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Der Wahnsinn auf dem Bundesplatz

Die Radiofrau und Theater­schaffende Magdalena Nadolska kommentierte 2019 live, was am Frauenstreik in Bern abging. Der Sender? Erst kurz vorher gegründet.

Wer am 14. Juni 2019 den Bundesplatz betrat, erlebte Eindrückliches. Ein Durchkommen war kaum mehr möglich. Die Demonstrierenden – mehrheitlich Frauen – standen dicht an dicht, waren aus der ganzen Schweiz angereist, um auf die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern hinzuweisen. Die Anliegen dieser Neuauflage von 1991 waren dieselben: gleiche Löhne für gleiche Arbeit, Bekämpfung von Sexismus und sexueller Gewalt.
Magdalena Nadolska, Theaterschaffende und Projektleiterin bei Radio RaBe, streikte an diesem Tag nicht. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund hatte bei Radio RaBe angefragt, ob sie gemeinsam mit verschiedenen alternativen Sendern wie Radio X oder LoRa ein Radio Frauenstreik produzieren wolle. Man hatte gemerkt: Beim Frauenstreik von 1991 hatten auch Journalistinnen und Moderatorinnen gestreikt, weshalb das ganze Geschehen aus männlicher Perspektive überliefert bleibt. «Das wollten wir dieses Mal anders machen», so Nadolska. «Wir haben uns dazu entschieden, 24 Stunden lang keine einzige männliche Stimme über den Äther zu senden.» Eine Playlist ausschliesslich mit Sängerinnen wurde programmiert, Live-Schaltungen zu systemrelevanten Care-Arbeiterinnen, für die der Streik keine Option war, organisiert.
Am Nachmittag um viertel nach drei folgte der Aufruf, die Arbeit niederzulegen und mit Pfannen oder was auch immer gerade zur Verfügung stand, Lärm zu machen. Auf dem Bundesplatz gab Bundesrätin Sommaruga im Sendebus von Radio Frauenstreik ein Live-Interview.

«Ich fühlte mich wie Heidi»
Die Autorin und Performerin Sandra Künzi moderierte und entertainte auf einer speziell für den Anlass errichteten Bühne. «Der Streikzug war so lang, dass Künzi irgendwann befand, man müsse mit dem Programm innehalten, bis die Streikenden wieder auf den Bundesplatz zurückkehrten», erinnert sich Nadolska. Künzi forderte Nadolska kurzerhand auf, die Bühne zu betreten. «Ich habe ein Meer von Menschen gesehen.» Gänzlich unvorbereitet rief sie den Anwesenden Parolen wie «24 Stunden nur weibliche Stimmen!» zu. Die Menge tobte und Nadolska fühlte sich plötzlich wie ein Rockstar. «Ich hatte noch nie eine solche Energie gespürt.»
Nadolska kam als 11-Jährige von Polen in die Schweiz, wo sie sich gemeinsam mit ihrer Mutter in der Lenzerheide niederliess. Sie konnte kein Wort Deutsch und wurde an ihrer neuen Schule von Jungs unter einer Ladung Schnee begraben. Doch trotz dieser unfeinen Begrüssung gefiel ihr die neue Heimat auf Anhieb. «Ich fühlte mich wie Heidi in diesem Land, wo alles so neu und sauber aussah.» Gut möglich, dass die eigene Migrationsgeschichte sie für Diskriminierungen jeglicher Art sensibilisiert hat. «Mein Elternhaus war unpolitisch, ich habe erst an der Universität meine aktivistische Seite entdeckt.»

Sorgen um erste Heimat
Nadolska hat in Bern Theaterwissenschaft, Medienwissenschaft und Pädagogik studiert. An der Uni lernte sie ihren Mann, einen Berner, kennen. «Die bringt man bekanntlich schlecht weg aus ihrer Heimatstadt», sagt sie lachend. Die beiden Töchter, 10 und 6 Jahre alt, wissen natürlich, was der Frauenstreik ist. «Ich finde es wichtig, dass sie mitbekommen, dass auch der Papa das Bad putzt und die Mama arbeiten geht», so Nadolska. Dass der Frauenstreik eine gewisse Sensibilisierung hervorgebracht hat, davon ist sie überzeugt. «Der Lehrpersonenmangel zeigt doch jetzt einmal mehr, wie wichtig faire Löhne in sogenannten Frauenberufen wären.»
Sorgen macht Nadolska die zunehmende Verhärtung der Fronten, gerade auch in ihrer ersten Heimat Polen, wo Konservative mit Unterstützung der katholischen Kirche Frauenrechte
wieder stark zu beschränken versuchen. Als Nadolska in die Schweiz kam, durfte sie Ministrantin sein, was den polnischen Mädchen nicht erlaubt war. «Das war für mich eine tolle Bühne», erinnert sie sich. Der performative Akt habe sie mehr interessiert als die Religion selbst.
Auf einer Bühne stehen wird Nadolska am kommenden 14. Juni nicht. Sie will Stände besuchen und auf dem Bundesplatz die Rede einer Freundin verfolgen. Ihren Rockstar-Moment hatte sie ja bereits.

Helen Lagger

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