warten beim Filmen.» Mit Schauspieler Christoph Oswald, der oft mit Kindern gearbeitet hat, hatte sie einen Experten am Set. «Er half der Hauptdarstellerin, in ihre Rolle hineinzufinden», so Oberli. Damit es authentisch wirkt, sollte sie sich etwa die Frage stellen, wie es sich anfühlt, wenn man lügt.
Der natürliche Umgang mit den Schauspieler:innen liegt Oberli am Herzen. Ihr bisher grösster Erfolg ist der Spielfilm «Die Herbstzeitlosen» (2006). Auch als Theater- und Opernregisseurin hat sie sich mittlerweile einen Namen gemacht. «Die neuen Formate beeinflussen meine filmische Arbeit. Ich lerne ständig dazu.»
Oberli hat ihre Kindheit auf der Pazifikinsel Samoa und in Meiringen verbracht. «Ich stamme nicht direkt aus einer Künstlerfamilie, aber mein Elternhaus ist sehr offen.» Als Oberli von Meiringen nach Bern kam, um das Lehrerseminar zu besuchen, war das schon fast ein Grossstadterlebnis. «Ich ging viel in den Ausgang, etwa an Konzerte, in den Gaskessel oder die Reithalle.» Für das Lehrerseminar entschied sie sich, weil es viele musische Fächer gab.
Ein wenig schrägt geht es zu Als Lehrerin arbeitete sie allerdings nur kurz. «Ich bewarb mich in Zürich für ein Filmstudium und wurde angenommen.» Die Regisseurin Jane Campion («The Piano») hatte sie bereits als Jugendliche inspiriert. «Ich entdeckte, dass man kein Mann sein muss, um Regie zu führen.» Von Kindsbeinen an ging sie viel ins Kino, da es bei ihr zuhause keinen Fernseher gab. Für Campions Filme begeistert sie sich bis heute. Doch auch der umstrittene, dänische Regisseur Lars von Trier hat es ihr angetan. «Seine Filme sind abgefahren. Es fasziniert mich, wie furchtlos er das Unterbewusste auslotet.»
Ein wenig schräg geht es auch in «Emma lügt» zu und her. Emmas Lehrerin (Zoë Pastelle) taucht als verschrobene Hippie-Tante wie eine Fee im Wald auf und Emmas Schwester driftet in irrationales Denken ab. Eine Gratwanderung sei es gewesen, Themen wie Fake News mit Humor in der Serie zu behandeln. Die Jugendlichen glauben Abstruses, weil sie die Lügen der Erwachsenen entlarven und deshalb das Vertrauen in die Politik verlieren. «Man muss die Not der Jungen ernst nehmen», ist Oberli überzeugt.
Wie steht sie selbst zum Lügen? «Es gibt bösartige Lügen, etwa wenn man falsche Gerüchte streut oder anderen bewusst schaden will.» Sie sehe aber auch ein kreatives Potenzial im Lügen. «It’s magic», sagt der Familienvater in der Serie, als er merkt, dass seine Lügen funktionieren. Worüber hat die Regisseurin zuletzt selbst gelogen? Sie überlegt lange. «Das verrate ich nicht.»

Helen Lagger

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