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Ein Leben, das mit einer Katastrophe begann

Die Leadsängerin der Band The Jackets hat einen Film gedreht. In «Las Toreras» begibt sie sich auf Spurensuche nach ihrer Mutter, die sich das Leben nahm, als Brutsche noch ein Kind war.

Vor mehr als zehn Jahren trat Jackie Brutsche in ihrer Ein-Frau-Show erstmals als schnauzbärtige Prinzessin auf. Noch bevor die mit einem Bart ausgestattete Dragqueen Conchita Wurst die Bühnen dieser Welt eroberte. «Das Spiel mit den Geschlechtern hat mich schon immer begleitet», so Brutsche. «Mit dem Schnauztragen habe ich zum Spass angefangen, weil ich meistens die einzige Frau im Rockmusik-Zirkus war.»

Brutsche ist unter Männern aufgewachsen, mit Vater und Bruder. Die Mutter war psychisch krank, nahm sich das Leben, als Brutsche gerade einmal zehn Jahre alt war. Der Bruder war in einer Töffli-Gang, liebte Heavy Metal und wenn sie Rollenspiele spielten, war er der König und Brutsche die Magd. Sie begriff: «Jungs haben es einfacher und sind cooler.»

So trug auch Brutsche Cowboystiefel und hörte harte Musik. Nachdem sie an der Hochschule der Künste in ihrer Geburtsstadt Zürich Design und Film studiert hatte, verschlug es sie nach Bern, wo sie bis heute
lebt. «Mir gefällt die freie Theater- und Musikszene hier – sie ist gut vernetzt und entspannt.» Ihre seit 2008 bestehende Garage-Rockband The Jackets bezeichnet sie als Familie.

Kämpferische Kunstfigur
Bei ihren Auftritten als Frontfrau, Sängerin und Gitarristin schlüpft Brutsche in die Rolle ihres Alter Egos, der Kunstfigur Jack Torera, die man an ihrem dramatischen Augen-Make-up erkennt. «Ich bin halb Spanierin und ein typisch eigenwilliger Stier von Sternzeichen», so Brutsche über den Namen ihrer Figur, die in der Arena des Lebens als mutige Kämpferin auftritt. Mit tatsächlichem Stierkampf hat sie hingegen nichts am Hut. «Ich würde es mir niemals ansehen.»

«Las Toreras» lautet der Titel ihres Dokumentarfilmes, der voraussichtlich im Herbst 2023 in die Schweizer Kinos kommt. Brutsche hat mit einer kleinen Crew gedreht und selbst als Regisseurin und Darstellerin fungiert. Dabei gibt es zwei Ebenen: eine dokumentarische und eine fiktive.

Die von der Familie verdrängte Tragödie war der Auslöser für den Film. «Mein Leben hat mit einer Katastrophe angefangen», so Brutsche. Der Tod der Mutter habe sie und ihre Kunst geprägt.» Doch Brutsche liess nicht zu, dass die Tragik ihr Leben überschattete. «Es hat mich stark gemacht. Ich bin fröhlich und dankbar dem Leben gegenüber.»

Der Krankheit auf der Spur
Ihrem Bruder und ihr hatte man nicht viel über die Probleme der Mutter erzählt, deren Leben bis zu ihrem Tod von Klinikaufenthalten geprägt war. «Wir waren zu klein.» Doch die Vergangenheit holte Brutsche ein und blockierte sie, wie sie erklärt. «Ich wollte die für mich existenzielle Geschichte meiner Mutter kennen und erzählen.» Eine Geschichte über eine Frau, die sie inspiriert hat. Und eine Geschichte, die sonst verlorengehen würde. «Psychische kranke Menschen werden stigmatisiert, ihre Lebensläufe oft ausgeblendet.»

Um die Krankheit ihrer Mutter besser zu verstehen, suchte Brutsche sowohl ihre Verwandten in Spanien und der Schweiz auf. Dort befragte sie unter anderen zwei Tanten und stiess nicht nur auf Trauriges, sondern auch auf Erinnerungen an eine emanzipierte Frau, die einst grosse Träume hatte. Die Mutter ist in der Extremadura während der Diktatur von Franco aufgewachsen und hatte die Sehnsucht, nach Paris zu gehen und Schriftstellerin zu werden.

«Wenn es um das Unglück meiner Mutter geht, um ihr Krankwerden, divergieren die Meinungen der spanischen und der schweizerischen Verwandten», meint Brutsche. Ihr Film versucht nun der komplexen Wahrheit gerecht zu werden, beide Seiten zu Wort kommen zu lassen. In der fiktiven Ebene des Filmes kommt die Mutter selbst via Tagebuch zu Wort und die Kunstfigur Jack Torera folgt ihren Spuren und kämpft in der spanischen Wüste gegen die inneren Dämonen der Mutter.

Fans kommen von weit her
Musikerin und Komponistin, Schauspielerin, visuelle Künstlerin, Autorin und Filmemacherin – Brutsche drückt sich in verschiedenen Formen aus. «Diese Vielfalt hat wohl mit dem Do-it-yourself-Gedanken der Punkbewegung zu tun», glaubt sie. «Der eigene Ausdruck, sei es beim Gitarre spielen oder Geschichten erzählen, steht im Vordergrund.»

Mit ihrer Band ist Brutsche längst auch im Ausland bekannt. In den USA, Mexiko und Kanada spielte die Truppe bereits und machte dabei auf die spannende Schweizer Subkultur-Musikszene aufmerksam. Einflüsse aus Rock ’n’ Roll, Psychedelic, Punk, Garage und Soul prägen den Sound von The Jackets.

Am 1. März findet die Plattentaufe des neusten Albums im Rössli in der Reithalle statt. «Unsere Fans kommen teilweise von weit her, um uns spielen zu sehen», sagt
Brutsche, die an der Plattentaufe einmal mehr in die Rolle der düster-kämpferischen Jack Torera schlüpfen wird.

Helen Lagger

Jackie Brutsche wurde am 17. Mai 1977 in Zürich geboren. Sie hat an der Hochschule der Künste Design und Film studiert. Brutsche ist die Leadsängerin der 2008 gegründeten Band The Jackets. Sie lebt in Bern in einer Partnerschaft mit dem Künstler Bone Besmer.

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