Todd Boyce (38) ist seit 2016 Teil des Ensembles von Konzert Theater Bern. Aktuell steht der Bariton als Dr. Falke in der Operette «Die Fledermaus» auf der Bühne.
Wie war das nochmal in der Oper? Tenor liebt Sopran, doch der Bariton versucht die Liebe zu durchkreuzen – das ist häufig die Konstellation, die auf der Bühne für Drama sorgt. Tenöre sind dabei meist schön und jung, während man den Bariton eher mit einem älteren, korpulenten Herrn in Verbindung bringt. Todd Boyce passt nicht in dieses Klischee. Der 38-Jährige, der bei unserem Treffen im Stadttheater Bern als Kostprobe das beliebte amerikanische Lied «Oh, Susannah» anstimmt, wirkt eher wie der Junge von Nebenan als ein fieser Intrigant. Doch genau als solcher kennt ihn das Berner Publikum. Seit 2016 gehört Boyce zum festen Ensemble von Konzert Theater Bern. Hier stand er schon als Marcello in «La Bohème» oder als Figaro in «Il Barbiere di Siviglia» auf der Bühne. Aktuell gibt er den Dr. Falke in der Operette «Die Fledermaus» von Johann Strauss. Boyce ist gebürtiger Amerikaner, spricht aber sehr gut Deutsch. Er ist mit einer Deutschen verheiratet und lebte zuvor lange in Deutschland. Aufgewachsen ist Boyce in einer kleinen Stadt in Wisconsin. Früh erhielt er Gesangsunterricht. «Meine Mutter hat den Kirchenchor geleitet.» Der ältere Bruder von Boyce ist ebenfalls Opernsänger geworden. «Der kleinere Bruder möchte doch immer das machen, was der ältere tut», so Boyce. Sein Bruder wurde ein Bassbariton, Boyce selbst verfügt über einen so genannt lyrischen Bariton. «Die Rollen der Tenöre zu spielen, fände ich langweilig», sagt er. «Es ist viel reizvoller für mich, Figuren darzustellen, die fehlerhaft sind statt solche, bei denen alles nur schön und gut ist.» Seinen Einstand bei Konzert Theater Bern gab Boyce als Graf Almaviva in «Le nozze di Figaro» von Wolfgang Amadeus Mozart. Auch diese Figur ist machthungrig und intrigant. In Mozarts «Zauberflöte» zeigte Boyce sich hingegen von einer anderen Seite. Er schlüpfte in die Rolle des Papageno. «Das ist einfach ein ganz lustiger Typ, ein richtiger Kindskopf.»
Schmerzhafte Kündigung
Viele Regisseure suchen in ihren Inszenierungen nach Bezügen zur Gegenwart. Sie lassen die Protagonisten mit Handys herumfuchteln oder machen aus tragischen Kurtisanen trashige Fernsehmoderatorinnen. «Es kommt auch mal vor, dass die Gesangsleistungen beklatscht werden, die Inszenierung aber ausgebuht. Als Sänger sind wir froh, dass das Publikum unterscheiden kann», so Boyce. Er betont aber auch: «Wir haben als Darsteller die Aufgabe, die Vision der Regie umzusetzen.» In München hatte Boyce 2009 eine kleine Rolle in Richard Wagners «Lohengrien». Die Titelrolle wurde von dem internationalen Star Jonas Kaufmann gesungen. «Er stand in Trainingshose und T-Shirt auf der Bühne», so Boyce. «Ich selbst war als Soldat präsent und hatte viel Zeit, das Bühnengeschehen zu beobachten.» Einer bekannten Mezzosopranistin gefielen die Regieanweisungen nicht. «Bei ihrem Auftritt tauchte sie plötzlich an einem ganz anderen Ort auf, als sie eigentlich sollte», erinnert sich Boyce lachend. «Als Anja Harteros ihre Arie sang, stand die andere plötzlich direkt vor ihr.» Doch solche «Proteste» seien eher selten. Als Dr. Falke trägt Boyce in der Inszenierung von Alexander Kreuselberg einen schlichten Frack, während die anderen rund um ihn herum die schillerndsten Kostüme tragen. «Lieder wie Brüderlein und Schwesterlein zu singen, das ist schon ein Privileg», schwärmt er. «Die Freude, wieder auf der Bühne zu stehen, war bei allen gross.» Coronabedingt musste etwa die impressionistische Oper «Pelléas et Mélisande» von Claude Debussy abgesagt werden. Boyce hätte die Titelrolle gehabt. «Diesen Part nicht singen zu können, bedauere ich sehr.» Schmerzhaft sind für Boyce und seine Kolleginnen und Kollegen auch die vielen Kündigungen, die bei Konzert Theater Bern mit dem Intendantenwechsel ausgesprochen wurden. «Bis auf Claude Eichenberger wurde uns allen gekündigt.» Es steht noch in den Sternen, wohin es Boyce als Nächstes zieht. Wer die sonore Stimme des Baritons bei sich zu Hause erklingen lassen möchte, sollte an der Bärnerbär-Verlosung teilnehmen: Der Sänger wird nicht als Fiesling auftreten, sondern voraussichtlich Volkslieder wie etwa das irische «Danny Boy» anstimmen.
Helen Lagger