BAP-Sänger und Songschreiber Wolfgang Niedecken liest und singt Bob Dylan sowie eigene Werke – ein poetisch-musikalischer Abend der besonderen Art in der Mühle Hunziken.
Wissen Sie noch, wo Sie waren, als Sie hörten, dass Bob Dylan den Literatur-Nobelpreis 2016 erhält?
Ja. Ganz genau. Bei mir zuhause am Frühstückstisch.
Haben Sie gejubelt, als ob der 1. FC Köln ein Tor geschossen hat?
Nein, dann juble ich anders (lacht)! Zuerst war ich überrascht, weil er ja schon ewig in der Lostrommel war und ich gedacht hatte, er würde ihn nie kriegen. Dann hab mich natürlich gefreut und gleichzeitig gewusst, dass das Telefon nicht mehr stillstehen würde, da bekannt ist, dass ich ihn sehr verehre. Das Erste, was ich Ihren Journalisten-Kollegen gesagt habe, war: «Selbst, wenn Dylan nur ‹A Hard Rain’s A-Gonna Fall› geschrieben hätte, wäre ihm der Nobelpreis schon längst zugestanden!» Das ist natürlich ein bisschen übertrieben, aber ich stehe mit dieser Meinung nicht allein…
An wen denken Sie?
Allen Ginsberg, der grosse Beat-Poet, hat mal in einem Interview gesagt, er hätte geweint, als er diesen Song das erste Mal gehört hätte. Weil er merkte, dass er auch von den Jüngeren verstanden wurde und den Staffelstab weitergeben konnte.
Glauben Sie, dass Sie sich mehr über die Ehrung gefreut haben als Dylan selbst?
Nein, ich denke schon, dass er sich sehr gefreut hat. Das merkt man ja auch seinem schmalen Buch «Die Nobelpreis-Vorlesung» an. Es ist kein Jubilieren, er hat das sehr bescheiden aufgenommen. Er hat sich nicht mit den anderen grossen amerikanischen Schriftstellern verglichen, die den Nobelpreis gekriegt haben. Er konnte es eigentlich gar nicht fassen, dass er mit ihnen in einer Reihe stand.
Wie stimmig war es in Ihren Augen, dass er ihn nicht persönlich entgegengenommen hat?
Ich habe ihn zwei Mal getroffen, wenn auch nicht lange, und dabei den Eindruck bekommen, dass er ein schüchterner Mensch ist. Ihm liegt diese Art öffentlicher Auftritte nicht. Da weiss er nicht, wie es sich verhalten soll. Ein schönes Beispiel fndet man auch auf YouTube. Da jemand Barack Obama gesteckt haben dürfte, dass man Dylan besser nicht die Hand schüttelt, hat er ihm den höchsten amerikanischen Kulturorden einfach umgehängt und ihm die Schulter getätschelt. Und war macht Bob Dylan? Er tätschelt zurück (lacht).
Wie waren Ihre Begegnungen?
Ich habe Dylan nichtsahnend die Hand geschüttelt – und er hatte einen ganz schlaffen Händedruck. Da dachte ich: Hoffentlich habe ich ihm jetzt nicht die Hand gebrochen (lacht)! Aber der Mann ruht in sich wie ein Berg. In einem frühen Song singt er: «I’m a poet and I know it, hope I don’t blow it.» Als Liedermacher kann ich diese Haltung sehr gut nachvollziehen.
Wenn man einem Idol begegnet, fürchtet man immer auch, enttäuscht zu werden. Wie ist das Ihnen sonst ergangen?
Ich hatte eigentlich immer Glück mit meinen Helden. Von Jagger über Keith Richards, Bruce Springsteen bis Ray Davies. Ausser bei Chuck Berry, aber da wusste jeder, dass er ein Ekelpaket war. Bei Dylan proftierte ich davon, dass mich mein Kumpel Wim Wenders bei ihm eingeführt hat. Sie sind alte Freunde. Nervös war ich nur zweimal: Bei Bluesrocker Rory Gallagher brachte ich bei unserer Session gerade noch mit Ach und Krach einen G-Dur-Akkord hin. Und als ich auf der FC-Tribüne zum ersten Mal neben dem legendären Hans Schäfer sass, der mit Köln zwei Meisterschaften und mit Deutschland 1954 in Bern den Weltmeistertitel geholt hatte.
Wann und wie ist Dylan in Ihr Leben getreten?
Ich habe ihn zunächst überhört, weil ich dachte, «Blowin’ In The Wind» wäre im Original von Peter, Paul & Mary – und mit denen konnte ich gar nichts anfangen. Erst als uns der Sänger der Schülerband, in der ich Bass spielte, bei seinem Ausstieg zum Abschied die Single «Like A Rolling Stone» mitbrachte, schlug Dylan bei mir wie ein Blitz ein. Ich denke, er hat viele Menschen angefxt, sich kulturell zu bilden. Was habe ich nicht alles gelesen, weil es in einem Dylan-Song vorkam (lacht)! Die Begeisterung für John Steinbeck und Joseph Conrad ist auch in «Verdamp lang her» dokumentiert.
Nun sind Sie mit «Niedecken liest und singt Bob Dylan» unterwegs. Wie sieht der Abend aus?
Ich lese aus dem Buch («Wolfgang Niedecken über Bob Dylan»), das ich für die KiWi-Serie geschrieben habe, in der Künstler auf sehr subjektive Weise über die Musiker schreiben, die sie am meisten beeindrucken. Es handelt von den Erlebnissen auf einer Reise durch die USA auf den Spuren von Bob Dylan für einen ARTE-Dokumentarflm.
Und wie spielt die Musik hinein?
Die einzelnen Passagen führen auf einen Song zu, den ich zusammen mit meinem Pianisten Mike Herting interpretiere. Wobei man immer gespannt sein darf, ob er von BAP oder Dylan und auf Englisch oder Kölsch gesungen ist. Manchmal ändere ich sogar mittendrin die Sprache. Die Abende sind kurzweilig und je länger wir auf Tour sind, umso mehr Geschichten füge ich aus der Hüfte geschossen hinzu. Ich muss aufpassen, dass wir die Zweieinhalb-Stunden-Grenze nicht noch knacken.
Das ist doch nicht lang! Ich kann mich an BAP-Konzerte in der Schweiz erinnern, die fast vier Stunden dauerten …
Das kann gut sein. Die vier Stunden acht Minuten im Kölner Sartory sind jedoch unübertroffen (lacht).
Wie kam es dazu, dass Sie 2019 mit Pippo Pollina auftraten?
Wir haben uns über Wolfgang Schmidbauer und Martin Kälberer kennengelernt, mit denen er das Projekt Süden hat. Er ist ein lieber Mensch und ein toller Künstler. Wir waren sogar schon zusammen auf Kreta.
Wie manifestiert sich Ihre Beziehung zur Schweiz sonst noch?
Ich bin unglaublich gern in der Schweiz. Zum Skifahren waren wir oft im Wallis. Ich mag die Natur, das Entspannte. Es ist immer ein tiefes Luftholen. Vielleicht mache ich angesichts von Corona statt in Griechenland wieder mal bei euch in den Bergen Urlaub.
Reinhold Hönle