Johannes Hartmann und Sandro Klopfstein bringen mit «Mad Heidi» einen irren Streifen in die Kinos.
Wie kamen Sie auf die Idee, aus «Heidi» eine Heimat- und Horrorfilm-Parodie zu machen?
Johannes Hartmann: Wir fragten uns, was wir in der Schweiz drehen könnten, das sonst nirgends möglich ist. Da man oft hört, dass gewisse Filme hierzulande nicht realisierbar sind, war die Motivation gross, diesen trashigen Genremix zu versuchen. Wir kreierten dafür den Ausdruck Swissploitation, weil es sich um eine Ausbeutung («Exploitation», d. Red.) der Schweiz-Klischees handelt.
Haben Sie «Heidi» als Basis gewählt, weil die Figur international noch bekannter sein dürfte als Wilhelm Tell?
Sandro Klopfstein: Es war sicher ein Argument, das für sie sprach, weil sie hilft, auch im Ausland den Bezug zur Schweiz herzustellen. Es steckte jedoch bei weitem nicht nur kommerzielles Kalkül dahinter. Die Vorstellung von einer «Ultra-Badass-Heidi» hat uns sofort begeistert.
Hartmann: Schon bevor wir an Heidi dachten, war für uns klar, dass eine weibliche Protagonistin im Stil von Uma Thurman in Quentin Tarantinos «Kill Bill» den Männern mal zeigen sollte, wo es langgeht (lacht).
Hoffen Sie auch, dass eine Heldin mehr Frauen ins Kino locken wird?
Hartmann: Das hatten wir gehofft … die bisherigen Vorführungen haben jedoch gezeigt, dass sich fast ausschliesslich Männer für dieses Genre interessieren. Immerhin ist der Frauenanteil unter unseren 30 000 Followern auf Facebook von anfänglich zwei auf über fünf Prozent gestiegen.
Worauf haben Sie bei der internationalen Besetzung geachtet?
Hartmann: Bei Heidi war uns wichtig, dass sie keinen Schweizer Akzent hat, damit sich alle mit ihr identifizieren können. Dagegen ist es lustig, wenn Max Rüdlinger als Kommandant Knorr mit starkem Akzent spricht. Die Rolle des Präsidenten Meili, der mithilfe seines Käseimperiums wie ein faschistischer Diktator reagiert und alle laktoseintoleranten Menschen beseitigen will, hielten wir bewusst klein, um mit wenigen Drehtagen auszukommen. Nur so konnten wir uns einen etablierten amerikanischen Darsteller wie Casper Van Dien leisten.
Wie haben Sie die talentierte Newcomerin Alice Lucy gefunden?
Klopfstein: Da wir es uns nicht leisten konnten, einer Schauspielerin eine Kampfsportausbildung zu finanzieren, war es schwierig, in unserer kleinen Schweiz eine geeignete Heidi zu finden. Wir beauftragten eine Casterin in England. Sie erhielt 300 Bewerbungsvideos und traf eine Vorauswahl. Darauf machten wir Zoom-Meetings und luden unsere Favoritinnen zu einem Live-Casting ein. Alice hat sich dabei nicht nur wegen ihres schwarzen Gürtels in Taekwando durchgesetzt (lacht)!
Es ist ungewöhnlich, dass sich Regisseure ihre Arbeit teilen. Was führte bei Ihnen dazu?
Hartmann: Wir kommen beide aus dem grafischen Gewerbe und arbeiten schon seit der Gründung unserer Produktionsfirma Decoy 2010 als Team. Als uns die unbewegten Bilder langweilig wurden, begannen wir, Musikvideos und Werbefilme zu machen. Seit wir merkten, dass wir eher Künstler als Geschäftsleute sind, setzen wir nur noch auf unsere eigenen Projekte.
Bei «Mad Heidi» waren Sie sehr clever und wurden zu den weltweit ersten Filmemachern, die ein hohes Budget über Crowdinvesting finanzierten. Wie hat das funktioniert?
Klopfstein: Zuerst veröffentlichen wir ein Konzeptposter, um herauszufinden, ob an einem solchen Film überhaupt ein Interesse besteht. Dann haben wir ohne grosse Ressourcen, aber mit viel Fronarbeit einen Teaser gedreht, um damit ein Crowdfunding zu lancieren. Daraus entwickelten wir mit dem Crowdinvesting ein neues Modell, das die Investierenden nicht erst an einem möglichen Gewinn, sondern schon an den Einnahmen beteiligt.
Sind Sie vor dem Kinostart nervöser als vor der Gala-Premiere am Zurich Film Festival?
Hartmann: Nein, beim ZFF verspürten wir mehr Druck, da die Hälfte der 1300 Zuschauenden Investoren und deren Angehörige waren. Unsere grösste Angst war es deshalb, die Geldgeber zu enttäuschen, von denen die meisten Filmfans sind und das Projekt schon lange verfolgen.
Wie fielen ihre Reaktionen aus?
Hartmann: Viele Leute waren überrascht, dass es sich vielmehr um eine Parodie als einen Horrorfilm handelt. Ich habe auch nie gehört, dass jemand die Augen schliessen musste, weil die Szenen so brutal waren.
Können Sie angesichts des Ukraine-Kriegs noch über Foltermethoden wie Fondue-Boarding lachen oder Kämpfe, bei denen jede Menge Blut spritzt, das wie Tomatensauce aussieht?
Klopfstein: Die Darstellung der Brutalität ist so übertrieben, dass sie schon wieder lustig ist. Der Film hat aber eine zweite Ebene, da er auch von der Auflehnung gegen einen Diktator handelt und somit bereits wieder einen aktuellen Bezug hat.
Hartmann: Wenn man sich fragt, ob man in diesen Zeiten solche Filme machen darf, lautet meine Antwort ganz klar «Ja!», denn man sollte sich von nichts zensieren lassen.
Der Film läuft im deutschsprachigen Raum sowie in Frankreich und Spanien im Kino. Dank seiner Publikumspreise bei den Festivals von Brüssel und Triest?
Klopfstein: Die haben sicher geholfen. Anfänglich rechneten wir ja nicht einmal damit, dass unser erster Film ins Kino kommen würde, sondern gingen davon aus, dass wir ihn direkt auf unsere Onlineplattform stellen würden. Als der Schnitt fertig war, sprachen wir jedoch mit Praesens-Film, die lustigerweise auch die «Heidi»-Filme in den 1950er-Jahren produziert hat. Sie konnte sich eine Kinoauswertung vorstellen. Und nun haben wir in der Schweiz sogar einen flächendeckenden Start!
Hartmann: Im Ausland loten die Kinobetreiber das Publikumsinteresse momentan noch eher in Einzelvorstellungen aus. Dafür haben wir seit kurzem einen Nordamerika-Vertrieb.
Reinhold Hönle
Sandro Klopfstein (41, l.) und Johannes Hartmann (37) wurden in Bern geboren und besuchten beide die Schule für Gestaltung, begegneten sich aber erst bei der Party einer gemeinsamen Freundin. 2010 hatten sie von der Arbeit als Angestellte genug und machten sich selbstständig. Kurz darauf entstanden ihre Kurzfilme «Halbschlaf» und «Dreadlocked». Seit fünf Jahren arbeiten sie als Regisseure und Drehbuchautoren am Film «Mad Heidi», der ab 24. November im Kino läuft.