Titelträger Marco Gurtner moderiert den Einzelfinal der 11. Poetry Slam Schweizermeisterschaft im Stadttheater Bern. Worüber er selbst lacht und wann er auf der Bühne explodiert.
Weshalb versuchen Sie Ihren 2019 gewonnen Titel nicht zu verteidigen, obwohl Sie als Berner ein Heimspiel hätten?
Ursprünglich wollte ich nochmals antreten, doch als die Schweizer Meisterschaft zweimal wegen Corona nicht stattfinden konnte, nahm ich das Angebot an, in die Organisation zu wechseln und den Final zu moderieren. Ich habe so viele andere Projekte, dass ich auch kaum mehr dazukomme, an Slams aufzutreten. Dort gibt es momentan viele jüngere und hungrigere Menschen, denen ich das Feld gerne überlasse.
Wäre das Jahr, in dem weder YB noch der SCB Meister werden, nicht die Gelegenheit gewesen, zum erfolgreichsten Berner Sportler aufzusteigen?
Da ich weder YB- noch SCB-Fan bin, hat mich das gar nicht so gekümmert. Aber es stimmt. Ich hätte ihnen richtig einen reinbremsen können, wenn ich als Thuner in Bern Meister geworden wäre. Schade! (lacht)
Was bedeutet Ihnen der sportliche Aspekt des Poetry Slam?
Weniger denn je. Wenn man jung ist, will man gewinnen und schaut, dass man immer seine besten Texte auspackt, geht kein Risiko ein, probiert nicht mal einen neuen Text aus. Das macht am Anfang auch Sinn, damit man vorne dabei ist und ein wenig bekannt wird. Jetzt trete ich vor allem wegen der Leute auf, die mit mir auftreten. Ich kann auch gut damit leben, wenn ich in der ersten Runde rausfalle und einen schönen Abend mit ein paar alten Bekannten habe.
Wie oft sind Sie angetreten, bis Sie den Titel gewonnen haben?
Als ich 2013 zum ersten Mal teilnahm, bin ich Meister in der U-20-Kategorie geworden. 2014 kam ich bei den «Grossen» ins Stechen und wurde Dritter. Da habe ich Blut geleckt, 2015 und 2017 den Final erreicht, doch 2018 musste ich ein wenig untendurch…
Erst danach haben Sie sich wieder richtig seriös vorbereitet?
(Lacht) Nein, danach war ich so locker wie noch nie! Als ich sah, dass ich in der Vorrunde auf Phibi Reichling und den amtierenden Meister Kilian Ziegler stossen würde, dachte ich: «Boah, da kommst du nirgendwohin!» Als mich die Organisatoren dann fragten, was für einen Claim sie unter meinem Foto posten sollen, antwortete ich: «Ich bin nur wegen des Gratisbiers hier.» Und dann bin ich Schweizermeister geworden.
Was unterscheidet einen Slam-Poeten von einem Komiker?
Ich denke, dass der geschriebene Text in der Slam Poetry einen höheren Stellenwert hat. Er würde bis zu einem gewissen Grad auch funktionieren, wenn man ihn nur liest. Comedy ist spontaner und mehr auf die Pointe getrimmt. Als ich mit 17 in einem Schulworkshop lernte, worum es in der Slam Poetry geht, wusste ich: «Das ist genau mein Ding!» Ich bin gerne lustig und erzähle gerne, aber vor allem liebe ich das Schreiben.
Trotzdem sind Sie auch für Ihre eruptiven Auftritte bekannt.
Ich war schon immer ein Lauter! (lacht) Als Kind habe ich sehr viele Fragen gestellt und bei Familienfesten einfach Witze erzählt, obwohl ich sie selber gar nicht verstanden, sondern nur nachgeplappert habe. Mit den Jahren bin ich ein wenig ruhiger geworden, aber sobald ich auf einer Bühne stehe, packt mich irgendwas. Dann kann ich mich nicht mehr zügeln.
Sie haben Unternehmenskommunikation studiert. Profitieren Sie davon, wenn Sie Slam-Texte machen?
In meinem Brotjob muss ich oft lange und komplizierte CorporateTexte für Websites oder Broschüren in eine kürzere, für alle verständliche Form bringen. Um Prägnanz geht es auch in der Slam Poetry, doch muss ich dabei aufpassen, dass ich nicht allzu analytisch vorgehe.
Ist Slam Poetry für Sie mehr als ein Hobby?
Von Slams alleine könnte ich nicht leben. Ich verdiene mein Geld vor allem mit Auftritten an Firmenevents, Mitgliederversammlungen und Diplomfeiern. Obwohl es sie nun schon länger gibt, geniesst die Slam Poetry immer noch den Ruf, eine neue Kunstform zu sein. Die Leute finden, sie wären keck drauf, wenn sie statt einem Comedian oder Clown einen Slam-Poeten buchen.
Worüber lachen Sie?
Als Kind habe ich über die Schmirinskis gelacht, später über Divertimento, Hazel Brugger und Lara Stoll. Auch «Giacobbo/Müller» habe ich gerne geschaut. Heute gehe ich bei Instagram oft auf die Meme-Seiten. Ich bin sehr beeindruckt, wie schnell dort aktuelle Ereignisse in ein Bild und wenige Worte verpackt werden. Da muss ich manchmal laut auflachen.
Wie würden Sie Ihr Lebensgefühl beschreiben?
Ich bin ständig auf dem Sprung. Ich habe zwar immer mit Leuten zusammengewohnt, aber diese nur sehr wenig gesehen. Aktuell habe ich meine Basis in Thun, eine kleine Wohnung in Zürich und meine Freundin in Bern. Ich bin selten länger als zwei Tage an einem Ort und habe meine Kleider so geordnet, dass ich schnell packen kann. Ich reise mit dem Zug und meinem Gravel Bike, für das ich zusätzlich ein Velo-GA habe. Durch Corona bin ich ein bisschen ruhiger geworden und habe gemerkt, dass es eigentlich ganz schön ist, mal einen Tag lang nichts zu machen…
Wie fühlen Sie sich in Bern?
Wie viele junge Thunerinnen und Thuner bin ich mit 20 nach Bern gezogen, da Thun ja viel zu klein und langweilig ist. (lacht) Weil ich damals am Literaturinstitut der Hochschule der Künste Bern in Biel studierte und am Wochenende im Mokka arbeitete oder die Familie und Freunde in Thun besuchte, habe ich allerdings vom Grossstadtleben fast nichts mitbekommen.
Nun werden Sie den Final der Schweizermeisterschaft moderieren. Haben Sie nach der Oscar-Erfahrung von Chris Rock schon genau überlegt, was Sie sagen werden?
Es gibt noch keinen Text, aber solche Sprüche wird man von mir sicher nicht hören! Es ist schon erstaunlich, dass einem Profi wie Chris Rock ein solcher Fauxpas passiert. Die absolute Stille, die danach im Saal herrschte, dieser Fremdschäm-Moment, dürfte Will Smith noch zusätzlich befeuert haben. Das entschuldigt seinen Fausthieb jedoch nicht.
Reinhold Hönle