Mario Capitanio (56), der ehemalige Gitarrist von Polo Hofer, hat mitten in der Pandemie sein Wirtepatent rausgeholt und ein Crêpes-Business gestartet. Aufgetreten ist er in den Altstadtgassen statt auf grossen Bühnen.
Als Kind hat Mario Capitanio von seinem Elternhaus aus direkt auf den Friedhof gesehen. «Für uns war das ein toller Spielplatz», sagt der Sänger und Gitarrist. «Mein Vater ist Sizilianer, meine Mutter ein Emmentaler Meitschi», fasst er seine Herkunft zusammen.
Aus beruflichen Gründen zog die Familie nach Bern, als Capitanio zwölf Jahre alt war. «Wir wohnten gleich bei der Tramstation Beaumont. Es roch nach frischen Gipfeli im Treppenhaus, weil dort ein Beck war.» Das Gitarrenspielen war keine Liebe auf den ersten Blick. «Meine Mutter hatte mich für den Unterricht angemeldet und ich war mässig motiviert», so der Mann, den heute alle als Polo Hofers Gitarristen kennen. Er hörte wieder auf zu spielen. «Ich war ein Fan von Bruce Lee und wollte Karate machen.» Da der Kurs schon ausgebucht war, meldete ihn die Mutter nochmals zum Gitarrenkurs an. «Schon wieder», habe er gedacht. Doch dieses Mal zog es ihm den Ärmel rein. Capitanio wollte plötzlich nur noch spielen.
Band ist wie eine Beziehung
So entschied er sich für die kürzeste Lehre, die er ausfindig machen konnte. «Ich war Lehrling im Restaurant Frohsinn und trug, wie es sich damals gehörte, eine Fliege.» Polo Hofer ging dort mit seiner Schmetterband ein und aus. «Ich konnte mir damals noch nicht vorstellen, dass wir einst zusammenspielen würden». Zu jener Zeit gründete Capitanio seine erste Band, die Chipmonks. Jeweils nach der Abendschicht im Restaurant hatte er seinen Auftritt. «In einer Band zu sein ist wie eine Beziehung führen. Trennungen gibt es häufig», erklärt Capitanio.
Auf die Chipmonks folgte Tuff Stuff, eine Band, bei der Capitanio zum Leadsänger wurde, weil es mit dem ursprünglichen Sänger Differenzen gab, so dass die Band sich von diesem trennen musste. In den frühen 90er-Jahren war Capitanio Teil der Lizard Kings. Der Name spielte auf das gleichnamige Gedicht von Jim Morrison an. «I am the lizard king, i can do everything», zitiert Capitanio den eingängigen Vers. Die Band machte viele Eigenproduktionen aus dem Gitarren-Rock und Bluesbereich.
Jimmy Hendrix auf Berndeutsch
1994 brachte Capitanio sein legendäres Album «Hey Housi» auf den Markt. Er hatte Jimmy Hendrix‘ Song «Hey Joe» kurzerhand auf Berndeutsch übersetzt. Dass es im Hendrix-Song um einen Mann geht, der seine Frau aus Eifersucht erschiesst, wussten viele wohl nicht. «Das Radio Berner Oberland, das meinen Song spielte, erhielt zahlreiche empörte Anrufe», erinnert sich Capitanio. Polo Hofer hingegen gefiel der Song. «Er wurde zu meinem Mentor.»
Polo Hofer, das sei für die Schweiz eine Figur wie Udo Lindenberg für Deutschland. «Er war der Erste, der auf Mundart gesungen hat.» Hofer vermittelte Capitanio auch zahlreiche Kontakte etwa jenen zu Florian Ast, mit dem er auf Tournee ging. «Hofer meinte, er kenne da einen schüchternen jungen Mann, der einen Gitarristen brauchte.» Auch auf Hofers letztem Album «Ändspurt» (2016) ist Capitanio als Gitarrist zu hören. «Er hatte einen humorvollen Umgang mit dem Tod», erinnert Capitanio sich an den Freund. «Ich besuchte ihn viel in Oberhofen, wo man ihn ‹der Oberhofer› nannte.» Stark abgemagert sei Hofer am Ende gewesen, aber immer zum Scherzen aufgelegt. 2015 spielten die beiden ein letztes Mal auf dem Gurten. Das Konzert fand über Mittag bei strahlendem Wetter statt. Die Menge tobte. «Ein bewegender Moment.»
Coronabedingt ist das Festival nun zum zweiten Mal abgesagt worden sowie zahlreiche Konzerte, die Capitanio mit seiner Band The Magic Five, zu der auch Bruno Dietrich (Schlagzeug) und Pesche Enderli (Bass) gehören, gestrichen werden mussten. «Es ist viel Geld flöten gegangen, aber ich stehe hinter den Massnahmen des Bundesrates», meint der Musiker. Den Lockdown hat Capitanio, der auch ein begnadeter Zeichner und Karikaturist ist, kreativ genutzt. «Ich habe mein Wirtepatent wieder hervorgekramt und betätige mich nun als Gastronom in der Traube Münsingen.» Leckere Crêpes biete er dort über Mittag an.
Mit der italienischen Coverband Zia Lisa – benannt nach dem gefährlichsten Quartier Catanias – brachte er die Musik während des Lockdowns zu den Leuten. «Wir spielten in den Altstadtgassen.» Bitterkalt sei es gewesen und deshalb natürlich herrlich, als jemand Whisky durchs Fenster runterreichte. Frei nach dem Motto «Lasciate mi cantare» – zumindest draussen vor der Tür – gab die Band italienische Klassiker zum Besten.
Helen Lagger