Romane Ruggiero ist seit 2021 festes Mitglied im Tanzensemble bei Bühnen Bern. Im Gespräch erzählt sie, wie Hypnose wirkt und warum sie auf der Bühne auch mal sich selbst darstellt.
Vortanzen und bewertet werden gehört zum Beruf aller Tänzerinnen und Tänzer. Die Französin Romane Ruggiero wollte an der renommierten Codarts Hogeschool voor de Kunsten in Rotterdam aufgenommen werden und musste gemeinsam mit siebzig anderen Kandidierenden um einen Platz buhlen. Die Aufgabe lautete «Be the Music». Man sollte also selbst zur Musik werden. Alle machten langsame, gedehnte Bewegungen. Sie entschloss sich, aus der Reihe zu tanzen und hob sich mit schnellen, energetischen Moves ab. Sie wurde genommen. «Ich bin bis heute ein sehr dynamische Tänzerin», sagt Ruggiero, die seit 2021 festes Ensemblemitglied bei Bühnen Bern ist. Die im Herbst 2021 aus gesundheitlichen Gründen zurückgetretene Ballett-Direktorin Estefania Miranda hatte sie in Rotterdam entdeckt und als Elevin nach Bern geholt. «Ich hatte grosse Lust, hierherzukommen», erzählt die Frau, die sich mit drei anderen Tänzerinnen am Loryplatz eine Wohngemeinschaft teilt. «Ich wollte mich nicht in eine Schublade stecken lassen.» Bis im Sommer ist sie noch am Tanzabend «Iconic» zu sehen, wo sie zwei sehr unterschiedliche Choreografien tanzt. «Bei Andonis Foniadakis musst du dein Innerstes nach aussen kehren und dieses dem Publikum zeigen, bei der Choreografie von Sharon Eyal hingegen musst du deine Energie zügeln und durch Blicke und einfache Gesten kommunizieren.»
Ruggieros verrückter Traum
Ruggiero war gerade mal dreieinhalb Jahre alt, als sie mit Ballett anfing. «Meine Mutter wollte, dass ich etwas Ausserschulisches mache, mich bewege.» Spätestens im Alter von acht Jahren wusste sie schliesslich: «Das ist es, was ich machen will.» Sie besuchte in ihrer Heimatstadt Nizza die Privatschule Offjazz, wo ein Lehrer fest an ihr Talent glaubte und sie motivierte, es in Rotterdam zu versuchen. Ihre Eltern, die in der Provence ein Restaurant führten, unterstützten ihr einziges Kind. «Mein Vater ist Koch und sehr kreativ», so Ruggiero. Manchmal tausche sie sich mit ihm über ihre Arbeit aus, wobei sie sich häufig einer kulinarischen Bildsprache mit Begriffen wie «versalzen» oder «zu fad» bedienten. Ruggieros verrücktester Traum? «Ich hätte gerne einmal die Gelegenheit, mit der belgischen Compagnie Peeping Tom zu tanzen.» Die Truppe ist bekannt für eine hyperrealistische Ästhetik in Settings, wie einem Garten, einem Salon oder einem Keller. Den Darstellerinnen und Darstellern wird nicht nur tänzerisches, sondern auch schauspielerisches Talent abverlangt. «Diese Form von zeitgenössischem Tanz fasziniert mich.»
«Hat nichts mit Magie zu tun»
Im Rahmen des Projektes «Next Generation» wird die Tänzerin selbst eine Choreografie für Bühnen Bern erarbeiten können. Sie will ein Stück mit drei Tänzerinnen und einem Tänzer inszenieren. «Es geht dabei um Momente, in denen das Leben uns überwältigt und wir unser Ego hinter uns lassen müssen.» Auslöser waren eigene Erfahrungen. «Ich habe eine schwierige Trennung hinter mich gebracht», erklärt Ruggiero, die glaubt, dass es Situationen gibt, in denen man keine Maske mehr tragen kann. «Im Laufe des Stückes durchlaufen die vier unterschiedlichen Charaktere auf der Bühne eine Entwicklung.». Die elektronische Musik dazu komponiert Ruggiero am Computer gleich selbst. «Ich weiss einfach am besten, was ich will.» Inspiriert ist sie von Menschen und Begegnungen. «Mich fasziniert, dass jede und jeder die Dinge ganz unterschiedlich angeht.» Sie selbst schöpft Kraft aus Hypnosetechniken. «Als Tänzerin musst du lernen, mit Stress umzugehen. Etwa der Angst, sich zu verletzen.» Während des Lockdowns absolvierte sie eine Ausbildung zur Hypnosetherapeutin und kann seither nicht nur sich selbst, sondern auch andere hypnotisieren. «Es hat nichts mit Magie zu tun. Es geht darum, mit seinem Unterbewusstsein in Kontakt zu treten.» Sich ständig weiterzuentwickeln, liegt Ruggiero auch beruflich am Herzen. Im Moment steckt sie mitten in den Proben zum Stück «Le troisième sexe» von Caroline Finn und Etienne Béchard. Verhandelt wird dabei die Unterscheidung zwischen biologischem und sozialem Geschlecht. «Ich stelle mich selbst dar, stehe als Romane auf der Bühne.» Romane, wer ist das? «Jemand, der nicht wie alle anderen ist, aber damit im Reinen ist.» Und «Ich bin eine Frau, die in diesem Körper geboren wurde und sich darin wohlfühlt.»
Helen Lagger