In seinem neusten Kinofilm schlüpft Joel Basman (31) in die Rolle des Ausbrecherkönigs Walter Stürm, der zwar zum Volkshelden hochstilisiert wurde, aber ein Soziopath war. Der Schauspieler verrät auch, dass er vor dem Berndeutschen einen Heidenrespekt hat.
Was macht für Sie die Faszination Stürm aus?
Er machte Sachen, die sonst niemand machte. Er nutzte jede Gelegenheit, um aus schlecht bewachten Gefängnissen auszubrechen. Er war mutig, frech und traute sich was. Er hatte das, was man im Jüdischen Chuzpe nennt. Andererseits war er ein rastloser Geist, der vor seinen Dämonen davonrannte – ein Getriebener.
Wieviel wussten Sie über ihn, bevor Sie die Rolle übernahmen?
Absolut nichts, ich hatte noch nicht mal von ihm gehört! Als das Script auf dem Tisch lag, las ich den Namen Walter Stürm zum ersten Mal. Umso vertrauter war mir dafür der Name Barbara Hug, da seine Anwältin fünfzehn Jahre im Kreis 4 in unserer Nachbarschaft gewohnt hatte (lacht)! Meine Eltern wussten aus diesem Grund sofort, wer Walter Stürm war, aber ich war erst acht Jahre alt, als der sich das Leben nahm.
Welche Anknüpfungspunkte fanden Sie in Stürms Biografie?
Seine raffinierte Art, dem Staat den Spiegel vorzuhalten – ganz ohne Gewalt – entspricht mir sehr. Er stach direkt in die Wunde, aber ohne Messer. Diese vielen kleinen Schachzüge eines Meisterdiebs haben Stil. Etwa, als er bei einem Ausbruch aus dem Gefängnis die Notiz «Bin Eier suchen gegangen» hinterlassen hat Obwohl ich mit Autos nicht viel am Hut habe, war es ein tolles Gefühl, beim Dreh mit einem Mustang aus den Achtzigerjahren rumzufahren. Grosse Maschinen faszinieren mich seit Kindertagen, egal ob Müllwagen, Bagger oder Autos mit lauter Röhre (lacht)!
Regisseur Oliver Rihs bezeichnet den Film als zugängliches Liebesdrama mit der ganzen Bandbreite an Emotionen. Lief da wirklich etwas zwischen Stürm und Hug oder handelt es sich um einen dramaturgischen Kunstgriff, welcher ihm einen zusätzlichen Reiz verleihen soll?
Sicher ist, dass die Fiktion eine gewisse Rolle spielt und man im Film immer dazu neigt, etwas zu überzeichnen. Meine Eltern meinen, es habe keine Liebesgeschichte gegeben. Spekulationen gab es sehr wohl, aber diese sind weder bestätigt noch dementiert worden. Da war wohl etwas, von dem man nicht genau weiss, was es war…
Beide wurden in ihren Familien verletzt, lernten nicht zu lieben und erfuhren auch keine Liebe. Eine sehr schwierige Ausgangslage.
Absolut! Auch die Einschätzung, ob es die Person ehrlich mit dir meint oder dich zum Narren hält, ist getrübt. Da fragt man sich: Soll ich mich einer Person öffnen, auch auf die Gefahr hin, verletzt zu werden, oder mich aus Angst vor Enttäuschung verschliessen? Die Erziehung ist da sehr prägend. Soziales Verhalten ist Stürm in der Kindheit wohl nicht vorgelebt worden, was zu seiner Soziopathie führte.
Was versteht man darunter?
Stürm wäre der ideale Sanierer einer maroden Firma, der kaltblütig dreitausend Leute entlässt und anschliessend in die Kronenhalle essen geht, gewesen. Vorher hätte er womöglich noch ein Auto geklaut, nicht, weil ihm das Geld dafür fehlte, sondern schlicht, weil sich die Gelegenheit bot. Und dabei wäre es ihm völlig egal gewesen, ob es das Lieblingsauto von jemand anderem war.
Schizophren war ja, dass er immer nach Freiheit strebte, und sich dann, wenn er sie erlangt hatte, so verhielt, dass sie ihm wieder entzogen wurde.
Das ist wie in einer ungesunden Beziehung, in der zur Normalität geworden ist, dass man sich anschreit, beleidigt und fertigmacht. Bei Stürm ist es die Reibung mit der Aussenwelt, die ihm Wärme vermittelt. Läuft die Maschine wie geschmiert, dreht er durch. Er braucht das Problem, damit er sich nicht mit sich selbst auseinandersetzen muss.
Wie schätzen Sie die aktuelle Polarisierung in unserer Gesellschaft infolge Corona und Klimawandel ein?
Der Mensch ist von der Idee besessen, die Welt in Gut und Böse einzuteilen. Die sozialen Medien befeuern die grassierende Krankheit, dass jede und jeder meint, sich öffentlich äussern zu müssen. Die freie Meinungsäusserung ist zwar ein Grundrecht, doch wir schiessen immer häufiger, bevor wir zielen. Ausserdem neigen wir immer mehr zur Überhöhung einzelner Figuren, weil wir uns besser fühlen, wenn wir uns mit ihnen identifizieren. Denzel Washington sagt in «American Gangster»: «The fucking loudest in the room is the weakest!» Das trifft den Nagel auf den Kopf, siehe Trump…
Als wegen Corona alles stillstand, haben Sie im Modeatelier Ihrer Eltern als Verkäufer ausgeholfen. Wie haben Sie diese schauspielerische Zwangspause empfunden?
Eine wichtige Erkenntnis war, dass es wenig braucht, um glücklich zu sein. Mir ist klar, dass ich das leicht sagen kann, befinde ich mich doch in einer komfortablen Position. Ich lebe alleine, habe keine Kinder und bin Alleinversorger. Aber ich verdiene auch nur dann, wenn ich drehe.
Welchen Bezug haben Sie zu Bern?
Meine Schwester hat fast zehn Jahre dort gelebt und Psychologie studiert. Ausserdem habe ich meinen ersten Kinofilm «Cannabis» in Bern gedreht.
Für die Stürm-Rolle haben Sie sich einen Ostschweizer Dialekt angeeignet. Haben Sie auch schon einmal Berndeutsch gesprochen?
Das würde ich gerne mal wagen, aber immer schön mit Respekt!
Reinhold Hönle