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Sie macht aus Plastik Popkultur

Tamara L. Thompson ist eine exzessive Sammlerin, die findet: Wir haben von allem zu viel. In ihrem Atelier in Rubigen kreiert sie aus weggeworfenem Plastik-Spielzeug kunterbunte Kreaturen. Diese sind Pop und politisches Statement in einem.

Ihre Karriere als Tänzerin und Model lief gut. So konnte sich Tamara L. Thompson mit gerade einmal 20 Jahren sogar ein kleines Haus am Strand von Los Angeles kaufen. Doch irgendwann hatte sie die Sinnkrise. «Ich wollte mehr vom Leben als schöne Hüllen.» Sieben Jahre hatte sie insgesamt im Ausland verbracht. In Mailand hatte sie Tanz studiert, in Japan und Los Angeles in verschiedenen Ensembles getanzt. 1996 kehrte Thompson zurück in die Schweiz und betätigte sich als Künstlerin, Performerin und Betreiberin der Mühle Hunziken in Rubigen, wo sie bis heute mit ihrer Familie lebt. Ihr Mann Thomas Burkhart ist der Sohn des 2014 verstorbenen Mühli-Pesches, der die Mühle in den Siebzigerjahren kaufte und zum legendären Konzertlokal machte. Die junge Generation hat sich mit den neuen Betreibern verstritten, wohnt aber immer noch Tür an Tür zur Mühle Hunziken. «Wie hätten wir hier wegziehen sollen?», fragt Thompson und verweist auf den Garten voller Kunst und Krempel. Im Haus befinden sich auch ihr Atelier und ein Showroom, in dem sie ihre neusten Arbeiten präsentiert. Seit 2018 widmet sie sich ganz der bildenden Kunst, setzt aus Plastikspielzeug die abgefahrensten Gesellen zusammen. «Tanzen kannst du nicht ewig», sagt sie ohne Bitterkeit. «Das war mir immer klar.» Anfangs schuf sie aus verschiedenen Materialien Voodoo-Puppen oder goss an Masken erinnernde Köpfe aus Beton. Diese sind nun im Garten platziert und scheinen sich perfekt in der Natur zu integrieren. 2000 machte Thompson beim Berner Plastiker und Kunstmaler Peter von Wattenwyl ein Praktikum. Auf einem Bild, das der Künstler für Thompson persönlich gemalt hat, tummeln sich nebst einer bunt gekleideten Frau, die man eindeutig als Thompson erkennt, Kreaturen sowie nackt oder halbnackt fischende und schmauchende Hippies. Über der Szenerie lacht eine Sonne. Von Wattenwyl hat ihr die Gesichtszüge von Thompsons Vater, einem früh verstorbenen englisch-südafrikanischem Musiker, verpasst. Es ist nur eines unter zahlreichen Gemälden und Skulpturen, die das Haus beherbergt. «Ich bin mit Kunst aufgewachsen und es ist für mich ganz natürlich, mich damit zu umgeben», führt die Künstlerin aus.

Die Liebe zum Figürlichen
Ähnlich wie von Wattenwyl hegt Thompson eine grosse Liebe zu allem Bunten und Figürlichen. Die Konzentration auf Plastikspielzeug hat sie 2017 gepackt und seither nicht mehr losgelassen. Schaufensterpuppen dienen ihr dabei als Grundlage, eine Silikonpistole benutzt sie, um die kleinen Figürchen zusammenzufügen. «Das Plastikproblem hat mich wahnsinnig beschäftigt», meint die Künstlerin auf die Frage, wie sie auf diesen Werkstoff kam. Die Folgen für Umwelt und Lebewesen, wenn Plastik verbrannt wird, sind bekannt. «Ich sammle das Spielzeug und verhelfe ihm zu einem zweiten Leben.» Schiffchen, Soldaten, Barbies, Pokémon, Shrek oder Papa Schlumpf kann man in ihren Skulpturen erkennen. Sie findet die Figuren und Objekte mal auf Flohmärkten, mal irgendwo, wo sie liegengeblieben sind. Sie passt sich dabei dem Material an, würde nie etwas kaufen, nur weil gerade noch ein Schiff irgendwo reinpassen würde. «Mir gefällt der Gedanke, dass dieses Spielzeug einst von jemandem geliebt wurde.» Die eigenen Kinder sind dem Spielalter entwachsen. Doch auch sie haben einst mit Plastik gespielt. «Es geht mir in meiner Arbeit nicht darum, Plastik zu verteufeln.» Vielmehr möchte sie ins Bewusstsein rufen, in welch einem Überfluss wir alle leben und wie Plastik uns von klein an begleitet, sozusagen vom Nuggi bis zur Schnabeltasse. Das Zeitgeschehen fliesst in Thompsons Kunst ein. Flüchtlingsdramen, unser Umgang mit Tieren, Kriege oder soziale Probleme allgemein haben sie inspiriert. Innerhalb der Figuren findet man sogenannte Mikrogeschichten. Eine besonders rührende Geschichte verbirgt sich hinter «Dignity», die hinter dem Rücken versteckt eine Flasche Prosecco in der Hand hält. Thompson hatte in der Stadt eine einstige Tänzerin, die offensichtlich alkoholkrank war, beobachtet. Die Frau tanzte mit einem roten Tutu bekleidet auf der Strasse und verdiente so ein wenig Geld. «Es war traurig, aber immerhin hat sie noch etwas gemacht, um ihre Würde zu behalten», erzählt Thompson, die ihre Figuren zuletzt im Rahmen der Endjahresausstellung Cantonale zeigen konnte. Aktuell arbeitet sie an einer neuen Serie. «Der Ausnahmezustand der letzten zwei Jahre fliesst mit ein», verrät sie. Sie braucht viel Material, ist aber alles andere als eine Materialistin. «Luxus, das ist für mich Zeit, persönliche Begegnungen und Erinnerungen. Mitnehmen kannst du nichts.»

Helen Lagger

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