Jael Kluka 02 Neu

«Ich fühlte mich schon immer wie ein IiTii»

Die Berner Popsängerin verarbeitet auf dem Album «Midlife» ihre erste Lebenshälfte und hat sich mit Ex-Lunik-Partner Luk Zimmermann versöhnt.

Weshalb nennen Sie Ihr neues ­Album «Midlife» und nicht «Mid­life-­Crisis»?
Für mich sind diese Songs eine Revue der ersten Hälfte meines Lebens. Das Ergebnis meiner Standortbestimmung ist, dass ich das Dasein in meinem kleinen Universum grundsätzlich als immer schöner empfinde. Es gab in diesen 43 Jahren sehr viele Tiefs und viel Trauer, aber es ist kein Rückblick in einer Krise, sondern ein hoffnungsvoller Ausblick in die Zukunft. Die Pandemie war zwar eine schwierige Zeit, doch sie bot auch Raum, um über mich nachzudenken, weil mir als Musikerin nicht viel anderes übrigblieb, als mich zuhause zu verschanzen und Lieder zu schreiben.

Wann fühlen Sie sich auf der Erde so fremd wie ein E.T. und wünschen sich, dass ein Ufo Sie wieder abholt?
Das Gefühl, auf dem falschen Planeten zu sein, hatte ich schon immer, früher konnte ich damit aber weniger gut umgehen, weil ich die Ursache nicht kannte. Inzwischen weiss ich, dass es an meiner Hochsensibilität liegt, wenn ich es an einer Smalltalk-Party nicht aushalte und davonlaufe. Früher verstand ich mich selbst nicht und war damit konfrontiert, dass mich manche Leute deswegen für arrogant hielten.

Weshalb ist gerade «IiTii» das ­erste Mundartlied für Erwachsene, das Sie veröffentlichen?
Nachdem sich Lunik vor zehn Jahren aufgelöst hatten, habe ich dieses Lied neben zwei, drei anderen geschrieben, als ich mir überlegte, mein erstes Soloalbum auf Mundart zu machen. Diese Idee starb aber sehr bald, weil ich nicht weiterkam und einen englischen Produzenten fand. So habe ich diese Lieder zur Seite gelegt. Erst die Teilnahme an «Sing meinen Song» und meine «Sensibeli»-Lieder haben in mir wieder die Lust geweckt, etwas auf Mundart zu machen. Ich war sogar bei Dodo im Studio, der mir Inputs für den Text gegeben hat. Nun passt «IiTii» wunderbar auf «Midlife».

Gründet auch «Anyone But Us» in der ferneren Vergangenheit?
Nein, dieser Song entstand, als ich mich mit meinem «Schreibaby» sehr allein gelassen fühlte – auch von meinem Partner, der ähnlich hilflos war. Das rüttelte so an unserer Beziehung, dass ich mich fragte, ob sie es überstehen wird. Der Lockdown kam da zur richtigen Zeit, als wir beide zu Hause arbeiten mussten und sehr viel Zeit hatten, um zu dritt wieder zusammenzufinden.

Die meisten Menschen hätten dieses Lied wohl in der Schublade verschwinden lassen …
Ich hatte schon auch Bedenken, ob ich es veröffentlichen soll, fand es aber richtig, es nicht zu zensieren, weil es von einer schwierigen Zeit erzählt. Ausserdem sind wir wieder ein glückliches Paar. Sonst hätten wir sicher kein zweites Kind gewollt.

In «Only Human» thematisieren Sie den schwierigen Start, den Sie mit Ihrem Sohn hatten. Was war für Sie am schlimmsten?
Ich entdeckte eine Seite an mir, die ich nicht kannte. Eine sehr wütende Seite. Ich war nicht die geduldige Mutter, die ich sein wollte. Ich habe mich sehr lange zur Schnecke gemacht, weil ich glaubte, alle anderen würden mit einem schreienden Kind, das sich nicht beruhigen lässt, umgehen können – ausser mir. Erst nach sehr viel Lektüre und Weiterbildung verstand ich, dass mein Verhalten hormonell gesteuert war. Ich bin eben auch nur ein Mensch. Es war aber auch etwas naiv von mir zu glauben, ich könne mich auf alles vorbereiten, was das Leben mit einem Baby mir bescheren würde.

Wie hat es sich angefühlt, als Sie erstmals seit zehn Jahren wieder einen Song mit Luk Zimmermann schrieben?
Verrückt! Als ich mich hinsetzte und seine Musik hörte, war das wie nach Hause zu kommen. Ich dachte: Das kenne ich und das kann ich. Es fiel mir sehr leicht, den Text zu schreiben.

Welche Erinnerungen hat diese Zusammenarbeit geweckt?
Ich war 18, als ich mit Luk Songs zu schreiben begann, in einer Zeit sehr starker Veränderungen. Durch die Loslösung vom Elternhaus und den Erfolg mit Lunik, der mich völlig überfordert hat. Wie wundervoll, aber auch schmerzhaft es war, wieder zusammenzuarbeiten, versuchte ich in diesem Lied auszudrücken. Einerseits holt mich seine Musik an einem Ort tief in mir drinnen ab, andererseits spüre ich dabei aber auch den Sog in ein tiefes schwarzes Loch.

Waren Sie und Luk noch in Kontakt?
Wir haben uns nie gesehen, nie gesprochen. Es gab ab und zu einen kurzen und sachlichen Email-Verkehr, weil wir beim selben Verlag waren. Weil uns auch eine Liebesgeschichte verbindet, die leider sehr unglücklich geendet hatte, war es wichtig, dass wir uns gegenseitig eine Weile in Ruhe liessen. Nun, da viel Zeit verstrichen ist und jeder sein Daheim und seine Familie hat, waren wir bereit, musikalisch wieder aufeinander zuzugehen.

Kann da noch mehr draus werden? Schliesslich ist «To Miss You» eines der hitverdächtigsten Lieder.
Die Zusammenarbeit hat sehr gut funktioniert. Wir haben auch noch einen weiteren Song geschrieben. Ausserdem gingen wir während der Pandemie mit allen Lunik-Mitgliedern an der Aare grillieren. Die Versöhnung mit den Menschen, die mich in so vielen wichtigen Momenten meines Lebens begleitet haben, bedeutet mir sehr viel.

Reinhold Hönle

Jaël wurde am 19. August 1979 als Rahel Krebs in Bern geboren. Als Sängerin und Texterin prägte sie mit Gitarrist und Komponist Luk Zimmermann 1998 bis 2013 die Songs von Lunik, einer der erfolgreichsten englischsprachigen Schweizer Popbands ihrer Generation. Sie hatten drei Nr.1-­Alben und schufen Ohrwürmer wie «The Most Beautiful Song» und «Little Bit». Jaëls Gesang und ihre melancholischen Balladen sind auch auf ihrem fünften Soloalbum «Midlife» (ab 31.3. im Handel) unverwechselbar. Sie und Ehemann Roger haben einen Sohn (5) und eine Tochter (7 Monate).


Konzerte in Bern
5.5. Wohlen bei Bern, Biohof Schüpfenried

6.5. Münchenbuchsee, Bären Buchsi
10. & 11.6. La Cappella, Bern 16.7. Gurten-Festival, Bern
27.8. Mühle Hunziken, Rubigen

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