Julia Jentsch, Joel Basmann Und Max Hubacher 2 (1)

«Der sexuelle Akt war für ihn Selbsttherapie»

Der Berner Max Hubacher (27), einer der talentiertesten Schweizer Schauspieler seiner Generation, über den Kinofilm «Monte Verità», in dem er den umstrittenen Psychoanalytiker Otto Gross verkörpert.

Was macht für Sie die Magie des Monte Verità aus?
Ich liebe die Natur dort oben und habe die Umgebung mit einem modernen Gadget erkundet: Ich mietete einen Töff, mit dem ich während der Dreharbeiten zum Baden an den Lago Maggiore fuhr, ins Restaurant und beinahe nach Italien. Ich hatte bei den Proben gemerkt, dass man auf dem Berg schon etwas ab vom Schuss ist. Wenn ich den Fahrtwind spürte, hat es in mir ein extremes Gefühl von Freiheit geweckt!

Waren Sie schon vorher ein Motorrad-Fan?
Nein, ich habe mir erst danach einen Roller gekauft. Eine 125er, denn ich fahre gern zügig. Mit ihr bin ich in Bern schnell an der Aare, um am Morgen schwimmen zu gehen.

Regisseur Stefan Jäger hat geschwärmt, wie professionell Sie sich auf den Film vorbereitet hatten. Wie haben Sie das gemacht?
Stefan und ich haben schon in der Finanzierungsphase mehrere Tage miteinander verbracht und über meine Figur gesprochen. Dazu habe ich mich in die Unmengen von Material eingelesen, die man findet, wenn man historische Figuren spielt – was bei mir nicht das erste Mal der Fall war. Wegen der Wiener Dialektfärbung, die Otto Gross bekommen sollte, bin ich mit einem Sprachcoach zwei Monate lang dreimal pro Woche das Drehbuch durchgegangen und konnte es zum Schluss in- und auswendig. Das erlaubte mir, aus einer Leichtigkeit heraus zu arbeiten und auf dem Set alles passieren lassen, was die Figur noch spannender machte.

Wie gingen Sie damit um, dass Gross bei seiner Arbeit übergriffig wurde?
Die grösste Herausforderung war, ihn nicht dafür zu verurteilen, dass er mit seinen Patientinnen ins Bett gegangen ist, sondern zu fragen, weshalb er es getan hat. Er selbst hat Freud und Jung hinterfragt und gesagt, er sei nicht der klassische Psychoanalytiker, der auf einem Sessel sitzt, während die Patientin neben ihm auf der Couch liegt, sondern wolle ihr auf Augenhöhe begegnen Möglichst in der Natur statt in einer Praxis. Diesen Ansatz finde ich toll. Die Übergriffe führten jedoch dazu, dass er sehr umstritten war.

Wie erklären Sie sich dieses Fehlverhalten?
Ich bin überzeugt, dass der sexuelle Akt für ihn Selbsttherapie war. Er legte sich zurecht, dass die körperliche Liebe den Prozess der Heilung beschleunigen würde. Seine Übergriffe gegenüber den Patientinnen, die ihm schutzlos ausgeliefert waren, sind nicht zu rechtfertigen, aber ich bin überzeugt, dass er die Frauen auch geliebt hat. Das kann man aus seinen Briefen herauslesen.

Wie dreht man Sexszenen so, dass sich die Akteure möglichst wohlfühlen?
Ich habe fast in jedem Film, bei dem ich mitmache, eine Sexszene, und wenn ich etwas gelernt habe, dann, dass man mit allen Beteiligten früh darüber zu reden beginnt. Wenn man versucht, dem Thema aus dem Weg zu gehen und es am Ende noch schnell, schnell macht, kann es sehr unangenehm werden. Jeder sollte sagen, wo die Grenzen liegen, und die Sexszenen müssen inhaltlich motiviert sein und nicht voyeuristisch.

Welche Aspekte des Lebens auf dem Monte Verità, die vor hundert Jahren ungewöhnlich waren, entsprechen Ihnen speziell?
Die Gleichstellung der Frau, welche leider noch immer nicht vollständig erreicht ist. Interessant finde ich auch, dass man aus idealistischen Gedanken auf Fleisch verzichtet. Heute entspricht es oft eher einem gewissen Lifestyle.

Wie ernähren Sie sich?
Ich bin alles andere als ein Schnäderfräss. Ich esse eigentlich alles, ein gutes Stück Fleisch ebenso wie eine ausgezeichnete vegane Bolognese.

Wie stehen Sie zu Drogen, die auf dem Berg ebenfalls eine Rolle spielten?
Ich habe das Gefühl, jede Generation konsumiert Drogen. Welche es sind, sagt viel über die Gesellschaft aus. In den Neunzigerjahren waren es eher pushende Drogen. Heute sind es meiner Meinung nach tendenziell eher Downer, zum Relaxen.

Wie kommen Sie denn runter?
Das gibt es viele verschiedene Sachen. Ich treffe mich mit Leuten oder telefoniere, um mal über etwas anderes zu reden als über die Arbeit. Oder ich gehe eine Runde Roller fahren. Ausserdem habe ich das Schachspielen für mich entdeckt. Da tauchst du ein und kannst an nichts anderes denken.

Was haben Sie besonders geschätzt, als Sie sich wegen Corona wieder öfter in Bern aufhielten?
In den Berliner öffentlichen Verkehrsmitteln ist es laut, rau und stinkig. In Bern ist es ruhig, und wenn du nur schon ein Gipfeli aus dem Papiersack nimmst, schauen alle böse. Die Schweiz ist das Land, in dem man am besten laut mit den Augen rollen kann (grinst).

Haben Sie das Berner und das Berliner Wappentier in beiden Städten schon besucht?
Im Berliner Zoo war ich schockiert, wie klein die Käfige der Affen sind. Man hat ihren Gesichtern angesehen, wie unglücklich sie sind. In Bern komme ich oft am Bärengraben vorbei, weil ich ins Alte Tramdepot gehe und ein Märzen trinke – ein fantastisches Bier!

Was tun Sie aktuell?
Ich drehe in Belgien und Frankreich. In einem Film über die Katastrophe bei der Flugshow von Rammstein 1988 verkörpere ich die Hauptfigur, die von einem Mann inspiriert ist, der damals seine ganze Familie verloren hat. Weiterhin ist auf Instagram «Ich bin Sophie Scholl» zu sehen, in dem Luna Wedler die Titelfigur und ich ihren Bruder Hans darstellen. Als tagebuchartige Posts dazugestellt werden bis im Frühling laufend Gedanken der beiden Widerstandskämpfer aus den letzten neun Monaten ihres Lebens.

Reinhold Höhnle

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