Die Berner Videokünstlerin Quynh Dong kam mit acht Jahren aus Nordvietnam in die Schweiz. Mittlerweile ist sie in vielen wichtigen Sammlungen vertreten, so auch im Kunstmuseum Bern.
Hühner aus Plastik, meditative Flötenmusik, ein kleiner Tempel und ein Tannenbaum: Die Welten, die Quynh Dong in ihren Videos erschafft, sind voller Poesie, Kitsch und Künstlichkeit. In ihrer neusten Arbeit lässt sie golden gekleidete Performerinnen und Performer in Bananenstauden agieren. Die Künstlerin selbst spricht von «Hyperrealitäten», die mit kulturellen Stereotypen spielen. Östliches trifft auf Westliches, Pop und Kommerz auf Natur. Ihre Arbeit «My Second Paradise» (2013) wurde vom Kunstmuseum Bern angekauft und ist seither Teil der Sammlung. Darin beschäftigte sich die 39-jährige Bernerin mit dem Thema Migration, das sie aus eigener Erfahrung kennt. Während eines New-York-Aufenthaltes hatte Dong zwei in Amerika lebende vietnamesische Migranten kennengelernt. In ihrem Video, das von Becketts «Warten auf Godot» inspiriert ist, warten die beiden in einem Raum, der an eine Disco der Siebzigerjahre denken lässt, auf bessere Zeiten. Dong selbst kam gemeinsam mit ihrer Mutter im Alter von acht Jahren in die Schweiz. «Meine Tante wohnte bereits in der Schweiz.» Dong ging ins Pestalozzi-Schulhaus und besuchte die sogenannte Anpassungsklasse. «Dort trafen Diplomaten- auf Migrantenkinder», erinnert sich Dong. Doch das spielte keine Rolle. «Ich wohnte mit meiner Mutter in einer Einzimmerwohnung und war an einen Geburtstag meiner türkischen Freundin eingeladen, die einen Butler hatte.» In eben jener Anpassungsklasse entdeckte eine Lehrerin Dongs Talent im gestalterischen Bereich. «Judith Bandi – man kann ihren Namen ruhig nennen – hat mich zur Kunst gebracht.» Sie schickte Dong ins damalige Creaviva im Kunstmuseum. Auch andere Lehrerinnen förderten Dong und fnanzierten ihr gar Gesangsunterricht. In ihrer Performance «Drunger U Drüber» (2012) singt die Künstlerin auf Berndeutsch sehnsüchtige Lieder im Stil von vietnamesischem Pop. Dong, die in Vietnam zuerst auf einem Bauernhof bei den Grosseltern gemeinsam mit Onkeln, Tanten und Cousins aufwuchs und später in Hongkong lebte, hat die asiatische Popkultur stark verinnerlicht. «Mein Onkel Bien mochte vietnamesische Chansons und sang viel und laut.» Auch die Ästhetik kitschiger Fotoaufnahmen fiesst in ihre Arbeit ein. «Vietnam hinkte technisch hinterher. Wir gingen immer in Fotostudios», so die Künstlerin. Dong benutzt viele verschiedene, kulturelle Codes und mixt diese wild durcheinander. «Die Interpretation ist sehr offen. In New York fand jemand, meine Arbeit sei sehr schweizerisch, in der Schweiz nimmt man oft das Asiatische wahr.»
In der Schule mit Jürg Halter
«In meiner Teenagerzeit war es schwierig», erinnert sie sich. Dong tanzte für ihr Leben gern. «Das war in meiner konservativen Erziehung nicht vorgesehen.» Sie zog aus und ging nach Biel an die Schule für Gestaltung. «Da habe ich nur noch Party gemacht», lacht sie. «In unserer Schule gab es viele lustige Charaktere.» Heute bekannte Kulturschaffende wie Jürg Halter oder Pamela Rosenkranz drückten gemeinsam mit Dong die Schulbank. Um ihre Studiengänge an der Hochschule der Künste in Bern und später in Zürich zu fnanzieren, jobbte sie an der «Front» am Bärenplatz als Kellnerin. «Gemeinsam mit der Schriftstellerin Bettina Gugger hatte ich viel Spass und erhielt ausreichend Trinkgeld», so Dong. Bereits während des Studiums erhielt sie Aufträge, um Bühnenbilder gestalten. Für eine Diplomarbeit des Bieler Opernstudios realisierte sie 2007 ein Bühnenbild zum Stück «Romeo und Julia». Sie tat, was sie bis heute in ihrer Kunst tut: Emotionen in Bilder fassen. So suchte sie nach Symbolen für abstrakte Begriffe wie Liebe oder Verwirrung und spielte mit einem Hellraumprojektor, der verschiedene Objekte wie etwa Rosenblätter in farbige Schatten verwandelte. Den Bezug zu Vietnam hat Dong behalten. Sie kennt mittlerweile die zeitgenössische Kunstszene dort und sagt: «Es herrscht ein Aufbruch wie in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg.» Das Wurzeln schlagen in der Schweiz, wo sie sich heute zugehörig fühlt, habe Zeit gebraucht. Sie vergleicht sich mit einem Baum, der warten musste, dass er gegossen wird und die Sonne scheint. «Und manchmal ist eine Schnecke oder ein Wurm vorbeigekommen», fügt sie schelmisch hinzu.
Helen Lagger