Seit zwanzig Jahren lebt sie nun bereits in Frankfurt. Sie, das ist Elisabetta Fortunato, Bernerin mit neapolitanischen Wurzeln. Logisch, dass es im Debütroman der 50-Jährigen auch ums Fremdsein geht.
Als Italo-Bernerin Elisabetta Fortunato der Liebe wegen nach Deutschland auswanderte, weinte ihre Mut-ter. «Was isst man dort überhaupt?», fragte sie verzweifelt. Die Tochter hatte ihr Weggehen lange geheim gehalten. Ihren Mann, einen Italiener aus Frankfurt, hatte sie bei der Arbeit im Bildungswesen kennengelernt.
Heute wohnt Fortunato mit ihm und der gemeinsamen Tochter ein bisschen ausserhalb von Frankfurt. Als sie vor zwanzig Jahren auswanderte, lebte sie mitten in der Banken- und Medienstadt, die nicht unbedingt als Schönheit gilt. «Es gibt durchaus schöne Ecken und Quartiere in Frankfurt», sagt Fortunato während eines Zoom-Gesprächs.
Als neu Zugezogene schockier-te sie allerdings die in Frankfurt grassierende Ruppigkeit, etwa als sie aufs Bürgeramt anrief, um sich anzumelden und kaum gegrüsst wurde. Von ihrer Mutter bekommt sie bis heute Essenspakte, zum Beispiel mit italienischen Biscotti, zugeschickt. Solche Güetzi isst auch Giovanna Greifenstein für ihr Leben gern. Greifenstein ist die Romanheldin im kürzlich erschienen Krimi «Die List der Schildkröte: Ein Fall für Giovanna Greifenstein» (siehe Box), dem ersten Roman Fortunatos. «Ich habe in Deutschland meine Sprache gefunden», meint die studierte Romanistin. «Die vielen Diminutive im Berndeutschen – Föteli, Schätzeli etc. – sind mir heute fremd.» Als sie 2019 bei einem Kurzgeschichten-Wettbewerb zu den Siegerinnen gehörte, fasste sie den Mut, einen Roman in Angriff zu nehmen.
In ihrem Krimi verstrickt sich eine in Frankfurt lebende Italienerin in einen rätselhaften Fall rund um einen tot aufgefundenen Kunstprofessor. Blutdürstige Leserinnen und Leser dürften enttäuscht werden. «Diese Brutalität, wie man sie aus den skandinavischen Krimis kennt, ist nichts für mich.»
«Ich erfinde keine Monster»
Was Fortunato viel eher interessiert, sind das Rätsel und die Moral. «Am Ende meiner Geschichten wird die Gerechtigkeit wiederhergestellt.» Es ist Fortunatos Wunsch, dass eine Figur verständlich, die Tat nachvollziehbar ist. «Ich erfinde keine Mons-ter, sondern Personen, die man dafür bedauern kann, dass sie keinen anderen Weg als jenen, kriminell zu werden, gefunden haben.»
Fortunato selbst liest gerne die Krimis von Andrea Camilleri (1925-2019), in denen der sizilianische Commissario Montalbano Fälle löst. Oder die Romane von Gil Ribeiro, in denen ein Deutscher in Portugal ermittelt. Ähnlich wie dieser Autor verhandelt Fortunato in ihrem Roman nicht nur einen Mordfall, sondern auch das Fremdsein und das Spannungsfeld, das sich auftut, wenn man sich in einer anderen Kultur bewegt.
Das Gefühl, nicht ganz angekommen zu sein, teilt Fortunato mit ihrer Romanheldin. «Doch im Gegensatz zu ihr bin ich sehr gesetzestreu», schmunzelt die Autorin, die verrät, dass Giovanna Greifenstein Illegales tut. Die Figur ist auch eine Art Hommage an die Frauen in der Familie der Autorin. Sie bemüht gerne Sprichwörter, die Fortunato häufig aus dem Mund ihrer Grossmutter und Mutter hörte. «Non c’è due senza tre» («Aller guten Dinge sind drei») sagt sie etwa, wenn sich gute oder schlechte Dinge häufen.
«Schockverliebt» in Neapel
«Mit der Zeit haben sich die Figuren verselbstständigt», erklärt Fortunato den Schreibprozess. Das von ihr beschriebene Milieu ist hingegen von der Realität inspiriert. «Ich habe als ehemalige Schulleiterin viel Zeit in Büros, Bildungseinrichtungen oder auf Konsulaten verbracht und kann dabei aus meiner Erfahrung schöpfen.»
Giovanna Greifenstein stammt wie ihre Schöpferin aus einfachen Verhältnissen. Erst durch ihre Heirat ist die Romanfigur ins Bürgertum aufgestiegen. «Es hat mich interessiert, die Herkunft meiner Figur und wie diese damit umgeht, zum Thema zu machen.» Anlässlich ihres fünfzigsten Geburtstages reiste Fortunato mit ihrer Familie nach Neapel, um die Heimat ihrer Eltern und damit die eigenen Wurzeln kennen zu lernen. «Ich war schockverliebt. Die Menge an Schönheit und die Liebenswürdigkeit der Menschen steht in krassem Kontrast zu der durch die Mafia kaputtgemachte Basis der Stadt.»
So viel sei verraten: Fortunato schreibt weiter und lässt im nächsten Fall Giovanna Greifenstein in die dunkelsten Ecken Neapels abtauchen.
Helen Lagger