Sandra Künzi (52) ist Autorin und Performerin und mischt sich gerne in die Politik ein. Aktuell hat sie eine bissige Satire über das Verhüllungsverbot geschrieben.
Leere Pizzaschachteln liegen auf Sandra Künzis Schreibtisch. «Ich habe momentan nicht so Lust zu kochen», kommentiert sie den Stapel. «Es sieht hier richtig klischeehaft nach Autorin im Lockdown aus», lacht sie.
Künzi schreibt bissige, feministische und engagierte Texte, die sie als Poetry-Slamerin der ersten Stunde in Bern und darüber hinaus bekannt machten. Sie wohnt mit ihrem Partner, einem neunjährigen Sohn und zwei roten Katern zusammen. Einer gesellt sich zwar zum Fototermin, will aber partout nicht in die Kamera gucken.
Die bessere Performerin ist sein Frauchen. Wenn Künzi auf der Bühne steht, geht etwas ab. Sie spielt mehrere Instrumente, schlüpft in verschiedene Rollen, singt, tanzt und erzählt – je nachdem, was ihr Text ihr gerade abverlangt. Sie tritt auch mal als Geschenk verkleidet auf, wenn sie gerade über «Drogen im Advent» ein Lied anstimmt. «Ich würde mich nicht als Musikerin bezeichnen», sagt sie, auf ihre Gitarrensammlung angesprochen. Dass sie sich an verschiedene Instrumen-te wage, habe mit ihrer Punk-Attitüde zu tun, dem Willen, alles einfach einmal auszuprobieren, dem Gedanken des Do-it-yourself.
«Wir hatten genug davon»
Als Jugendliche ist Künzi in der besetzten Fabrik Wohlgroth in Zürich herumgehangen, wie sie es ausdrückt und hat dort Frauenabende mitorganisiert. «Wir hatten genug davon, dass die Performer immer nur Männer waren. Wir wollten auftreten.» Sie lud Autorinnen, Kabarettistinnen und Musikerinnen wie Milena Moser oder die Acapickels in schlecht geheizte Fabrikräumlichkeiten ein. Als sie sich in den Nuller- jahren im Tojo Theater der Berner Reitschule engagierte, stellte sie erneut fest, wie männerdominiert die Welt der Literatur und des Poetry-Slams war. Auch bei den Preisen, die vergeben wurden, gingen Frauen meist leer aus. Aus Protest gründete Künzi 2005 die Autorinnenreihe «Tittanic» mit einem doppelten «T» – für «Titten». Die heute durch das Schweizer Fernsehen weit bekannte Patty Basler trat hier noch als Unbekannte neben Spoken-Word-Künstlerinnen wie Stefanie Grob oder Arianne von Graffenried auf. «Das Tolle dabei war, dass alle gemeinsam auf der Bühne standen und man immer gemeinsam rockte.»
2007 gründete sie gemeinsam mit anderen Autorinnen unter dem Titel «Almösen» ein weiteres Kollektiv. «Der Zorn der Almösen trägt Früchte» titelte die «Berner Zeitung» 2017 rückblickend und stellte fest, dass bei bei kanto-nalen und städtischen Literaturpreisen in den letzten zehn Jahren mehr Frauen berücksichtigt wurden.
Wie passt Jus zu Punk?
Wie steht eine Frau, die Frauen sicht-bar machen will, zur Burka-Initiative? Künzi hat mit «Die Hülle. Eine Erzählung» soeben einen satirischen Essay zum Thema verfasst. «Ich habe gemischte Gefühle.»
Im Gegensatz zu manchen ihrer Mitstreiterinnen hütet sie sich davor, die Burka zu verharmlosen. «Es ärgert mich sehr, dass Konvertitinnen herbeigezogen werden, um zu beweisen, dass die Burka angeblich freiwillig getragen wird.» Für Künzi sind diese Frauen nicht relevant, da sie im Gegensatz zu ihren Geschlechtsgenossinnen in islamischen Ländern eine Wahl haben und sich für das Tragen einer Burka entscheiden, so wie andere sich für einen veganen Lebensstil. «Es gibt gute Gründe, gegen eine Ganzkörperverhüllung zu sein», ist sie überzeugt und fügt die rhetorische Frage an: «Aber gehört das in unsere Verfassung?» In der Burka sieht sie eine Projektionsfläche für Ängste und Wünsche, eine Hülle eben, die man mit allem möglichen füllen kann.
Künzi hat in Zürich, Hamburg und Bern Rechtswissenschaften studiert. Wie passt das zu Punk? «Ach, Kafka und Mani Matter haben doch auch Jus studiert», wendet sie ein. «Meine Verbindung zur Welt ist die Sprache und die kann man auch als Juristin gut gebrauchen.» Auf der Bühne stand sie schon als Kind gerne. In ihrem Dorf Schübelbach durfte Künzi in einem Schultheater die Oberärztin spielen. Wohl weil sie klein und zierlich war, lachte das Publikum schallend, als sie mit «Jetzt kommt die Oberärztin» angekündigt wurde und die Bühne betrat. Ihre Lust am Auftritt ist geblieben, jene, andere zum Lachen zu bringen, auch.
Helen Lagger