Kultur260121 Giger

«Die Kultur hat keine so gute Lobby wie der Ski-Tourismus»

Der Fotograf, Filmer und Jour-nalist Bernhard Giger (68) ist Präsident des Vereins bekult. Im Gespräch erzählt er, wie Corona die Kultur verändert, warum er genug von Streamingshat und wie er einst in New York Andy Warhol fotografierte.

Bernhard Giger wohnt in einer Altbauwohnung mit Wandmalereien, vielen Büchern und einem langen Holztisch. Auf diesem liegen vier Fotografien, die während des Lockdowns entstanden sind. «Ich habe rund um das Rathaus fotografiert, als die Stadt so gut wie leergefegt war», so Giger. Bei den Aufnahmen, die, wenn es die Situation zulässt, wohl bald in einer Ausstellung in der Galerie Béa-trice Brunner zu sehen sind, handelt es sich um sogenannte Streetphotography, die mit viel Sinn fürs Anekdotische eine Geschichte erzählt. Der Blick in ein geschlossenes Altstadtgeschäft, in dem Modell-Segelschiffe und Muscheln in der Vitrine liegen, löst Sehnsucht aus: Wann wird man wieder unbeschwert reisen können?
Giger weiss als Kulturschaffender und Präsident des Dachverbandes bekult (siehe Box), wie hart die Co-ronakrise die Kultur getroffen hat. Während zwölf Jahren hat er das Kornhausforum geleitet. «Meine Ab-schlussausstellung konnte ich noch nicht eröffnen.» Die meisten Betriebe durften zwar Kurzarbeit beantragen oder haben Ausfallsentschädigungen erhalten. Dass dies mit einer bestimmten Bürokratie einhergeht, versteht sich von selbst. Viele freischaffende Musiker und Schauspieler, die nicht mehr auftreten können, stehen vor existenziellen Problemen. «Es herrscht unter Kulturschaffenden mittlerweile ein gewisser Fatalismus», so Giger. Ihr frommer Wunsch: Sagt uns doch einfach, wann wir weitermachen können. Dabei wird gestreamt, was das Zeug hält: Theaterproduktionen, Tanzveranstaltungen und Diskussionsplattformen werden aufgezeichnet. «Das kann nicht die Zukunft sein. Es ist furchtbar langweilig», seufzt Giger. Der glühende YB-Fan vergleicht es mit den Geisterspielen im Fussball. «Es kann auf Dauer nicht funktionieren.»
Er möchte nicht in der Haut der Entscheidungsträger stecken und hat Verständnis für gewisse Entscheidungen. Doch als der Kanton Bern vorpreschte und die Museen schloss, sei das für die Kulturschaffenden irritierend gewesen. «Ich habe mehrere Protestbriefe verfasst und unterschrieben», sagt Giger. «Die Kultur hat keine so gute Lobby wie etwa der Ski-Tourismus. Doch ein gewisses Verständnis ist da und es fliesst auch Geld.» Wie viel das im Einzelnen sei, könne er nicht sagen. «Es gibt auch private Hilfe, etwa wenn aus eigenen Stücken auf Mieten verzichtet wird.»

Porträt von Warhol
Wenig Budget hatte Giger, als er 2009 zum Leiter des Kornhausforums er-nannt wurde. «Man gab dem Betrieb wenig Kredit», erinnert er sich. Trotz schwieriger Umstände machte Giger mit zwölf bis vierzehn Ausstellungen pro Jahr die Institution über Bern hinaus bekannt.
Gigers Liebe zur Fotografie zieht sich als roter Faden durch sein Ausstellungsprogramm. 2016 würdigte er mit «Carl Durheim. Wie die Fotografie nach Bern kam» einen Pionier und seinen Zeitgenossen. 2018 zeigte er das Schaffen des Berner Fotoreporters Walter Studer. Gigers eigenes fotografisches Werk wurde 2014 in der Galerie Bernhard Bischoff gezeigt.
Giger hat die Zeiten des Aufbruchs, die Siebzigerjahre, hautnah miterlebt. Er reiste als Zwanzigjähriger durch Europa und die USA und hielt mit seiner Kamera Künstlerinnen und Künstler in Schwarzweiss fest. In New York erhielt er die Gelegenheit, Andy Warhol in seiner Factory zu fotografieren. «Es waren andere Zeiten als heute. Man konnteviel leichter mit Berühmtheiten in Kontakt kommen.» Auf einem Porträt von Giger liest Warhol die Zeitung. Wirklich gelesen hat der Mann mit dem Sinn für Inszenierungen diese allerdings nicht. «Warhol stellte in den 15 Minuten, in denen ich Zeit mit ihm verbrachte, ganz bewusst einen Künstler dar, der eine Zeitung liest.»

Freisinniges Elternhaus
Der Berner hat eine Lehre zum Fotografen gemacht, weil er Filmer werden wollte. Als er beim alternativen Kellerkino arbeitete und Filmkritiken schrieb, mahnte ihn seine spätere Produzentin Theres Scherer, wenn er Filme machen wolle, müsse er damit noch vor dreissig beginnen.
Mit «Winterstadt» (1981) gelang Giger das Porträt einer Generation im Aufbruch, die vieles kalt und dröge findet und dagegen rebelliert. «Das war der Zeitgeist, nicht nur in Bern.» Giger selbst stammt aus einer bürgerlichfreisinnigen Familie, sein Vater war Parteipräsident, die Schwester Gemeinderätin. Kultur spielte in seinem Elternhaus eine wichtige Rolle. Die damals sehr teure Amerikareise, die Giger zu Warhol führte, finanzierten seine Eltern.
Bernhard Giger, der 1988 Vater ei-nes Buben wurde, hat trotz seines internationalen Denkens und Schaffens Bern stets die Treue gehalten. «Die Lebensqualität hier ist grossartig», sagt er und blickt aus dem Fenster. Dass in seiner Gasse wegen des guten Lichtes früher viele Fotoateliers, angesiedelt waren, bestätige ihm, dass er hierher gehöre.

Helen Lagger

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