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«Ich musste spielen, als würde ich ein Monster sehen»

Sabine Timoteo, du hast für das Treffen mit dem Bärnerbär das Palmhaus im Botanischen Garten vorgeschlagen. Warum gerade diesen Ort?
Ihr habt mich gebeten, einen Ort vorzuschlagen, der mir in Bern etwas bedeutet. Von meinem Wohnort zum Botanischen Garten sind es gerade einmal fünf Minuten. Ich war viel mit meinen Kindern hier als sie noch klein waren. Der Vater meiner Kinder ist Peruaner. Hier im Palmhaus finden wir ein wenig die Tropen wieder. (Lacht).

Was bedeutet dir Bern ganz allgemein?
Das ist der Ort, an den ich immer wieder zurückkehre. Um wieder wegzugehen und wieder zurückzukommen. So hat sich einfach mein Leben ergeben.

Deine erste Liebe war der Tanz, nicht das Schauspiel. Gab es einen speziellen Auslöser, der dich zur Schauspielerei brachte?
Ich würde sagen, es war ein fliessender Übergang. Es geht sowohl im Tanz wie beim Schauspiel darum, Geschichten zu erzählen. Ich gelangte über den Tanz ins Filmgeschäft. Mein erster Film, in dem ich mitwirkte, war ein Dokumentarfilm über meine damalige Lehrerin und mich als Tänzerin.

Du hast für dein filmisches Schaffen bereits zahlreiche Preise gewonnen. Mehrfach den Schweizer Filmpreis, zuletzt für «Alice» aus «Driften». Was bedeuten dir solche Auszeichnungen?
Das schmeichelt natürlich dem Ego. Aber es ist nicht dank den Preisen, dass du Jobs bekommst, mehr verdienst oder besser wirst. Es ist eine Nebenerscheinung.

Aktuell spielst du in der Fantasy-Serie «Der Greif». Was hat dich an diesem Genre gereizt?
Es war für mich Neuland für einen Streamingdienst, wie in diesem Fall für Amazon, zu arbeiten. Es war mir ehrlich gesagt nicht ganz geheuer. Aber ich dachte, ich müsste das mal anschauen, mich diesem Format stellen, statt es zu verteufeln. Ich wurde für das Casting eingeladen und bekam die Rolle. Ganz klassisch.

Warum waren Streamingdienste dir nicht ganz geheuer?
Weil das Giganten sind, die am meisten Geld haben und am meisten produzieren. Ich komme vom Autorenfilm her, Geschichten werden dort ganz individuell erzählt. Ich hatte Angst, alle Amazon-Geschichten müssten gleich aussehen.

Und wie war deine Erfahrung schliesslich?
Extrem positiv. Ich habe grosse Freude an diesem Projekt. Ich durfte einmal mehr mit sehr spannenden Menschen zusammenarbeiten. Auch die Geschichte hat mich gepackt. Und die neuen Erfahrungen. Ich musste etwa spielen, ich sähe ein Monster, das physisch nicht vorhanden war. Es entsteht durch Special Effects.

Du spielst eine etwas «stiere» Mutter …
So wirkt sie zumindest gegen aussen. Sie ist gewissenhaft und glaubt nicht an die Parallelwelt, in die ihr Mann und die beiden Söhne abdriften. Sie ist diejenige, die versucht, die Familie zusammenzuhalten, sie vor dem Wahnsinn, der vom Vater an die Söhne vererbt wird, zu beschützen. Sie behält die Bodenhaftung, wenn alle abheben.

In der Serie wird ein Buch vom Vater an die Söhne weitergegeben. Es ist das Einfallstor in eine andere Welt. Kann man diese als psychische Krankheit interpretieren, die sich vererbt?
Ja, das kann man so verstehen, wenn man will. Es wird einfach auf ganz besondere Art und Weise erzählt.

Was ist anders, wenn man in einer Serie spielt, im Vergleich zu einem Spielfilm?
Der Zeitfaktor ist ganz anders. Der Dreh erstreckt sich über Monate. Die Rollenentwicklung ist anders, wenn du so viel Zeit hast. Du lebst sehr lange mit deiner Figur mit.

Konntest du dich mit dieser rationalen Mutter identifizieren?
Es gibt Seiten, mit denen ich mich identifizieren konnte, mit anderen weniger. Das macht eine Rolle letztlich spannend.

Musst du eine Figur ein wenig mögen, um sie spielen zu können?
Wenn ich eine Figur spiele, ist sie mir automatisch auch sympathisch, auch wenn sie von aussen betrachtet nicht unbedingt eine Sympathieträgerin ist.

Auf Wikipedia steht über dich, du würdest oft «Frauen, die der Welt abhandenkommen» spielen. Kannst du damit etwas anfangen?
Ich hatte das Glück, sehr unterschiedliche Rollen spielen zu können. Das Zitat trifft sicher auf einen Teil meiner Figuren zu, aber längst nicht auf alle. Ich kann mich wirklich nicht beklagen. Es wird immer spannender und ich habe immer mehr Spass an meinem Beruf.

Hast du eine spezielle Technik, um dich in deine Rollen hineinzuversetzen?
Meine Technik ist jedes Mal anders. Ich schaue, ob es etwas gibt, das ich mir aneignen oder abeignen muss. Ich versuche die Welt der Regisseurinnen und Regisseure zu verstehen.

Was viele nicht wissen: Du bist nicht nur ausgebildete Tänzerin, sondern auch gelernte Köchin …
Ja, das stimmt. Ich habe im Restaurant Harmonie in Bern eine Lehre abgeschlossen. Ich dachte ich könnte nebst dem Filmen als Aushilfe kochen. Doch ich hatte bald genügend Rollenangebote, konzentrierte mich aufs Schauspiel.

Gibt es zwischen dem Kochen und der Schauspielerei Parallelen?
Ganz bestimmt. Es gibt zu allem Parallelen, was kreativ ist. Der Mensch muss sich nähren. Geschichten erzählen ist auch eine Art von Ernährung. Man muss auch beim Schauspiel schauen: Was sind meine Zutaten? Wer ist der Gast? Und Filmen wie Kochen – beides ist Teamarbeit.

Du bist Mutter zweier Kinder und spielst jetzt eine Mutter in «Der Greif». Was für eine Mutter bist du?
Tatsächlich spiele ich plötzlich dauernd Mütter. Ich habe wohl das passende Alter und die nötigen grauen Haare dazu. (Lacht) Ich bin übrigens auch Grossmutter einer eineinhalbjährigen Enkelin. Was ich für eine Mutter bin? Da müsste man wohl meine Kinder fragen. Sicher eine, die das Beste für ihre Kinder will, wie die meisten Mütter.

Helen Lagger

PERSÖNLICH

Sabine Timoteo wurde am 25.3.1975 in Bern geboren. Sie ist ausgebildete Tänzerin, gelernte Köchin und Schauspielerin. Aktuell spielt sie in den Spielfilmen «Foudre» und «A forgotten Man», sowie in der neuen Amazon-Serie «Der Greif». Sie ist Mutter zweier Töchter und Grossmutter einer Enkelin.

FANTASY-SERIE

Die deutsche Fantasy-Serie «Der Greif» unter Regie von Sebastian Marka und Max Zähle basiert auf dem Roman von Wolfgang und Heike Hohlbein. Drei Jugendliche entdecken eine fantastische Welt, diejenige des schwarzen Turmes, in dem ein Monster, genannt «Der Greif», herrscht. Als ein Kind entführt wird, beginnt eine abenteuer­liche Rettungsaktion. Premiere: 26. Mai, 2023 auf Prime Video.

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