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Angélique Beldner: «Ich bin ebenso anders wie alle anderen auch»

SRF-Moderatorin Angélique Beldner thematisiert heute den Rassismus, mit dem sie seit ihrer Kindheit konfrontiert ist und den sie vor «Black Lives Matter» verdrängt hatte.

Im Fernsehen moderieren Sie das Quiz «1 gegen 100». Fühlen Sie sich im Alltag manchmal auch 1 gegen 100?
Sie meinen, ich gegen den Rest der Welt? (Lacht) Nein, ich bin keine Person, die dauernd mit allen anderen auf Konfrontationskurs geht. Ich fühle mich eher schnell irgendwo zugehörig und habe auch das Gefühl, dass ich mich mit den meisten Menschen auf irgendeine Weise verstehe.

Sie fühlen sich in der Schweiz nicht als Teil einer Minderheit?
Wenn Sie damit meine äusserlichen Merkmale ansprechen, bin ich das natürlich schon. In meiner Jugend war ich mit meiner Hautfarbe allein auf weiter Flur. So gesehen fühlte ich mich schon als Teil einer Minderheit. Anderseits wuchs ich in einem komplett weissen Umfeld auf und sah mich somit schon auch als Teil der «Mehrheitsgesellschaft».

Fühlten Sie sich in Ihrer Kindheit als «Berner Meitschi»?
Klar. Denn das war ich ja auch. Ich fühlte mich gleich, wie alle anderen, oder ebenso anders wie alle anderen auch. Gleichzeitig habe ich schon sehr früh gemerkt, dass mein Aussehen als Person of Color dazu führt, dass ich «anders» behandelt werde. Ich würde nicht mal sagen, dass ich stark darunter gelitten hätte. Aber mir war klar, dass ich mich z.B. mehr anpassen muss als andere, um als «gleich» oder «gleichwertig» angesehen zu werden.

Wie sah das konkret aus?
Ich war sehr angepasst. Obwohl das jetzt vielleicht ein falsches Bild von mir vermittelt. Denn ich war bei weitem nicht immer brav, manchmal auch wild, etwas laut und auch mal frech. Als ich mit Martin R. Dean das Buch «Der Sommer, in dem ich Schwarz wurde» zu schreiben begann, sind mir immer wieder Erfahrungen eingefallen, die ich lange verdrängt hatte. Zum Beispiel ist mir eingefallen, dass ich mal mit einer Freundin Streit hatte und ihre Eltern dann zu ihr sagten, sie solle nachsichtig mit mir sein, ich sei halt «anders». Ich habe das damals entschuldigt, weil ich wusste, dass es nicht böse gemeint war. Verletzend war es aber natürlich trotzdem.

Hat das auch Ihr Leben als Erwachsene geprägt?
Ja, ich spürte immer den Druck, mich beweisen zu müssen. Ich aber sehe das nicht mehr nur negativ. Meine Erfahrungen haben mich ja vielleicht auch stark gemacht – ich stehe heute genau da, wo ich gerne stehen will. Weil mir nicht alles in den Schoss gelegt wurde, stehe ich heute da, wo ich stehe. Ich will mich auch gar nicht beschweren. Oft haben die Leute das Gefühl, ich jammere, und zeigen Mitleid, aber darum geht es mir nicht. Ich fühle mich gut und in gewisser Hinsicht sehe ich mich sogar als privilegiert. Das ist auch der Grund, weshalb ich heute öffentlich über Rassismus spreche, was ich früher nie getan habe. Ich fühle mich in gewissem Sinne dazu verpflichtet. Heute kann ich es, wozu mir früher die Kraft gefehlt hätte.

Wie haben Sie am Anfang Ihrer Karriere reagiert, als das Berner Radio Förderband mit dem Slogan «Zum Frühstück heisse Schokolade» für Ihre Morgensendung werben wollte?
Als ich es erfuhr, hatte ich zuerst mal einen Frosch im Hals. Dann habe ich zwar gesagt, dass es mich stört, erhielt aber nur die Antwort, ich hätte zu wenig Humor. Toll war, dass sich das ganze Team dann viel lauter dagegen wehrte als ich damals dazu in der Lage war. Worauf dieser Slogan, ebenso wie der sexistische Spruch «Mit mir können sie duschen», den sie sich für eine andere Moderatorin ausgedacht hatten, im Kübel landeten.

Was bedeutete es Ihnen, als man Ihnen 2005 beim Schweizer Fernsehen sagte, dass die Zeit für eine nicht weisse «Tagesschau»-Moderatorin noch nicht reif sei, und 2015, dass es endlich so weit war?
Ich glaube, unsere Gesellschaft war tatsächlich lange nicht so weit, da dürfen wir uns nichts vormachen. Erst in den letzten Jahren fing man an, sich für eine grössere Diversität in vielen Bereichen einzusetzen. Erst jetzt fängt man an, zu erkennen, wie wichtig dies auch ist. Denn wer sich nicht vertreten fühlt, fühlt sich in einem gewissen Sinne immer ausgegrenzt. Mittlerweile haben in der Schweiz rund 40 Prozent der Menschen eine Migrationsgeschichte.

Wie denken Sie über die Menschen, die sich beklagen, dass sie sich nicht mehr frei äussern könnten?
Ich glaube, wir alle – zumindest hier in der Schweiz – konnten uns noch nie so frei äussern wie heute. Dazu habe ich neulich was Passendes gelesen: Dass sich grundsätzlich alle frei äussern können, führt dazu, dass eben auch Menschen etwas sagen, die lange geschwiegen haben. Alle können und wollen mitreden, das ist gut so. Aber man muss halt damit umgehen können, dass diese Meinung nicht mehr zwingend unwidersprochen bleibt.

Haben auch Sie rassistische Gedanken?
Rassismus ist ja in den allermeisten Fällen nichts Vorsätzliches. Selbstverständlich ertappe auch ich mich dabei – etwa bei Vorurteilen. Ich lerne auch immer noch dazu und bemühe mich, wachsamer zu werden. Ich habe bemerkt, dass ich früher oft automatisch Dinge gedacht oder gesagt habe, bei denen ich jetzt einen Moment innehalten würde, um mein Handeln zu hinterfragen.

Manchmal liegt es wohl in der Tat nur am fehlenden Vokabular. Einmal fand ich nicht heraus, wie ich die Bezeichnung «Woman of Color», die Halle Berry für sich verwendete, auf Deutsch übersetzen sollte.
In der rassismuskritischen Sprache benutzt man heute meist diese englische Bezeichnung. Dies aus dem einfachen Grund, dass praktisch sämtliche deutschen Ausdrücke negativ belastet sind. Eine weitere Möglichkeit ist der Begriff «Schwarz» mit grossem S, weil der Begriff so nicht als Farbbezeichnung gemeint ist, sondern als Selbstbezeichnung gilt. Daher auch der Titel unseres Buches «Der Sommer, in dem ich Schwarz wurde».

Reinhold Hönle

Angélique Beldner wurde am 8. Januar 1976 in Bern geboren. Ihre Schweizer Mutter ist Lehrerin, ihr leiblicher Vater Informatiker aus Paris, ursprünglich aus dem westafrikanischen Benin. Die Eltern trennten sich vor ihrer Geburt, die Tochter wuchs bis zum Kindergartenalter in Frutigen und danach in der Umgebung von Bern auf. Sie machte eine Lehre als Typografin, besuchte die Schauspielschule und sammelte ab 1999 bei Radio Förderband, SRF Virus und Canal 3 journalistische Erfahrungen, ehe sie 2008 zum Radio und dann zum Fernsehen SRF wechselte. Sie hat zudem einen Master of Advanced Studies in Communication Management and Leadership. Beldner ist Redaktorin und Moderatorin der Tagesschau und präsentiert seit drei Jahren montags auch das Quiz «1 gegen 100». Sie ist verheiratet, hat zwei Söhne und pendelt zwischen Bern und Zürich. 2021 schrieb Beldner mit Schriftsteller Martin R. Dean «Der Sommer, in dem ich Schwarz wurde».

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