Partizipativ, engagiert und kommunikativ: So etwa könnte man das Zusammenspiel des Kammerorchesters Camerata Bern bezeichnen. Die beiden Co-Geschäftsführerinnen Sonja Koller und Alessa Panayiotou leiten die administrativen Geschicke der 61-jährigen Formation.
Während Sonja Koller die künstlerischen Belange des Berner Ensembles verantwortet, ist Alessa Panayiotou für den kaufmännischen Bereich zuständig. Sind da Spannungen zwischen den unterschiedlichen Aufgabengebieten und Sichtweisen nicht geradezu vorprogrammiert? «Nein, überhaupt nicht», sagen die beiden Co-Geschäftsführerinnen wie aus einem Mund. «Wir arbeiten ausserordentlich vernetzt, zusammen mit den Ensemble-Mitgliedern, den beiden Kolleginnen der Geschäftsstelle und mit den Mitgliedern des Stiftungsrates», sagt Alessa Panayiotou. «Die Hierarchien sind flach und wir moderieren und koordinieren, es ist ein Geflecht verschiedener Aufgaben.» Daher bestehe kein Graben zwischen künstlerischem und kaufmännischem Bereich und es sei hilfreich, die beiden Perspektiven bei zwei Personen zu «versorgen». «Wir ziehen am gleichen Strick, sonst würde eine Co-Leitung nicht funktionieren», ist Sonja Koller überzeugt.
Nicht auf eine Person fokussiert
Die Camerata Bern zählt 15 Solist:innen: 14 Streicher:innen und einen Cembalisten. Das Ensemble wurde 1962 mit der Idee gegründet, als flexible Formation ohne Dirigenten zu konzertieren. Die Camerata pflegt ein breites Repertoire von Barock bis Zeitgenössisch und spielt stets im Stehen. Das Kammerorchester ist einerseits fest mit Bern verwurzelt, hat aber zugleich internationale Ausstrahlung. So leben acht Ensemble-Mitglieder in europäischen Ländern wie Deutschland, Österreich, Spanien oder England. Für ein bestimmtes Projekt kommen alle nach Bern, um hier während einer gewissen Zeit zu proben. «Bern bleibt stets der Mittelpunkt der Camerata», betont Alessa Panayiotou. Das Orchester gastiert regelmässig an internationalen Festivals und in führenden Konzerthäusern in Europa sowie in Übersee. So arbeitet die Camerata jeweils projektweise mit renommierten Künstler:innen zusammen, wie kürzlich beim Konzert «Prager Herzschläge» im Casino Bern mit der Violonistin Antje Weithaas.
Eines der Markenzeichen des 15-köpfigen Klangkörpers ist das Spielen ohne Dirigent:in. «Dadurch entsteht im Orchester eine ganz besondere Dynamik. Während des Spielens kommunizieren die Musiker:innen nonverbal, sie müssen bereit sein, mitzugestalten, sich selber einzubringen», schildert Sonja Koller das Musizieren ohne Dirigat. Diese Spielfreude sei auch für das Publikum deutlich sichtbar, ergänzt Alessa Panayiotou. Das stehende Spielen ermögliche zudem, sich gegenseitig besser beobachten zu können, der Blick sei nicht einseitig nach vorne zu einer Chefin/einem Chef gerichtet. «Ich finde es persönlich als Zuschauerin spannender, wenn ein Orchester ohne Dirigent:in spielt. Man sieht besser, wie die Musiker:innen untereinander kommunizieren.» Ganz ohne «Leithammel» geht es aber trotzedem nicht: «Immer die Person, welche ein Projekt leitet, amtiert zugleich als «Primus inter pares» und übernimmt die künstlerische Verantwortung», erklärt Sonja Koller. So ist beispielsweise die moldauisch-österreichisch-schweizerische Geigerin Patricia Kopatchinskaja, welche stets barfuss auftritt, seit 2018 Artistic Partner der Camerata Bern. Aber alle 15 ständigen Camerata-Mitglieder seien in der Lage, bei den Proben und Auftritten den Lead zu übernehmen. Auch in dieser Frage herrscht im Ensemble Partizipation: Jene, die die Leitung eines Programms übernehmen möchten, könnten sich melden, sagt Co-Geschäftsführerin Koller.
Orchester organisiert sich selber
Sowohl Alessa Panayiotou als auch Sonja Koller sind sich einig, dass das Spielen ohne Dirigent:in beispielsweise bei einem Sinfonieorchester mit 50 bis 100 Musiker:innen wohl kaum möglich wäre. Sie räumen ein, dass die Camerata mehr Proben benötige, weil auch mehr diskutiert werde. «Das ist auch bei unserer Co-Geschäfstführung so, aber diese Art der Entscheidfindung entspricht uns besser», sagen beide unisono.
Das Camerata-Mitglieder regeln untereinander, wen sie für welches Projekt als Leiter:in engagieren wollen. «Ein Reglement setzt unter anderem Gagen, Spesen usw. fest. Auch neue ständige Ensemble-Mitglieder sucht das Orchester selber», fügt Alessa Panayiotou hinzu. Oft würden langjährige Projekt-Gäste angefragt. Die Camerata-Crew wisse am besten, wer in ihre Gemeinschaft passe und welche künstlerischen und sozialen Voraussetzungen ein potenzielles Mitglied erfüllen müsse. Ein Probespiel wie in anderen Klangkörpern gebe es bei der Camerata nicht. «Das Camerata-Netzwerk spielt», schmunzelt Sonja Koller.
Camerata begeistert Junge
Einen wichtigen Beitrag zur Musikvermittlung an Kinder und Jugendliche leistet die Camerata Bern seit 2010 mit ihren regelmässigen Schulkonzerttourneen im Kanton Bern. Damit konnten seither in über 250 Konzerten rund 18 000 Schulkinder kostenlos und niederschwellig Musik auf höchstem Niveau direkt in ihrem Klassenzimmer erleben. «Gerade Kinder sind noch nicht auf bestimmte, harmonische Kompositionen festgefahren und sind empfänglich für Experimentelles, Neues und Unbekanntes», beobachtet Sonja Koller. Und namentlich Patricia Kopatchinskaja spiele zeitgenössiche Werke auf eine Art und Weise, welche die Menschen zu packen vermöge.
Die innovativen Programme der Camerata jonglieren mit Epochen und Stilrichtungen und reichen von klassischen Einspielungen bis hin zu inszenierten Konzerten, Kammermusikprojekten und Kinderkonzerten. Das neue Saisonprogramm 2023/24 ist ab 10. Mai 2023 online einsehbar: cameratabern.ch.
Peter Widmer
PERSÖNLICH
Alessa Panayiotou, geboren 1983, wuchs in Luzern auf. In Bern studierte sie Kunstgeschichte und Theaterwissenschaften. Danach bildete sie sich zur Kulturmanagerin weiter. Im Kanton Bern war sie einige Jahre in der Kulturförderung tätig, bevor sie am 1. August 2022 als Co-Geschäftsführerin die kaufmännische Leitung der
Camerata Bern übernahm. Alessa Panayiotou lebt in Bern.
Sonja Koller, geboren 1980, wuchs in Zürich und Bern auf. Sie studierte Musikwissenschaft und Germanistik und an der Universität Basel bildete sie sich zur Kulturmanagerin weiter. Seit 1. Mai 2019 ist sie als Co-Geschäftsführerin der Camerata Bern verantwortlich für die künstlerische Planung, Dramaturgie und Produktion. Sonja
Koller wohnt in Bern.