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Ganz oben steht die Sinnlichkeit

Isabelle Bischof ist neue Leiterin der Tanzsparte bei Bühnen Bern. Im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin ist sie keine Tänzerin, sondern hat einen wissenschaftlichen Hintergrund. Ihr Verständnis von Tanz: Es muss kribbeln.

Es war ein ziemlicher Schock, als im Herbst 2021 bekannt wurde, dass Estefania Miranda, erfolgreiche Leiterin der Tanzsparte bei Bühnen Bern, per Ende Jahr aus gesundheitlichen Gründen zurücktreten würde. Die gebürtige Chilenin, die seit 2013 das Berner Ensemble führte, verzeichnete hohe Publikumszahlen und feierte mit Stücken wie «Vier Jahreszeiten» oder «The Sign of the Swan» grosse Erfolge.
Isabelle Bischof, die bisher als Dramaturgin und Produktionsleiterin fungierte, übernahm die Leitung zuerst interimistisch. Im Frühling dieses Jahres gaben Bühnen Bern schliesslich bekannt: Die 33-Jährige übernimmt die Leitung. Im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin verfügt Bischof über keinen tänzerischen, sondern über einen wissenschaftlichen Hintergrund. Sie hat an der Universität Bern Musikwissenschaft, World Arts, Theater- und Tanzwissenschaft studiert. Auf ihr für eine Direktorin junges Alter angesprochen, fragt sie rhetorisch zurück: «Das Alter ist eine Zahl. Was sagt das schon aus?»
Erste Erfahrungen im Theaterbetrieb sammelte Bischof als Dramaturgieassistentin von Merle Fahrholz am Theater Biel Solothurn. Beim Lucerne Festival arbeitete sie im künstlerischen Betriebsbüro für die Orchesterakademie und koordinierte unter anderem ein 100-köpfiges Sommerfestival. «Ich hatte nie eine Karriereleiter vor Augen, sondern bin einfach dem gefolgt, was mich begeistert», sagt Bischof über ihren steilen Aufstieg.

Sprachlose Meerjungfrau
Ihre Masterarbeit an der Uni schrieb Bischof über die Figur Rusalka aus der gleichnamigen Oper von Antonín Dvořák. Basierend auf Andersons Meerjungfrau, verliert auch Rusalka ihre Sprache und wird dadurch zur Fremden, die sich nicht verständigen kann. Bischof untersuchte die Figur als Symbol gegenseitiger Missverständnisse zwischen den Kulturen.
Eine gehörige Portion interkulturelle Kompetenz dürfte ihr auch ihr neuer Job abverlangen: Im Ensemble treffen mehr als zehn verschiedene Nationalitäten aufeinander. Tatsächlich fehlt es in diesem Ensemble an etwas bestimmt nicht: an Diversität. Vom 1,90 Meter grossen Hünen bis zu sehr kleinen zierlichen Tänzer:innen ist alles vertreten. Diese Individualität wird zelebriert. In «Le Troisième Sexe» etwa gaben die Tänzer:innen viel von sich preis, schlüpften in individuelle Kostüme und verhandelten auf fantasievolle Art und Weise Geschlechterrollen und Normen.
Wie führt Bischof ihre Truppe? «Ich bin ein extremer Team-Mensch», meint die Bernerin, die glaubt, dass gemeinsames Nachdenken zu den besten Lösungen führt. «Ich habe mit Estefania Miranda extrem eng zusammengearbeitet und bin immer noch mit ihr in Kontakt.» Einen abrupten Übergang werde es nicht geben. «Auch unter meiner Leitung wird es keine Handlungsballette und keinen klassischen Tanz geben.» Dabei soll die Bewegung im Zentrum stehen, weniger das Performative.
Auch als demokratische Chefin muss sie letztlich die Entscheidungen treffen. «Spielen wir oder nicht?» – diese Frage beschäftigte Bischof, wie wohl alle Kulturschaffenden, während der Corona-Zeit. Sie entschied sich für die Flucht nach vorne und liess, sobald dies möglich war, Auftritte stattfinden.
Wie wird sie das Publikum bei der Stange halten? «Tanz muss das Publikum auf einer sinnlichen Ebene abholen, Momente des Kribbelns schaffen», ist sie überzeugt. Noch läuft Estefanias Spielplan weiter. Die zweiteilige Produktion «The Loss of Nature» wird die neue Spielzeit Anfang November eröffnen. Zwei Choreografinnen wurden dazu beigezogen, Stücke zu entwickeln. Beide arbeiten eng mit den Tänzer:innen zusammen, beziehen ihre Sicht mit ein. Verhandelt wird, wie der Titel des Stückes es ahnen lässt, das komplizierte Verhältnis zwischen Menschen und der Natur.

Sie spricht mit ihren Pflanzen
Dass Bischof selbst keine Tänzerin ist, sieht sie nicht als Problem. «Ich kenne das Ensemble sehr gut.» Ihr Amt versteht sie auch als ein politisches. «Man muss bereit sein, für seine Sparte einzustehen und diese auch nach aussen hin vertreten.» Die Tochter eines Arztes und einer Pflegefachfrau tanzte als Kind Ballett und spielte leidenschaftlich Geige und Bratsche. «Heute habe ich leider nur wenig Zeit für die Musik.» Ein Hobby, das sie sich bewahrt hat, sind ihre Pflanzen. «Ich spreche tatsächlich mit ihnen», gibt sie lachend zu. Beim Gärtnern braucht sie ähnliche Kompetenzen wie als Tanzdirektorin: Empathie und eine gute Hand für Strukturelles.

Helen Lagger

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