Die Berner Künstlerin Silvia Gertsch stellt zurzeit im Vitromusée in Romont ihre Hinterglasmalerei aus. Mit dem Bärnerbär sprach sie über Licht, Farbe und ihre eigens entwickelte Technik.
Was erwartet uns? Das fragen sich wohl viele in dieser krisenbeladenen Zeit. Die Frage schwebt auch über dem Gemälde «Moskau» (2017), welches den Auftakt zur Ausstellung «Lumière et contrejour» der Künstlerin Silvia Gertsch bildet. Diese präsentiert aktuell ihre Hinterglasmalerei im Vitromuséee in Romont. In besagtem Gemälde hat Gertsch eine junge Frau im Profil festgehalten, die in einem Flugzeug sitzt und durch das Bullauge auf einen schwarzen Himmel schaut, an dem bunte Lichtpunkte aufleuchten. Sind es Sterne oder Lichter der Landebahn?
Die Szene stamme aus einem Film, verrät Gertsch. «Das Mädchen ist ein Model am Anfang ihrer Karriere, das in die Ungewissheit fliegt.» Mit dem gewählten Grünton hat Gersch dem Bild etwas Science-Fiction-mässiges verliehen. «Mit dem Mädchen kann ich mich identifizieren.»
Gertsch wusste selbst lange nicht, was sie werden wollte, beziehungsweise, dass man überhaupt etwas werden muss, wie sie erklärt. Als Tochter des kürzlich verstorbenen weltberühmten Malers Franz Gertsch (1930 – 2022) war es für sie nicht einfach, den eigenen Weg zu finden. «Ich habe lange heimlich gemalt und mich in Musik versucht.» Ihr einstiger Freund habe dem Vater eine Mappe mit Aquarellen gezeigt, was diesen dazu veranlasste zu sagen: «Ich wusste gar nicht, dass du so begabt bist.»
Die Ausstellung als Glücksfall
Seither ist viel passiert. Silvia Gertsch hat sich längst zur eigenständigen Malerin entwickelt, wurde von zahlreichen Institutionen im In- und Ausland gezeigt. Gertsch pflegt eine ganz spezielle Technik der Hinterglasmalerei. Die Glasplatte ist dabei in einem Holzrahmen fixiert. Diese Vorrichtung ermöglicht es ihr, vor dem Glas zu stehen und mit dem Pinsel die Farbe von hinten, auf der Rückseite des Glases, aufzutragen. Gertsch wendet dabei eine Nass-in-Nass Technik an, die es erlaubt, in die noch nicht getrocknete Farbe hinein zu malen.
«Mein Thema ist das Licht», sagt die Künstlerin, die nach etlichen Jahren in Zürich und Italien gemeinsam mit ihrem Partner, dem Maler Xerxes Ach, in Rüschegg einen Rückzugsort fand. Hier lebte auch ihr Vater Franz Gertsch gemeinsam mit seiner Frau und engen Vertrauten Maria Gertsch. «Meine Mutter ist bewundernswert stark in ihrer Trauer», so Gertsch.
Ihre Ausstellung in Romont, die noch bis am 16. April dauert, sieht sie als Glücksfall. Gertsch schätzt die Professionalität und klare Art der Ausstellungsmacherin. «Giese und ihr Team haben eine Ausstellung konzipiert, die sich an der Farbigkeit der Gemälde orientiert, ohne diese chronologisch zu ordnen.»
Charlotte und Eva
Einen thematischen Block bilden die sogenannten Handygirls. Gertsch feierte 2017 gemeinsam mit ihrem Partner dessen 60. Geburtstag auf Schloss Schauenstein und genoss ein Abendessen von Spitzenkoch Andreas Caminada, als ihr eine schöne Japanerin auffiel. Die junge Frau war nonstop mit ihrem Handy beschäftigt.
Der Widerschein im Gesicht der Frau faszinierte die Malerin, die schliesslich unbemerkt ein Foto mit ihrem Handy schoss. Das war die Geburt ihres nächsten Themas Illuminated – die Handygirls. Sie suchte und malte die weiteren Sujets mit den Titeln «Eva», «Henriette», «Shupei», «Aldana», «Charlotte» und «Kiara», insgesamt elf Bilder.
Den von Silvia Gertsch gemalten Mädchen verleiht das Licht, das von ihren Handys ausstrahlt, etwas beinahe Sakrales. Licht und Gegenlicht spielen in allen Gemälden von Gertsch eine wichtige Rolle. Regelrecht golden leuchten die sieben Gemälde, die sie speziell für Romont gemalt hat. In «Via Nassa» etwa sieht man einen Mann und eine Frau von hinten, voranschreitend auf einem Kopfsteinpflaster, auf dem sich starke Schatten bilden. Gertsch hat eine viel bemühte Filmszene umgedreht. «Auf meinem Bild verfolgt die Frau den Mann statt umgekehrt.»
Die «zerfressene» Gertsch
Die Malerin muss nicht in die Ferne schweifen, um ihre Sujets zu finden. Oftmals sind es vermeintlich banale Orte wie eine Unterführung in Bern, die sie als bildwürdig betrachtet. Durch die von der Künstlerin gewählte Farbigkeit und Lichtführung werden aus drögen Orten erhabene Schauplätze. «Summer» (2007) zeigt zwei junge Frauen in der Aare stehend. Gertsch beobachtete die Szene im Eichholz. «Mich faszinierten die kreischenden Mädchen in der reissenden Aare.»
Auch aus Handyschnappschüssen, die rund um den Bahnhof Bern entstanden, hat Gertsch sublime Malerei geschaffen. Etwa indem sie Menschengruppen in gleissendem Gegenlicht eingefangen hat. Wo sich die Joggerin im Gemälde «Sunny» (2022) befindet, kann man nicht erahnen; nur dass sie sich am Meer aufhält. «Es war in Italien und ich habe die rennende Frau im Seitenspiegel des Autos gesehen», so Gertsch. Die Künstlerin lag regelrecht auf der Lauer, bis die Frau genau in der Sonne stand und abdrückte. «Für mich repräsentiert dieses Bild die Leichtigkeit des Seins.»
Das einzige Selbstporträt in der Schau zeigt eine vom Licht gänzlich «zerfressene» Silvia Gertsch. «Ganze Partien fehlen und trotzdem erkennt man mich.» Der Arbeitstitel für ihre kommende Serie lautet – nach dem Hit des österreichischen Sängers Falco – «Out of the Dark». Denn Gertsch ist überzeugt: «Damit Licht strahlen kann, braucht es auch Dunkelheit.» Ein kitschiges Bild habe sie noch nie gemalt, auch wenn sie sich erlaube, einen Sonnenuntergang zu malen.
Helen Lagger
Silvia Gertsch wurde am 27. Juli 1963 in Bern geboren. Sie hat nach ihrer Ausbildung zur Primarlehrerin begonnen, autodidaktisch zu malen. Mit Hinterglasmalerei hat sie sich einen Namen gemacht. Gertsch lebt gemeinsam mit ihrem Lebenspartner, dem Künstler Xerxes Ach und sieben Katzen in Rüschegg.