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«Dann denke ich immer noch: ‹Fuck, das ist sexy!›»

Komiker Mike Müller kommt gleich mit zwei Theaterstücken nach Bern, ist aufs Gravel-Bike umgestiegen und hat in Sachen Rauchen gerade noch die Kurve gekriegt.

Wie stark mussten Sie überzeichnen, um aus der Realsatire, die eine Gemeindeversammlung darstellt, ein abendfüllendes Theaterstück zu machen?
Überzeichnen kann man nur, wenn man von etwas Realem ausgeht. «Heute Gemeindeversammlung» war jedoch von Anfang an Fiktion. Natürlich arbeite ich mit Elementen einer ganz normalen Gemeindeversammlung. Es ist aber keine spezifische Gemeinde, sondern eine durchschnittliche Schweizer Gemeinde. (amüsiert)

Wie reagiert das Publikum?
Manche sagen: «Das ist wie bei uns!» In jeder Gemeinde gibt es einen Querulanten und Interessengruppen. Parteipolitik spielt in den meisten Gemeinden nicht so eine grosse Rolle. Selbst in grösseren Städten geht es primär darum, gute Lösungen zu finden und mit dem genehmigten Budget auszukommen. An jedem der über 150 Auftrittsorte habe ich ein Interview mit der Stadtpräsidentin oder dem Gemeindeammann geführt und dabei immer engagierte Menschen angetroffen, die ihr Amt nicht – wie Politikern oft unterstellt wird – aus Eigennutz oder Narzissmus bekleiden.

Dann ist eine Gemeindeversammlung für Sie der demokratischste Ort, den es gibt?
Da muss man aufpassen! Es ist heikel, wenn man aus jeder Schweizer Einrichtung gleich einen Mythos macht. In Wirklichkeit ist die Bevölkerung ja gar nicht so sehr an den Gemeindeversammlungen interessiert. Es ist schon ein Erfolg, wenn fünf Prozent der Stimmbevölkerung erscheinen. Und dafür muss es schon um einen Fussballplatz, ein neues Hallenbad, Infrastrukturprojekte oder Steuerhöhungen gehen. Aber die ursprüngliche Form, dass man sich trifft und über das diskutiert und abstimmt, was alle etwas angeht, ist die gleiche wie in der Antike. Im besten Fall geht man danach auch noch ein Bier «saufen» – damit man weiter streiten oder sich versöhnen kann. Deshalb gabs im Kanton Solothurn früher in den Dorfbeizen nach der «Gmeind» eine Freinacht.

Die Leute lieben es, wenn Sie Dialekte nachmachen. Wann haben Sie damit begonnen?
Schon als Kind. Ich habe mit meiner Mutter immer verschiedene Dialekte geredet.

Ist es für Sie mit Ihrem Oltner Dialekt einfach, Bärndütsch zu sprechen?
Der Kanton Bern ist sehr gross. Es gibt einen riesen Unterschied zwischen Langenthal, Biel, Bern, Thun und Oberland. Kandersteg klingt extrem anders! Eine Figur lebt aber nicht nur vom Dialekt, sondern auch vom Soziolekt. Aus welcher Gesellschaftsschicht stammt sie? Welchen Beruf hat sie, welche Haltung und Energie? Da finde ich manchmal erst bei den Proben heraus, was zu wem passt.

Stimmt es, dass Sie bei den Fremdsprachen ähnlich talentiert sind?
Es geht. Wenn ich mir Mühe gebe, kann ich mir relativ schnell einen guten Akzent aneignen. Wenn ich in Spanien in einer Bäckerei die Auslage kenne, können meine Bestellungen dazu führen, dass mir das Personal schon am dritten Tag Witze zu erzählen beginnt. Ich lache dann anständig mit, sage «Si, si, claro» und verstehe kein Wort…Es ist wie beim Mountainbiken. Wenn du technisch nicht so gut ist, mach es lieber schnell als langsam! Dann glauben die Leute: «Ah, der kanns!» (lacht)

Bevor Corona kam, wollten Sie sich eine Auszeit nehmen und per Schiff und Zug auf grosse Reise gehen. Haben Sie sich dann etwas anderes gegönnt oder nur Stücke geschrieben?
Ähm…(lacht), ich habe länger geschrieben als geplant, aber das war bei dem Stück auch nötig. Immerhin habe ich Zürich und Umgebung mit dem Velo erkundet. Ich fahre sehr viel Gravel-Bike, da ich es mit dem Rennvelo auf der Strasse nicht mehr so cool finde. Oder liegt es am Alter, dass ich es nicht mehr mag, wenn 150000-fränkige Autos mit 20 Zentimeter Abstand an mir vorbeifräsen? Ich finde es kein so geiles Gefühl! So geniesse ich es, mit dem Gravel-Bike überall zügig unterwegs sein zu können.

Wir gehen nicht nur auf Weihnachten zu, sondern auch auf Silvester. Viele Menschen werden sich wieder vornehmen, mit dem Rauchen aufzuhören. Wie sind Sie clean geworden – von 30 auf 0?
Ein Arzt, der sogar in seiner Praxis dampft, hat mir geraten, es mit der E-Zigarette zu versuchen. Ich habe dann so perverse Flavours wie Ananas und Mango geraucht, wovor sie mich im Vape-Shop schon gewarnt hatten, aber nach drei, vier Wochen war ich mit dem Nikotin bereits auf null unten. Trotzdem fehlt mir das Rauchen manchmal.

Weshalb?
Wenn ich heute junge, gutaussehende Menschen sehe, die zusammenstehen und rauchen, denke ich immer noch: «Fuck, ist das sexy!» Aber ich bin 58! (klagend, dann lachend) Als ich vor zwei Jahren bei einer Vorstellung eine völlig belegte Stimme hatte, weil ich den ganzen Tag wie ein Idiot gedampft hatte, war das so der Horror, dass ich auch darauf verzichten musste. Und jetzt will ich mir keine Blösse mehr geben. Ich finde es schon relativ schwach, erst so spät mit dem Rauchen aufgehört zu haben.

Reinhold Hönle

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