Die Geschichtenerzählerin Katharina Lienhard arbeitet im Naturhistorischen Museum Bern als Vermittlerin. In
ihren Tiergeschichten schlüpft sie dabei in die unterschiedlichsten Rollen.
Wenn Katharina Lienhard sich als Elster Pica verkleidet, trägt sie ein blau schillerndes Kostüm. Sie guckt und bewegt sich tatsächlich so, dass man glauben könnte, einen Vogel vor sich zu haben. Das Tier gilt als wenig scheu und fällt durch lautes Krächzen auf. «Elster Pica ist eine pfiffige Figur, die sich manchmal selbst überschätzt», so die in Paris ausgebildete Mimin.
Seit 2010 arbeitet sie im Naturhistorischen Museum Bern als Geschichtenerzählerin und haucht dabei verschiedenen Tieren Leben ein. Im Format Familienführungen können Erwachsene und Kinder gemeinsam unterschiedliche Tiere auf spielerische Art und Weise kennenlernen. «Elster Pica ist bei uns in der Abteilung Bildung und Vermittlung so etwas wie das Maskottchen», erklärt Lienhard. Das Format Tiergeschichten sei organisch gewachsen. «Der Museumspädagoge Max-Peter Kleefeld hat es bereits vor mehr als zwanzig Jahren ins Leben gerufen.» Anfangs trat Lienhard abwechselnd und schliesslich gemeinsam mit der Figurenspielerin Maja Silberstein an Sonntagen auf. Gemeinsam entwickelten die beiden Frauen etwa eine Tier-Soap mit mehreren Episoden.
Die Biologin, das Murmeltier
Um sich in die Tiere hineinversetzen zu können, recherchiert die Mimin, beobachtet Vögel, Hasen und Igel in der Natur oder konsultiert Spezialist:innen, die im Naturhistorischen Museum arbeiten. «Ich frage etwa einen Ornithologen, wie eine Elster sich verhält.» Auch wenn Lienhard die Tiere vermenschlicht und sich im Bereich der Fantasie bewegt, ist es ihr wichtig, in ihren Geschichten auf spielerische Art und Weise Wissen zu vermitteln. Bei einem Projekt entführte sie die Besucher:innen in eine Unterwasserwelt, wobei sie mit den Gruppen in die Tiefen des Museums abtauchte und in einer stockdunklen Zone eine Führung mit Taschenlampen anbot. Den Warenlift liess sie dabei von einem Illustrator mit einem UV-Stift bemalen, so dass Meerestiere aufblitzten, wenn man diese anleuchtete. Bei einer Führung mit ihrer Chefin, der Biologin Andrea Röhrig, integrierte sie diese in ihr Spiel. Röhrig meinte zuerst: «Ich kann doch kein Murmeltier spielen.» Doch schliesslich machte die Wissenschaftlerin mit und erinnert sich bis heute gerne an das lustige Erlebnis.
«Eine gute Geschichte braucht eine Entwicklung», ist Lienhard überzeugt. Sie überlegt sich dann oft, was ein Tier besonders gut kann. «Ein Luchs hat scharfe Augen und Ohren.» So hat sie den Luchs Linux erfunden, der ein Problem mit dem Sehen hat und deshalb von seinen Geschwistern gehänselt wird. Lienhard baut Wortspiele und Reime in ihre Texte ein. So haut der Ur-ur-Grossvater von Linux nach Luxemburg ab – oder der Maulwurf rät Linux, er müsse den Menschen eine Bitte abluxen. Auch Geräusche spielen bei den Auftritten von Lienhard eine wichtige Rolle. Es klingt dann häufig so, als wäre ein Comic vertont worden.
Der Wolf, der lesen lernt
Für die Produktion «Tiergeschichten – Schwester Grimms wildes Tierleben» hat sich Lienhard von der einzigen Schwester der Gebrüder Grimm inspirieren lassen. Charlotte (1793-1833) führte mit gerade einmal fünfzehn Jahren den Haushalt der Familie, da die Mutter früh verstorben war. Dass sie, wie ihre Brüder, Geschichten sammelte, geht oft vergessen. Nun haucht Lienhard der historisch verbürgten Figur neues Leben ein, lässt sie als Erzählerin aus einer anderen Zeit wiederauferstehen. Dabei blickt sie durch ein in einer Tür angebrachtes Fenster und tritt abwechselnd als sprechendes Bild auf oder lässt vorwitzige Tiere zu Wort kommen. Etwa einen Kaugummi kauenden Hasen, einen Igel, der Bandit werden soll, oder einen hungrigen Wolf, der lesen lernt. Ein spezielles Programm erlaubt es der Darstellerin, mit Morphing zu spielen. Illustrationen von Martin Ryser lassen sich bei diesem Spezial-Effekt im Sekundentakt vom Wolf zum Hasen, zum Bären, zur Maus und wieder zurück verwandeln. Eine besondere Liebe hegt Lienhard zu Luchsen. «Es hat wohl damit zu tun, dass ich Katzen liebe. Ich lebe mit zwei Exemplaren zusammen.»
Helen Lagger