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Sein Plakat versetzt Bern in Vorfreude

Dem anstehenden Stadtfescht fiebert dieser Tage auch Illustrator Raphael Santschi entgegen. Sein bäriger Drahtseilakt ist das offizielle Sujet des Events – und Start einer ganzen Serie.

Ein Bär balanciert mit Einrad und Schirmchen auf einem Hochseil, gespannt zwischen Bundeshaus und Münsterturm. Diese herzige Szenerie füllt derzeit als Stadtfescht-Sujet die Plakatwände der ganzen Region. Doch für wohl kaum jemanden hatte dieses so eine lebensverändernde Wirkung wie für Raphael Santschi. Denn der Illustrator entwarf es nicht nur und gewann damit den Wettbewerb des Organisationskomitees, das Sujet war auch der Ausgangspunkt einer erfolgreichen Serie. Über 40 Grafiken aus allen Quartieren seiner Heimatstadt hat der Berner in den letzten zwei Jahren gestaltet. Inzwischen verkauft er sie im Postkarten- bis Posterformat auf der Künstlerplattform Art for you, aber auch im Handel, zum Beispiel im Chat Noir.

Sein Talent, ein Erbstück
Die reduzierten Designs treffen den Zeitgeist. «Wir leben in einer Zeit der Reizüberflutung. Da braucht man manchmal eine Pause. Deshalb versuche ich, meine Gestaltung unaufdringlich zu halten, mit kleinen Details», sagt Santschi.
Er tut sich schwer mit der Personalisierung seiner Kunst: Seine Werke sollen überzeugen, nicht sein Gesicht, findet er. Der bodenständige Berner, der sich als One-Man-Show beschreibt, zeichnet schon, seit er denken kann: «Meine erste erkennbare Zeichnung malte ich mit zwei Jahren.» Er vermutet, dass sein Talent ein Erbstück ist. «Sowohl mein Vater als auch mein Grossvater waren Hochbauzeichner. Erst vor einiger Zeit habe ich herausgefunden, dass mein Grossvater auch schon Flyer gestaltet hat.»
Trotz Talent: Von der Muse geküsst fühlt sich Santschi nicht automatisch. Er lacht: «Die Inspiration kommt meistens, wenn man es nicht erzwingt oder eigentlich andere Dinge erledigen müsste; ganz nebenbei. Wenn ich krampfhaft etwas zeichnen möchte, dann gehts nicht.» Fährt er mit dem Bus durch die Stadt oder ist bei Freunden zu Gast, kommen die Ideen geflogen. Deshalb hat der Illustrator fast immer sein Studio dabei: So nennt er liebevoll sein iPad. Ausgerüstet mit Zeichenstift und Programm kann er so schnell immer etwas zu Papier beziehungsweise aufs Display bringen. Aus den Entwürfen entstehen Grafiken, die nach Belieben vergrössert, umgestaltet oder animiert werden können. Ein grosser Vorteil gegenüber Santschis Anfängen mit Bleistift und Papier.
Zur Teilnahme am Wettbewerb fürs Stadtfescht-Sujet kam er ganz unverhofft. Ein Nachbar machte ihn auf die Ausschreibung aufmerksam. Santschi wusste schnell, das Thema Diversität farblich aufzugreifen und reichte vor fast drei Jahren gleich mehrere Vorschläge ein. Eine lange Zeit erfuhr er nicht, ob er gewonnen hatte, da das Stadtfescht mehrmals verschoben werden musste.
Sein Sieg freut ihn bis heute. «Das ist wirklich: once in a lifetime.» Warum gerade sein balancierender Bär das Rennen machte, weiss er nicht. Das Gefühl, das Plakat zum ersten Mal in der Stadt zu sehen, war unvergleichlich. «Es drückt für mich Leichtigkeit aus, erinnert an Zirkus oder eine Minia-
turwelt. Die warmen Farben, die wie Glacé in der Sonne schmelzen, geben ein Sommergefühl.»

In jeder Grafik ein Raphael
Wie bei all seinen Werken sind Santschis persönliches Erleben und seine Verbundenheit mit dem Motiv eine wichtige Quelle. «Das Stadtfescht-Plakat ist auch eine kleine Hommage an meinen Grossvater, der Regenbogenfarben über alles liebte.» So zeichnet der Illustrator die Orte stets aus seiner Perspektive: die Münsterplattform mit den Holzrössli seiner Kindheit, das Schloss Bümpliz, in dem er geheiratet hat oder auch den Zytgloggeturm, neben dem er mal wohnte. Eine Silhouette auf einem seiner Werke stellt gar seinen ältesten Sohn dar. «Einfach eine Touristenattraktion abzuzeichnen, mit der ich nichts verbinde, würde mir schwerfallen.»
Wie viele Stunden er jeweils an einer Grafik arbeitet, kann Santschi nicht sagen. «Wenn ich an etwas dran bin, spielen Zeit und Raum keine Rolle.» Es ist immer ein Prozess. So hat er auch das OK des Stadtfeschts auf Trab gehalten, indem er immer neue Feinheiten und Weiterentwicklungen einreichte. Bern hat eben einfach zu viele schöne und interessante Orte.
Am Münsterplatz gerät Santschi beispielsweise über die symmetrischen Fensterfronten ins Schwärmen. Stets merkt man den Werken diesen liebevollen Blick des Künstlers für seine Heimat an. Ein bisschen Retro, ein bisschen modern. Von seiner Kunst leben kann der Familienvater noch nicht, ist aber glücklich, sich jetzt verstärkt seiner Passion und eigenen Ideen widmen zu können.

Nun sind Genf und Basel dran
Inzwischen plant Santschi bereits weitere Motive, will beispielsweise ins Tessin reisen. «Ich werde Stadtsujets im Rahmen einer Tour de Suisse entwerfen. Schade, dass nicht jede Stadt so ein Tier hat wie Bern seinen Bären.» Zürich, Genf und Basel sind bereits gestaltet.
Doch nun steht erstmal das Stadtfescht an. Santschi freut sich sehr darauf und will es einfach nur geniessen. «Zfriede. Zäme. Feschte»,
zitiert er das Motto. «Das macht es für mich wirklich aus.»

Michèle Graf

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