Bühlerfavorit

Sie bringt ungemachte Betten ins Kunstmuseum

Chefkuratorin Kathleen Bühler hat das Kunstmuseum zu einem Ort gemacht an dem man internationale Kunststars hautnah erleben kann. Als die skandalumwobene Britin Tracey Emin nach Bern kam, wurde es anstrengend.

Wir marschieren durch das Kunstmuseum Bern. Chefkuratorin Kathleen Bühler bleibt bei einem Gemälde von Albert Anker stehen. Warum ausgerechnet bei diesem realistischen, für manche als wenig progressiv geltenden Maler? «Anker wird oft falsch verstanden. Er hat die Bildung – gerade auch für Mädchen – stark gefördert», so Bühler. Auf dem Gemälde von 1881, das wir uns anschauen ist Marie Anker zu sehen, die Tochter des Malers. Zielstrebig und stolz blickt sie in die Welt, eine Schultasche über der Schulter hängend. Auch Bühler ging ihren Weg konsequent. Bereits während ihres Studiums der Kunstgeschichte, Filmwissenschaft und Philosophie an der Universität Zürich, hatte sie sich ein Praktikum in der Graphischen Sammlung am Museum Reinhart in Winterthur ergattert. «Ich habe Graphiken sortiert und bin dabei jeweils fast eingeschlafen», erinnert sie sich lachend. Doch sie erhielt auch die Gelegenheit, eine erste Ausstellung zu kuratieren. «Ich präsentierte Drucke des französischen Karikaturisten Honoré Daumier und stellte fest: Bereits im 19. Jahrhundert gab es Feminismus und Wohnungsnot.» Mit Kunst, die gesellschaftspolitische Sprengkraft hat, hat Bühler sich als Kuratorin einen Namen gemacht. «Mir ist wichtig, Kunst zu zeigen, die uns hilft, unsere Zeit zu verstehen.» Ihre Doktorarbeit schrieb sie über die Experimentalfilme der Malerin und Performance-Künstlerin Carolee Schneemann (1939-2019). «Eine feministische Pionierin. Sie wurde von der Schule geworfen, weil sie es gewagt hatte, ihren damaligen Lebenspartner nackt zu malen», so Bühler. Ein Bewusstsein für Genderaspekte ist in fast allen Ausstellungen von Bühler spürbar. Woher kommt das? «Meine Mutter war alleinerziehend und ich habe früh gelernt, dass einem nichts geschenkt wird im Leben», so die Kuratorin, die gleich eine weitere Kunst-Ikone zitiert. «Die Freiheit wird einem nicht gegeben, man muss sie sich nehmen», sagte Meret Oppenheim (1913–1985), die sich gegen frauenfeindliche Klischees hatte behaupten müssen. Es ist ein offenes Geheimnis, das Kathleen Bühler ihre Haare so kurz trägt, weil sie eine grosse Bewunderung für den Stil Oppenheims hegt. «Ich habe sie nie persönlich getroffen, aber mir gefällt, dass man ihr nachsagte, dass sie für ihre spitze Zunge einen Waffenschein gebraucht hätte.»

Blinder Wiener Aktionismus

In ihrer ersten Ausstellung «Ego Documents» (2008), die sie für das Kunstmuseum Bern realisierte, beschäftigte Bühler sich mit autobiografischen Arbeiten, mit Kunstschaffenden, die ihr eigenes Leben als Material nutzen. Die in den 90erJahren berühmt gewordene Österreicherin Elke Krystufek, die mit ihren sexuell expliziten Performances als Nachfahrin der Wiener Aktionisten gilt, bekam eine Ecke zugeteilt, in der sie direkt auf die Wände malen und schreiben konnte. Die Aktion uferte aus, die Künstlerin nahm bald mehr Säle in Beschlag, bis ein Hauswart auf Bühler zukam und forderte: «Jemand muss diese Frau stoppen.» Ausserdem liess sich Krystufek über Schweizer Banken aus, was insofern ungünstig war, da das Kunstmuseum wie andere Kunstmuseen auch mit einer Schweizer Bank zusammenarbeitete. Bühler blieb gelassen, fand Lösungen die für alle Beteiligten passten und erhielt viel positive Resonanz. Mit der britischen Skandalkünstlerin Tracey Emin holte sie schliesslich einen weiteren Superstar nach Bern. Bühler zeigte 2009 unter anderem das Werk «my bed», eine Installation, die Emins zügelloses Leben gnadenlos zur Schau stellt. Das Werk besteht aus einem ungemachten Bett, aus zerwühlten Laken, gebrauchten Kondomen und Zigarettenstummeln. Ein Sammler kaufte die Installation, die in die Kunstgeschichte einging, 2014 für 3,2 Millionen. Bühler hatte das Bett in einen Gesamtzusammenhang gestellt, zeigte auch die zarten Saiten der Künstlerin, etwa deren Textilkunst und Malerei, die angesichts von Emins Popstar-Status und exzessivem Lebensstil oft in den Hintergrund gerät. Doch einfach war es nicht mit dieser Künstlerin. «Sie reiste einen Tag später an, als geplant und stand unter grossem Druck, den sie an mich weitergab.» Jede Minute fürchteten Bühler und ihr Team, die Künstlerin breche die ganze Übung ab. Eine launische Diva? «Damit wäre ich vorsichtig. Man schreibt solche Eigenschaften oft Frauen zu, ohne genauere Gründe für deren Verhalten zu kennen», winkt Bühler ab. Mit der Ausstellung «Das schwache Geschlecht» von 2013 untersuchte Bühler dann die Männlichkeit als Konstrukt. «Ich habe damit wohl einen bis heute geführten Diskurs vorweggenommen: Wann ist heute ein Mann, ein Mann?»

Helen Lagger

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