Die Violinistin und Konzertmeisterin Isabelle Magnenat gehört seit über dreissig Jahren zum festen Ensemble des Berner Symphonieorchesters. Warum Mario Venzago ihr als Dirigent fehlt und wieso eine Bratsche weniger hysterisch klingt als eine Geige.
Im Casino will sich die Geigerin Isabelle Magnenat mit dem Bärnerbär treffen. Hier fänden schliesslich die sichtbarsten Auftritte des Berner Symphonieorchesters (BSO) statt und nicht im Stadttheater, wie viele fälschlicherweise meinten. «Klar spielen wir dort auch. Aber im Orchestergraben zu verschwinden, ist nicht unbedingt das, was sich Musikerinnen und Musiker wünschen», sagt die gebürtige Genferin. Seit mehr als dreissig Jahren ist sie bereits Teil des Ensembles als zweite Konzertmeisterin und als eine der 14 Spielerinnen und Spieler im Register der 1. Geigen. Sie lebt mit ihrem Mann, dem kanadischen Pianisten James Alexander, mit dem sie zwei erwachsene Töchter hat, in Bern. Die Musik begleitet sie seit ihrer Kindheit. «Meine Eltern sind Altphilologen und haben mir und meinen Geschwistern eine sehr klassische Bildung zukommen lassen», erinnert sie sich. Das Musizieren galt in Magnenats Elternhaus als Disziplin, die man ernst nahm. Ihr Vater spielte selbst Geige. Da ihr Bruder Cello spielte und die Schwester Klavier, blieb für Magnenat als Jüngste die Geige übrig. «So ergab sich ein schönes Trio.»
Mit seinem Spiel überraschen oder auch mal schocken
Was macht den Reiz dieses Instrumentes aus? «Die Geige gleicht sehr stark der menschlichen Stimme. Man kann sie regelrecht vibrieren lassen», so Magnenat. Und fügt an: «Das Repertoire ist einfach unglaublich.» Später, als sie an der Hochschule in Wien und am Konservatorium in Utrecht studierte, kam die Liebe zur Bratsche dazu. «Im Geigenstudium gehört das Kennenlernen der Bratsche als zweites Instrument dazu», erklärt sie. «Das Instrument kommt mit seinem dunkleren, tieferen Klang sehr gut an, ist sozusagen weniger hysterisch als die Geige mit ihren hohen Tönen.» Magnenat studierte nach der Matura kurz Griechisch, Kunstgeschichte und französische Literatur. Da sie aber bereits als Zuzüglerin im Orchestre de la Suisse Romande spielte und nicht wie ihre Eltern Lehrerin werden wollte, entschied sie sich bald ganz für die Musik. Und es war ihr klar, dass sie ins Ausland gehen würde. «Man muss als Musikerin weggehen», ist sie überzeugt. Magnenat hatte die Wahl zwischen Wien und Indianapolis. «Ich habe mich für Europa, für die kulturell aufregendere Stadt entschieden.» Später studierte sie in Utrecht, wo der lettische Professor Philippe Hirschhorn (1946-1996) sie prägte. Er brachte ihr bei, wie man sich ans Publikum wendet. «Ich hatte bis daher gelernt, wie man korrekt spielt, aber nicht, wie man die Aufmerksamkeit auf die Musik zieht, indem man mit seinem Spiel auch mal überrascht oder gar schockt.» Dass sie in Bern die erste Geige spielt, ist kein Zufall. «Ich bin jemand, der gerne Verantwortung trägt.» Und die erste Geige höre man nun mal stärker als die anderen, die das Spiel bereichern. «Wäre eine zweite Geige gesucht worden, hätte ich mich wohl nicht für diese Stelle in Bern beworben.»
Der Reiz der Kammermusik
Unter der Leitung des Dirigenten Mario Venzago, der beim Berner Symphonieorchester (BSO) von 2010 bis 2021 amtete, spielte Magnenat zahlreiche Konzerte. «Er war kein gewöhnlicher Chef», meint Magnenat, die in Venzago einen neugierigen und brillanten Intellektuellen sieht. Venzago fehlt. Momentan ist die Stelle unbesetzt. Das Orchester, das mitbestimmen kann, wer als Nächstes dirigiert, hat sich noch nicht zu einer Wahl durchringen können. «Wir arbeiten zurzeit mit Gastdirigenten», verrät Magnenat. Nebst der klassischen Musik des beginnenden 20. Jahrhunderts begeistert die Geigerin sich auch für alles Zeitgenössische. Mit dem Genfer Ensemble Contrechamps trat sie weltweit als Geigerin und Bratschistin auf, manchmal auch gemeinsam mit ihrem Mann, den sie in Bern kennengelernt hat. An den Auftritten mit dem BSO schätzt sie die gemeinsame Energie, die entsteht; aber ihr Herz gehört der Kammermusik. «Man kann dabei als Geigerin nicht in der Masse verschwinden, es gibt keinen Chef und man ist dadurch hundertprozentig verantwortlich für sein Spiel.» Ihr Wissen gibt sie auch als Lehrerin weiter. «Ich bin anspruchsvoll und direkt, aber hoffentlich freundlich», beschreibt sie ihren Unterrichtsstil. Kein Blatt vor den Mund nimmt sie auch, wenn es darum geht, die Sanierung des Casinos zu kommentieren. «Als ich das Casino Ende der Achtzigerjahre erstmals betrat, erschien es mir wie das Paradies.» Magnenat war begeistert von den schönen Sälen und den weissen Tischtüchern, die gut rochen. «Das Casino hatte noch nicht diesen Anstrich von Nouveau riche und auch die Akustik war wohl besser.»
Helen Lagger