Die Geigerin Meret Lüthi ist Konzertmeisterin und künstlerische Leiterin beim Orchester «Les Passions de l’Âme», spezialisiert auf Alte Musik. Wenn sie spielt, steht manchmal die Zeit still.
Als Meret Lüthi ein Kind war, betrat sie das Atelier eines Geigenbauers und war von diesem Beruf sofort fasziniert. «Es hat so gut gerochen», erzählt sie lachend. Später wollte sie Geigenlehrerin werden, bis sie schliesslich erkannte: Ich will auf die Bühne. Lüthi ist Gründerin, Konzertmeisterin und künstlerische Leiterin des Orchesters «Les Passions de l’Âme». Im Alter von sieben Jahren hat sie angefangen Geige zu spielen. Was ihr an diesem Instrument so gefällt? Die Mobilität. «Du kannst tanzen dazu». Und wer wie Lüthi die erste Geige spielt, animiert das Orchester, leitet es an. «Die Figur des Dirigenten gab es in der Barockzeit noch nicht», erklärt sie. Es war der Konzertmeister, die erste Geige, die den Ton angab. Lüthi, die an der Hochschule der Künste in Bern ihr Lehr- und Konzertdiplom erlangt hat, ist dort auch als Dozentin tätig. Sie selbst wurde unter anderem von der Berner Geigerin Eva Zurbrügg gefördert. «Sie versteht es, den Menschen Flügel zu verleihen.» Lüthi lernte auf ihre Intuition zu vertrauen, ihre Fantasie klingen zu lassen.
Eintauchen in Epochen
Wenn Lüthi geigt, will sie ihrem Publikum eine Geschichte erzählen. «Alte Musik», worauf die Konzertmeisterin und ihr Orchester spezialisiert sind, mag auf manche verstaubt wirken. Gemeint ist damit lediglich «Musik aus einem historischen Kontext», wobei Lüthis Repertoire vom frühbarocken Monteverdi bis zu Beethoven reicht. Bei «Les Passions de l’Âme» kommen je nach Projekt zwischen sieben bis 40 Musiker:innen zusammen. Es sind allesamt Spezialist:innen für Alte Musik. «Ziel ist es, sich dem Klang der Uraufführung anzunähern», so Lüthi. Damit das gelingt, taucht Lüthi in die jeweilige Epoche regelrecht ein, überlegt sich, was die Menschen getragen haben, liest Traktate und tauscht sich mit Expert:innen überall auf der Welt aus, um verschiedenen Wissensspuren zu folgen. «Diese Forschungen im Vorfeld haben Einfluss auf meine Interpretation.» Am liebsten würde sie immer in die jeweilige Zeit reisen, an der sie gerade arbeitet. «Hätte ich nur einen Exklusivflug, ginge ich in eine Zeit, in der Frauen bereits eine Rolle spielten», sinniert sie im Gespräch mit dem Bärnerbär, das im Casino stattfindet. Gerne wäre Lüthi etwa bei einem Gartenkonzert, im Rahmen einer Salongesellschaft von Fanny Mendelssohn (1805 – 1847), dabei gewesen.
Von leidvoll bis glorreich
Ihr Team, das seit 15 Jahren «Les Passions de l’Âme» ausmacht, bezeichnet Lüthi als Familie. «Das Wort Leidenschaft steckt bei uns im Titel und ist Programm.» Für ihre CD «Die Rosenkranzsonaten» erhielt das Orchester kürzlich den Preis «Choc», eine Auszeichnung der französischen Fachpresse. Entlang des Rosenkranzes gibt es drei Teile in diesem Zyklus: Einen freudvollen, einen leidvollen und einen glorreichen. Die Sonaten stammen aus der Zeit der Gegenreformation, erzählen das Leben von Jesus: Verkündigung und Geburt, Passionszeit und Auferstehung. «Als reformierte, nicht praktizierende Bernerin musste ich mir einen Zugang dazu verschaffen», so Lüthi. Sie arbeitete mit einem Kunsthistoriker zusammen, um die einzelnen Szenen besser zu verstehen.
In Regensburg konnten Lüthi und ihr Orchester im Mai die Rosenkranzsonaten präsentieren. «Es war ein Marathon, da du – typisch barock – deine Geige ständig umstimmen musst», so Lüthi. Am Schluss stand ein Solostück, das dem Schutzengel gewidmet ist. «Die Zeit schien stillzustehen», so die Geigerin. In solchen Momenten ist sie sich bewusst, was ihren Beruf ausmacht. «Ich werde verführt und kann verführen.» Es gehe darum, das Timing zu bestimmen, die Akustik des Raumes miteinzubeziehen. «Du kannst entscheiden, wie lange ein Klang nachhallt.» Sie ziehe dann die Fäden, aber etwas ziehe auch ihr die Fäden. Manche würden es wohl Gott nennen.
Helen Lagger
PERSÖNLICH
Meret Lüthi, geb. am 27. Februar 1978 in Bern, hat ihr Lehr- und Konzertdiplom an der Hochschule der Künste in Bern erlangt. Lüthi ist Gründerin und künstlerische Leiterin des auf Alte Musik spezialisierten Orchesters «Les Passions de l’Âme». Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Bern.