Das Berner Puppentheater ist eine Institution. Doch mit dem Zeitgeist wandeln sich die Figuren: In der traditionellen Weihnachtsgeschichte treten etwa syrische Flüchtlinge auf. Nicht immer ist man sich einig, wie viel Political Correctness ein Stück verträgt.
Roter Plüsch und Bistrotischchen: Nein, wir sind nicht im Moulin Rouge, sondern im Berner Puppentheater, einem ehemaligen Weinkeller in der Altstadt. An der Wand hängen ein Musiker und ein Mädchen – es sind Marionetten, die dem Theater von einer Sammlerin vermacht wurden. Viele verbinden mit diesem Ort schöne Kindheitserinnerungen und erinnern sich an das Spiel von Monika Demenga und Hans Wirth, die das Puppentheater ab 1992 führten.
Wer sollte die beiden in die Jahre gekommenen Puppenspieler ersetzen können? Schliesslich sprang Frank Demenga, der jüngere Bruder von Monika Demenga, in die Bresche und übernahm 2017 mit seiner Frau Karin Wirthner die Berner Institution. «Wir sind ins kalte Wasser und auf einen bereits fahrenden Zug aufgesprungen», fasst Frank Demenga die Übernahme zusammen. Ohne Subventionen waren die neuen Betreiber auf sich selbst gestellt und mussten bei verschiedenen Stiftungen anklopfen. «Wir sind stolz, dass wir die Zuschauerzahlen halten konnten und das Niveau der Figuren gewährleistet ist.»
Frank Demenga und Karin Wirthner sind beide ausgebildete Schauspieler. Ein Grund, weshalb sie ihre Figuren auch selbst sprechen und den Text nicht ab Band laufen lassen, wie es früher üblich war.
«Meine Frau ist ein Naturtalent im Puppenbau», schwärmt Demenga. «Das Töpfern war eine verschüttete Leidenschaft von mir», erklärt Wirthner, die sich das Puppenbauen selbst angeeignet hat. Die Gesichter der Puppen fertigt sie immer zuerst aus Ton. Danach macht sie einen Gipsab-guss und giesst den Kopf schliesslich in Gummimilch. Die Hände fertigt sie aus Balsaholz, während die Kleider von einer Kostümbildnerin genäht und die Mechanik von einem Drechsler gebaut werden. Die Schwierigkeit bestehe darin, die Figur nicht eindimensional wirken zu lassen. «Niemand ist immer nur böse oder hungrig.» Ein Trick bestehe darin, das Gesicht leicht asymmetrisch zu gestalten, so dass es scheinbar verschiedene Ausdrücke annehmen kann.
Vom digitalen Zauberhelm
In der neuen, von Frank Demenga geschriebenen Weihnachtsgeschichte, die Anfang Winter 2021 Premiere haben wird, kommen syrische Flüchtlinge vor. «Ich habe viele syrische Gesichter studiert, um die Puppen zu gestalten», so Wirthner. Durch schräg abfallende Augen hat sie dem Mädchen der Familie einen leicht melancholischen Blick verpasst.
Was geht und was nicht, darüber sind sich die Puppenspieler nicht immer einig. Mit Chiara Demenga, der Nichte von Frank Demenga, gehört auch eine Vertreterin der jüngeren Generation, der Generation «woke», zum Team. Chiara Demenga, die unter anderem Design in Holland studiert hat, gibt kritisches Feedback, wenn sie das Gefühl hat, es würden Klischees reproduziert. «Warum muss die dunkelhäutige Figur fast immer gebrochen Deutsch sprechen?», hat sie etwa bemängelt. Frank Demenga kontert: «Ich liebe verschiedene Dialekte und Akzente. Es ist wichtig, damit man die einzelnen Figuren unterscheiden kann.»
Chiara Demenga stiess dazu, als Karin Wirthner sich die Schulter ausgerenkt hatte. «Sie brauchten jemanden und ich brauchte etwas zu tun», erinnert sich die Jüngste im Bund. Am Anfang half sie vor allem beim Requisitenbau mit. «Ich habe eine Libelle, die im Märchen Kalif Storch von einem Chamäleon gefressen wird, aus Metall gebastelt.»
Die böse Fee Applicatia
Im Frühling musste das Stück coronabedingt abgebrochen werden. Das ist bitter für die Crew. «Wir arbeiten jeweils ein ganzes Jahr an einer Produktion», so Frank Demenga. Proben dauern dreimal so lange wie bei einem Personentheater, da ein Spieler im Puppentheater nicht nur Darsteller, sondern auch Ton- und Lichttechniker ist. Frank Demenga schreibt Märchenadaptationen und eigene Texte für die kleine Bühne. Auf drakonische Strafen, wie sie etwa in Grimms Märchen vorkommen, wird bewusst verzichtet.
Wenn Demenga selbst schreibt, wird es gesellschaftskritisch. So hat er mit dem «Digitalen Zauberhelm» eine Parabel auf eine handysüchtige Gesellschaft geschrieben. Die böse Fee Applicatia – deren Namen sich von «App» ableitet – frisst den Kindern, die nicht mehr draussen spielen, das Spielzeug weg. Reichlich dramatisch. «Natürlich ist das eine Überhöhung. Die braucht es im Theater», meint Karin Wirthner.
Helen Lagger
Das Berner Puppentheater ist wieder offen. Den aktuellen Spielplan gibt es hier: berner-puppentheater.ch.