Mariananda Schempp steht im Stadttheater zurzeit als Momo auf der Bühne. Im Gespräch erzählt sie, wie sie den Zeitdieben ins Handwerk pfuscht und warum Bern
für sie eine Art Insel ist.
Im Foyer des Stadttheaters ist es saisonbedingt schon frühabends ziemlich dunkel. Kurzerhand bringt ein Techniker ein Lämpchen vorbei, damit der Bärnerbär mit Schauspielerin Mariananda Schempp ausserhalb der Betriebszeiten parlieren kann. «Dass man die Leute kennt, das liebe ich am Theater», sagt Schempp. Sie meine die Techniker, die Leute von der Maske oder in der Schneiderei. «Diese bleiben meist über viele Jahre und wenn du auf die Bühne zurückkehrst, dann ist das wie ein Heimkommen.» Die Darstellerinnen und Darsteller hingegen müssen meist – häufig bei einem Intendantenwechsel – nach einigen Spielzeiten weiterziehen.
Schempp war von 2015 bis 2018 festes Ensemblemitglied bei Bühnen Bern. Sie war unter anderem in «Der gute Mensch von Sezuan» von Bertolt Brecht zu sehen, stand als «Penelope» auf der Bühne oder verkörperte im Musical «Coco» das weibliche Ich der zerrissenen Transsexuellen und Berner Persönlichkeit. Mit Jahrgang 1990 gehört Schempp einer anderen Generation als Eve-Claudine Lorétan (1969 bis 1998) alias Coco an. Um ihre Figur zu verstehen, recherchierte sie ausgiebig und traf sich mit Weggefährten der Verstorbenen.
Mit der Hauptrolle in «Momo» kehrt Schempp nun als Gast zu Bühnen Bern zurück. Die Theatertruppe VORORT inszeniert im Stadttheater das traditionelle Weihnachtsmärchen, das wohl für viele Kinder das erste, prägende Theatererlebnis darstellt.
Der Anfang von allem
Das Stück «Momo» basiert auf dem gleichnamigen, 1973 erschienen Kultroman von Michael Ende (1929 bis 1995). Das Waisenkind Momo wohnt in einem Amphitheater und lebt mit ihren Freunden Beppo Strassenkehrer und Gigi Fremdenführer in den Tag hinein. Zumindest bis die grauen Herren auftauchen: Mysteriöse Zeitdiebe, die Momo zur Feindin erklären. Denn Momo hat Zeit und kann zuhören. Mit der Schildkröte Kassiopeia im Gepäck macht sie sich auf, die gestohlene Zeit der Menschen zu befreien. «Momo lebt frei von Konventionen und Vorurteilen», so Schempp über die Figur. «Ich selbst bin nicht so verträumt wie sie, eher ein Kopfmensch.»
Die Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, die sie in Berlin besuchte, legte grossen Wert auf Technik. «Es ist eine typisch ostdeutsche Schule, die dich lehrt, eine gewisse Distanz zu den gespielten Figuren einzuhalten, nicht zu ihnen selbst zu werden, wie es andere Methoden fordern.» Schempp ist als Tochter eines Deutschen und einer Peruanerin in Lima geboren. Sie hat dort die deutsche Schule besucht und entschied sich nach dem Abitur für ein Literaturstudium. «Die Universität war nichts für mich. Mir fehlte das Praktische», räumt sie ein.
Seit ihrer Jugendzeit spielte sie in zahlreichen Theaterprojekten mit. Nach einer Vorführung gab ihr die Neuenburger Regisseurin und Komponistin Marianne de Pury, die in Lima ein Stück inszenierte, in dem Schempp spielte, einen Zettel. Sie hatte die Adressen von vier deutschen Schauspielschulen darauf notiert. Bei Ernst Busch hatte de Pury «super» vermerkt. «Das war der Anfang von allem», sagt Schempp über diese schicksalshafte Begegnung.
«Ich wollte mich integrieren»
Im Rahmen eines sogenannten Absolventenvorspiels, bei dem Theaterleute schauen, ob jemand in ihr Ensemble passt, wurde Schempp 2014 von Bühnen Bern nach Bern eingeladen. Hier spielte sie sich rasch in die Herzen des Publikums. Schempp spricht fliessend Mundart. «Ich wollte mich integrieren», meint sie knapp. «Wenn ich in Bern einfahre, denke ich immer, dass die Stadt wie eine Insel ist. Ich habe das Gefühl anzukommen.» Als klein, idyllisch und übersichtlich, aber mit genügend interessanten Menschen beschreibt sie ihren liebgewonnenen Wohnort. «Der langsame Rhythmus gefällt mir.
Diese Haltung passt zu ihrer aktuellen Rolle. Sagt doch die weise Schildkröte Kassiopeia zu Momo im Stück: «Je langsamer, desto schneller.» Auf leisen Sohlen entkommt sie mit dieser Haltung den grauen Herren.
Helen Lagger
Mariananda Schempp wurde am 15. Mai 1990 in Lima geboren. Sie hat dort an der deutschen Schule Abitur gemacht, bevor sie an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin studierte. Zwischen 2015 bis 2018 war sie im Ensemble von Bühnen Bern.