Kieneratelier

Sie bemalt Panzersperren und karrt Mist nach Bern

Die Aktions- und Performancekünstlerin Barbara Kiener ist radikal in dem, was sie tut. Wir haben sie in ihrem Atelier in Interlaken besucht.

«Was soll der Mist?» Das war eine zu erwartende Reaktion eines Zuschauers, als die Aktions- und Performancekünstlerin Barbara Kiener auf dem Bundesplatz zehn Tonnen Mist karrte und diesen «zöpfelte», womit eine alte Technik gemeint ist, bei der man seinen Haufen mit der Mistgabel richtig und vor allem auch ästhetisch aufschichtet. Mit dieser vierstündigen Performance wollte die Künstlerin das gegenseitige Unverständnis zwischen Stadt- und Landbewohnern zum Thema machen. «Wenn ich eine Idee habe, bin ich wie besessen und verspüre den starken Drang, diese auch umzusetzen», sagt Kiener. Wir besuchen die Künstlerin in ihrem Atelier und Wohnhaus, der sogenannten Kulturgarage, die auch Veranstaltungsort für Kleinkunst, Lesungen und Theater ist. Eben ist Kiener zurück aus Paris gekommen. Sie wollte unbedingt das posthum umgesetzte Werk des bulgarischen Verpackungskünstlers Christo sehen: den eingepackten Triumphbogen. «Christos Werke berühren mich so stark, dass ich jedes Mal weine, wenn ich sie sehe.»

«Ich fühle mich mitschuldig»
Ortsspezifsches Schaffen ist auch in Kieners Werk von grosser Wichtigkeit. «Ich verliebe mich in einen Ort oder eine Situation und dann lege ich los.» Kieners Kompromisslosigkeit bringt ihr manchmal handfesten Ärger ein. 2019 stieg die Berner Oberländerin in Grindelwald gemeinsam mit einem kleinen Team zum Oberen Grindelwaldgletscher hoch und bemalte dort ein kleines Kioskhäuschen in knalligem Pink. Sie wollte damit auf das Schmelzen des Gletschers und auf das Nichtstun in der Klimafrage hinweisen. Sie zeigt allerdings nicht einfach mit dem Finger auf die Gesellschaft, sondern schliesst sich selbst bei ihren Aktionen stets mit ein. «Ich fühle mich mitschuldig und überlege, was das Konstruktivste wäre, um zu einer besseren Welt etwas beizutragen.» Grenzen überschreiten gehört für die Künstlerin beim Kunstmachen dazu. Für das illegale Bemalen des Häuschens bekam sie eine Bewährungsstrafe und hohe Bussen. «Es wäre wichtig gewesen, sich während dieser Frist nichts mehr zu Schulden kommen zu lassen, klar.» Doch Kiener hatte noch mehr zu sagen und schuf das Werk «Blutrotes Weiss». Sie bemalte die sogenannte Toblerone, Panzersperren in Wimmis, die während des Zweiten Weltkrieges dazu dienten, feindliche Truppen abzuhalten. Aus Rot wie Blut und Weiss wie Unschuld wurde Pink. Kiener verwandelte die Betonblöcke in ein Mahnmal und wollte dazu anregen, über die Kriegsgeschäfte der Schweiz nachzudenken. Respektlos? Kaum. Kiener hat eine Farbe gewählt, die abbaubar ist und durch Regen wieder verschwindet. «Aber ich gelte nun als Wiederholungstäterin.» Auch physische Grenzen und Ekel überwindet die Künstlerin, wenn es sein muss. Die serbische Performance-Ikone Marina Abramović, die in ihrer Arbeit weder Schmerzen noch Gefahren scheut, ist für Kiener durchaus eine Referenz. Anlässlich einer Performance im Zürcher Cabaret Voltaire gurgelte sie ihr eigenes Blut und zählte 50 Wörter auf, die ihre Mitschuld am Konsumwahn sinn zum Ausdruck brachten. Diese Aktion war die Fortsetzung einer Installation, bei der Kiener einen Weihnachtsbaum mit Kunstblut-Beuteln geschmückt hatte, mit dem sie auf die Schattenseiten des Konsums, auf Krieg, Gewalt und das Leiden von Tieren aufmerksam machte.

Regungslos auf dem Floss
Tierisches vollbrachte sie auch in Luzern. In einer Performance anlässlich des Projektes «Löwendenkmal 21» verbrachte Kiener in einem weissen Kleid, 24 Stunden regungslos auf einem Floss liegend, in dem zur Anlage gehörenden Teich. Kiener war von der Kunsthalle Luzern eingeladen worden, zur Flüchtlingsthematik eine Arbeit zu realisieren. Dass Kiener die mit dieser Performance verbundenen physischen Strapazen und die Kälte so gut überstanden hat, hat wohl auch mit ihrer Vergangenheit als Sportlerin zu tun. Kiener besuchte als 14-Jährige das Sportgymnasium und war auf dem Weg zur Prof-Slalomfahrerin, bevor sie sich ganz der Kunst zuwandte. «Es ist verrückt. Damals ging es um Hundertstelsekunden und heute mache ich etwas, das man kaum messen kann.» In ihrem Atelier malt sie grosse Acrylbilder. «Slalom fahre ich heute mit dem Pinsel», sagt sie, als wäre ihr die Analogie eben eingefallen. Malerei lässt sich im Gegensatz zu Aktionskunst verkaufen, klar. Aber Kiener sagt auch: «Malen ist für mich wie Heimkommen.» Die Berner Galerie da Mihi vertritt die Künstlerin. Hier erhielt sie 2019 ihre erste Einzelausstellung mit dem Titel «Imagination is reality». Sie thematisierte unter anderem das Phänomen der vor Corona aufs Land füchtenden Städter. Und so trafen dort unter anderem eine LED-Leuchtschrift auf einen Heuwender. Ein gekonntes Spiel mit Folklore und Klischees, mal abgründig, mal poetisch – willkommen in Kieners Universum.

Helen Lagger

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