Zsolt Czetner leitet seit 2012 den Chor von Bühnen Bern. Im Gespräch erzählt er, warum seine Leute alles Profis und auch menschlich einmalig sind.
Die Medien machten ihn über Nacht zum Wunderkind, wie Zsolt Czetner sich erinnert. Der aus Ungarn stammende Chorleiter bei Bühnen Bern schaffte es schon als junger Musiker auf die Titelseiten seiner ungarischen Heimatstadt Stuhlweissenburg (ungarisch: Székesfehérvár). Mit gerade einmal 11 Jahren wurde er in die «Klasse für besondere Talente» der Franz- Liszt-Musikakademie in der Hauptstadt Budapest aufgenommen und machte sich als Pianist einen Namen. «Ich fehlte oft bei Prüfungen in der Schule, weil ich an Konzerten teilnehmen musste.» So lernte er früh mit Neid und Bewunderung seines Umfelds umzugehen. «Ich war fast immer unter Erwachsenen und in meiner Klasse ein wenig ein Einzelgänger.» Czetner studierte Klavierspiel und Gesangsleitung, trat international mit Chören auf und fand schliesslich eine Stelle am Königlichen Opernhaus La Monnaie in Brüssel. «Es war wohl meine wichtigste Etappe, um Musiker zu werden», meint Czetner, der mit Stars wie Plácido Domingo oder Edita Gruberová zusammenarbeitete. Er kletterte die Karriereleiter hoch und mauserte sich vom Chorpianisten und Korrepetitor zum Assistenten des Chordirektors hin zum Assistenten des Dirigenten und schliesslich zum Chorleiter.
Sänger als Geister
In Bern, wo Czetner 2012 sein Engagement antrat, dirigiert er selbst jede Spielzeit ein Chorkonzert. Sein Chor besteht aus 32 festangestellten Sängerinnen und Sänger. «Es sind alles Vollprofis», betont er. Manche waren als Solisten unterwegs, bevor sie zu Bühnen Bern kamen. Aus über zehn verschiedenen Nationen stammen die Sängerinnen und Sänger mit unterschiedlichen Stimmlagen – das Spektrum reicht vom Bass bis zum Sopran. Aktuell stehen die Männer des Chores in der Oper «I Capuleti e i Montecchi» (Romeo und Julia) von Vincenzo Bellini auf der Bühne. Ihre Rolle sei bei dieser Produktion eine spezielle, verrät Czetner. «Sie spielen Geister.» Als Kostprobe spielt der Chorleiter eine dramatische Passage auf seinem Klavier vor. «Hier geht Romeo in den Keller runter und wird die scheinbar tote Julia finden», erklärt er. Und fügt an: «Es ist sehr wichtig, die jeweilige Geschichte und die Figuren richtig zu verstehen.» Eine Lieblingsoper hat er keine. «Ich mag alles, von Barock bis modern.» Als Chorleiter will Czetner stets das Beste aus seinen Leuten herausholen. Die 15 Damen und 17 Herren müssen nicht nur singen können, sondern auch über Schauspieltalent verfügen sowie ein besonderes Können für Sprachen haben. Schliesslich können sie nicht mit Notenblättern auftreten, sondern singen alles auswendig; auf Italienisch, auf Polnisch oder Deutsch – je nachdem, was das jeweilige Stück halt gerade verlangt. Im Vergleich zu anderen Häusern ist der Chor in Bern eher klein. «Wir müssen klug mit unseren Ressourcen umgehen, damit es klingt.» Als Chorleiter sucht Zsolt Czetner nach Präzision und Einigkeit. «Ein demokratischer Chor wäre eine Kakophonie», sagt er lachend. Doch es ist ihm auch wichtig, die Leute nicht wie Zitronen auszupressen. «Das Ziel ist es, die Motivation über Jahre hoch halten zu können.» Czetner, der mit der Harfenistin Letizia Belmondo verheiratet und Vater dreier Kinder ist, wohnt in Corminboeuf im Kanton Freiburg, ist aber jeden Tag in Bern, wo er überglücklich ist, wie er sagt. «Ich habe ein wunderschönes Team, und zwar musikalisch wie menschlich.»
Die Rolle des Chores: Priester und Sklaven
Czetner, der hofft, dass sein Vertrag in Bern verlängert wird, schliesst nicht aus, in ferner Zukunft wieder als Solist auf der Bühne zu stehen. Doch es stört ihn nicht, als Chorleiter eher hinter den Kulissen zu wirken. «Meine Bühne habe ich jeden Tag im Chorsaal.» Unterschiedliche Meinungen sind vorhanden, doch Politik ist Tabu. «Ukrainer? Russen? Das sind doch einfach Menschen», so Czetner. Den starken Zusammenhalt seines Chores spürte er auch während der Pandemie. «Ich habe Gesang und Musik zuhause aufgenommen und mit den Sängerinnen und Sängern online geteilt.» So konnte der Chor proben und sich auf die Oper «Othello» vorbereiten. «Es war nur möglich, weil alle dazu bereit waren.» In der kommenden Spielzeit steht Mozarts «Die Zauberflöte» auf dem Programm. «Unser Co-Operndirektor Rainer Karlitschek findet, es sei ein Grundrecht für Kinder, diese Oper einmal zu sehen.» Die Rolle des Chores? Priester, Sklaven und Gefolge.
Helen Lagger