Vor vier Jahren stand Birgit Steinegger als Herzogin in der Oper «La fille du Régiment» von Gaetano Donizetti auf der Bühne des Opernhaus Zürich. Nun tritt die beliebte Schauspielerin in der populären Operette «Die Fledermaus» von Johann Strauss an den Murten Classics auf.
Die gebürtige Bernerin, die Ende Jahr ihren – man glaubt es kaum – 73. Geburtstag feiert, spricht im Interview über klassische Musik im Allgemeinen, ihr schreckliches Lampenfieber und wie sie als Künstlerin die Corona-Pandemie erlebt hat.
Sie lernten früh Geige und Klavier spielen. Nach verschiedenen Auftritten, unter anderem in Musicals und 2017 in einer Sprechrolle am Opernhaus Zürich, kann man Sie jetzt an den Murten Classics erleben. Ist die klassische Musik ein ständiger Begleiter in Ihrem Leben?
Sehr sogar und das schon lange. Ich begann mit fünf Jahren Geige zu spielen, damals bei Theo Hug im Konsi Bern, später bei Ulrich Lehmann. Klavierunterricht erhielt ich unter anderem bei Albert Schneeberger. Im Stadtorchester Burgdorf, aber auch bei der Jeunesse musicale und im Orchester des Seminars Marzili Bern spielte ich lange Zeit mit. Das letzte Mal öffentlich im Berner Münster mit dem «Dettinger Te Deum».
Liegt das Talent bei Ihnen in der Familie?
Meine schwedische Mutter hat an der königlichen Musikakademie in Stockholm Klavier, Gesang und Orgel studiert.
Zu welchen Komponisten entspannen Sie, wer stellt Sie eher auf?
Das kann ich nicht so konkret sagen, doch ich bin eine passionierte Radiohörerin von SRF 2 Kultur. Wenn Sie Namen möchten, dann zum Beispiel Werke von Bach oder Schumann. In der Klassik fühle ich mich jedenfalls aufgehoben.
Sie sind oft am Murtensee. Sind Sie regelmässiger Gast bei den Murten Classics, die 2005 an den Start gingen?
Das kann man so sagen. Es ist ein tolles Festival und die Sonnenuntergänge im idyllischen Schlosshof sind legendär.
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem bemerkenswerten Festival an verschiedenen Spielorten?
Das ist schnell erzählt, ich wurde von der Direktorin Jacqueline Keller angefragt. Ich habe auch sofort zugesagt, man kann den Machern nicht genug Steine in den Garten werfen.
Gibt es einen besonderen Bezug zur Hit-Operette von Johann Strauss?
Das nicht, es fällt mir einfach nach wie vor schwer, die turbulente Handlung in zwei Sätzen zu erzählen (lacht). Ursprünglich war ich als der Gefängniswärter Frosch vorgesehen, also vielmehr als erste weiblich besetzte Gefängniswärterin. Doch Corona hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht, szenisch aufzutreten. Darum bin ich jetzt eine Conférencière, die den Leuten erklärt, was als Nächstes passiert. Die Zusammenarbeit mit der Regie ist eng und wir haben grossen Spass.
Das Format der Operette wird zuweilen geringgeschätzt, zu Unrecht?
Unbedingt und gerade «Die Fledermaus». Denken Sie nur an die Ouvertüre und dieses vollendete Oboen-Solo. Es gibt kaum jemanden, der nicht irgendeine Melodie aus dem grossartigen Werk kennt.
In einem Interview sagten Sie einmal, dass Sie schrecklich Lampenfieber haben vor einem Auftritt. Was tun Sie dagegen?
Ich leide immer noch, das wird mich wohl ein Leben lang begleiten. Am Anfang tigere ich hinter der Bühne herum wie ein Löwe im Käfig und memoriere den Text. Wenn ich dann den ersten Schritt vors Publikum gemacht habe, ist das Gröbste überstanden (lacht).
Gibt es Tricks zur Linderung?
Es gibt eine schöne Geschichte von meinem ersten Auftritt im Opernhaus Zürich. Eine Sängerin sagte mir, sie sei so froh, dass sie singen und nicht reden müsse, Letzteres sei viel schwieriger. Das hat mir geholfen.
Auf welchen Künstler oder welche Künstlerin freuen Sie sich bei den Murten Classics 2021 besonders?
Auf all die hochkarätigen Künstlerinnen und Künstler, die unter der neuen künstlerischen Leitung von Dirigent Christoph-Mathias Mueller auftreten.
Wo findet man Birgit Steinegger eher: in der Oper, im Konzert oder in einem Musical?
Mich kann man mit all diesen Sparten begeistern.
Viele Künstlerinnen und Künstler wurden aufgrund der Pandemie bis zu 18 Monate in Zwangspause geschickt. Wie ist es Ihnen ergangen?
Es war auch für mich happig, ich musste eine ganze Tournee absagen, verschiedene Auftritte als Frau Iseli unter anderem auf einem Rheinschiff. Nun geht es wieder los, ich freue mich riesig, am 9. September ist Premiere im Zürcher Bernhard-Theater mit dem famosen Stück «Love Letters» des US-amerikanischen Dramatikers und Autors A.R. Gurney und dem wunderbaren Kollegen Alfred Pfeifer.
Viel Text …
Sehr viel Text (lacht).
Kennen Sie Kolleginnen und Kollegen, denen es richtig schlecht ging während der Krise?
Sehr viele sogar. Ich bin ja ein etwas älteres Modell, aber bei den Jungen habe ich richtig mitgelitten. Es muss schrecklich sein, wenn man am Anfang seiner Karriere steht und dann nicht auftreten kann.
Was war für Sie das Schlimmste in dieser Zeit und konnten Sie der Krise auch positive Aspekte abgewinnen?
Auf der einen Seite war dieser unheimliche Stillstand, den ich vorher noch nie erlebt habe. Das ist mir grausam eingefahren. Das unfassbare Elend. Weltweit. Auf der anderen Seite hatte diese Ruhe, wo man plötzlich verschiedenste Geräusche in der Umwelt wahrnimmt, auch etwas Meditatives, Beruhigendes.
Sie haben eine schwedische Mutter und Verwandte in Skandinavien. Waren Corona und die zurückhaltende Massnahmenpolitik von Staatsepidemiologe Anders Tegnell ein Thema?
Ich weiss, dass er gesagt hat, dass es das Wichtigste sei, zuhause zu bleiben, wenn man sich krank fühle. Und er plädierte für die Aufrechterhaltung des Schulbetriebs, weil Aktivität wichtig sei für die körperliche und seelische Gesundheit der jüngeren Generation. Ehrlich gesagt bin ich nicht auf dem neusten Stand. Aber ich bin glücklich, konnte ich letztes Jahr noch Dänemark und Schweden besuchen.
2015 gab es nach 16 Jahren die letzte Staffel «Total Birgit». Wie ist das für Sie?
Ich werde praktisch täglich auf der Strasse angesprochen und es freut mich jedes Mal sehr. Oft begrüssen mich die Leute mit ‹Frau Iseli› oder mit ‹Frau Schruppatelli›. Solche Begegnungen tun gut.
Kabarettist Marco Rima hat sich zum Thema Corona besonders weit aus dem Fenster gelehnt. Sollte das jeder dürfen, oder gibt es auch in Ihrem Metier Grenzen?
Ich kann nur so viel sagen, dass wir alle, inklusive dem Bundesrat, eine sehr unsichere Zeit erlebt haben und dass ich mich als medizinischer Laie mit Botschaften zu Corona zurückhalte.
Kommt Ihr Partner Ernest Voyame an die Vorstellung der Fledermaus?
Hier kann ich als Frau Iseli mit einem klaren «Siicher» antworten (lacht).
Peter Wäch