Der Berner Boris Pilleri begeistert auf seinem neuen Album «Blues Never Sleeps» mit einer Mischung aus Blues, Funk und Soul.
Sie haben mit 62 eines Ihrer besten Alben veröffentlicht. Werden gute Bluesmusiker mit den Jahren immer besser?
Ich glaube schon, dass es möglich ist, wenn man mit Leidenschaft dabei ist und offen bleibt für Neues. Man spielt vielleicht weniger Noten, aber dafür hoffentlich die richtigen. (lacht) Natürlich gibt es auch Musiker und Musikerinnen, die ihre Neugier verlieren und sich nur noch wiederholen. Ich hoffe schon, dass ich mich verbessert und entwickelt habe. Ich weiss, was ich kann, und kenne meine Grenzen.
Haben Sie auch Selbstzweifel?
Sie gehören dazu. Das unmittelbare Feedback des Publikums bei den Konzerten ist toll. Es ist wohltuend, etwas sehr Schönes. Aber es gibt auch Momente, in denen ich mich frage, was ich hier eigentlich mache und wohin ich noch will. Die sind schwierig, aber irgendwie geht es immer weiter. Dabei hilft es mir enorm, dass ich kein Alleinunterhalter bin, sondern Teil einer tollen Band, in der wir uns motivieren, aber auch hinterfragen und kritisieren.
Wie haben Sie Ihre erfolgreichste Zeit Ende der 1980er-Jahre in Erinnerung?
Ich habe meine Lebensqualität nie an Platten- oder Ticketverkäufen gemessen und bin in Anbetracht meines heutigen Songwritings und unseres gereiften Bandsounds viel glücklicher als vor vierzig Jahren. Trotzdem war das damals auch eine gute Zeit. Ich hatte noch keine Familie, war frei, jung und ungestüm – viel unbeschwerter. Das Grundgefühl gegenüber der Musik hat sich aber nicht verändert. Ich freue mich auf jedes Konzert und bin immer noch sehr nervös.
Eigentlich heisst es ja nicht «Blues Never Sleeps», sondern «Rust Never Sleeps». Haben Sie schon irgendwo Rost angesetzt?
Ich versuche täglich eine Stunde oder anderthalb Gitarre zu spielen, damit die Hände und der Geist beweglich bleiben, verstehe mich aber nicht als Hochleistungssportler. Ich finde es hilfreich, wenn einer eine gute Technik hat, aber das Feeling ist mindestens ebenso wichtig. Blueslegenden wie Big Bill Broonzy und B.B. King sind auch keine Blender, haben aber einen Wahnsinnsausdruck.
Wie kam es, dass Sie schon in jungen Jahren dem Blues verfallen sind?
Die erste Begegnung mit schwarzer Musik hatte ich bei meinem Onkel Alfred. Er hatte frühe Platten von Louis Armstrong, Ella Fitzgerald und Mahalia Jackson. Sie haben mir schon als Kind sehr gefallen, auch die Covers und die Gesichter der Menschen faszinierten mich. Später habe ich dem älteren Bruder eines Schulkameraden eine elektrische Gitarre abgekauft und Alvin Lee’s Ten Years After nachzueifern begonnen. Später habe ich auch Santana, Led Zeppelin und den Hardrock für mich entdeckt.
Hat das Musikmachen für Sie heute einen anderen Stellenwert als damals?
Der jugendliche Enthusiasmus ist mit nichts anderem vergleichbar. Als ich Creedance Clearwater Revival zum ersten Mal hörte, fand ich die so toll! Ich habe ihre Platten immer wieder aufgelegt. So etwas mache ich heute nicht mehr. Mit der Erfahrung hört man selektiver und schaltet auch sofort den Sender um, wenn einem die Musik nicht gefällt.
Viele Leute freuen sich auf Ihre Pensionierung. Auch Sie?
Musiker gehen nie in Pension. Die Musik ist für mich ein Jungbrunnen. Finanziell bringt es vielleicht schon eine gewisse Entlastung, wenn ich in drei Jahren AHV-positiv bin.
Wie viel von Ihrem Lebensunterhalt können Sie mit dem Musikmachen bestreiten?
Es ist unterschiedlich und kaum konstant. In diesem Jahr konnte ich zum Glück wieder etwas mehr Konzerte geben, aber ich habe daneben immer in meinem angestammten Beruf als Grafiker und Illustrator gearbeitet. Das ist ein wackliges Standbein, dazu kommt, dass während der Pandemie praktisch sämtliche Aufträge weggebrochen sind.
Sie sind auch an Covid erkrankt. Wie schlimm hat es Sie erwischt?
Es war ganz schön heftig. Erst nach zwei, drei Wochen habe ich mich langsam wieder aufgerappelt. Ich musste sogar beim Gehen Pausen machen. Wie ein gebrechlicher alter Mann. Ich hatte während anderthalb Monaten ein Taubheitsgefühl in den Füssen, in der Hüfte und in den Händen. Hüfte und Füsse waren nicht so tragisch, aber die Vorstellung, kein Gefühl mehr in den Händen haben, machte mir Angst. Ich ging zu einem Chiropraktiker, der mir jedoch auch nicht helfen konnte. Glücklicherweise verschwanden die Symptome später von allein.
Steckt Ihnen die Erfahrung trotzdem noch in den Knochen?
Natürlich. Wenn ich Vespa fahre, trage ich sowieso immer Handschuhe und denke: «Pass auf, nicht stürzen, die Hände!» Ich trage ihnen auch sonst besonders sorge, sogar beim Kochen …
Welches sind Ihre nächsten Pläne?
Ich fahre mit meinen beiden Brüdern nach Triest. Unser Vater, der vor der Corona-Pandemie mit 93 Jahren gestorben ist, stammte von dort. Sein letzter Wunsch war es, dass wir seine Asche vor seiner schönen Heimatstadt im Meer verstreuen.
Reinhold Hönle
Boris Pilleri wurde am 4. November 1960 in Bern geboren und wuchs in Bolligen auf. Der gelernte Grafiker gilt als einer der besten Blues-Gitarristen der Schweiz. Mit seiner Band Jammin’ The Blues, die heute Boris Pilleris Jammin’ heisst, machte er sich als Liveact über die Landesgrenzen hinaus einen Namen und spielte auch in den Vorprogrammen von Koryphäen wie John Mayall, Eric Burdon, Deep Purple oder ZZ Top. Mit seinem neuen Album «Blues Never Sleeps» tritt er am 24.März 2023 im Bären Münchenbuchsee sowie am 20. Mai 2023 in der Mahogany Hall auf (weitere Konzertdaten: jammin.ch).