Andreafavorit1

Von der bunten Liebe zum Abstrakten und Morbiden

Künstlerin Andrea Nyffeler ist fasziniert von der Inuit-Kultur, dem Totenkult von Mexiko und der Natur. Ein Besuch in ihrem Zuhause in Rubigen.

«Fingerhut liebe ich», erklärt Andrea Nyffeler und präsentiert die hochgeschossene violette Blume, die in ihrem Garten wächst. Violett sind momentan auch Nyffelers Haare und manche ihrer Gemälde, die zunehmend ins Abstrakte abdriften. «Es ist eine logische Weiterentwicklung, wenn du malst», verrät sie. «Du musst die verschiedenen Stufen von der Figuration über die Reduktion zur Abstraktion durchlaufen, ohne eine Etappe zu überspringen.» Doch das fein Ausgearbeitete brauche sie auch. «Ich habe eine Schwäche für Bauernmalerei», lacht sie. Japanische Blüten, Rehe, aber auch Rotkehlchen mit blutender Brust oder Frauenfiguren mit einem Totenschädel anstelle eines Gesichtes – in Nyffelers figurativem Werk treffen Schönheit, Vergänglichkeit, Lieblichkeit und Grausamkeit aufeinander. Die Künstlerin hat ursprünglich eine Lehre als Restaurations-Vergolderin abgeschlossen und schliesslich an der Hochschule der Künste in Bern bildende Kunst studiert. «Das Restaurieren war die ideale Grundlage für die Malerei und hat es mir ermöglicht, an zahlreichen Projekten in Kirchen mitzuarbeiten.» Das Studieren fand sie im Anschluss daran geradezu luxuriös. «Ich war es gewohnt, auf Baugerüsten zu stehen. Nun befasste ich mich mit Kunsttheorie.»

«Nicht nur Malerei ist Kunst»

Doch sie musste sich auch behaupten, da sie als «klassische» Malerin nicht so ganz dem Zeitgeist, der Installationen, Performances und Konzeptkunst forderte, entsprach. «Nicht nur Malerei ist Kunst», schrieb ein Lehrer auf eine an sie verschickte Postkarte. Doch Nyffeler blieb der Malerei treu. Sie konnte in diversen Galerien ausstellen, gewann einen eidgenössischen Kunstpreis und hat eine feste Kundschaft, die teilweise auch direkt aus ihrem Atelier Bilder kauft. Nyffeler wohnt seit drei Jahren gemeinsam mit ihrem Mann im einstigen Haus der Bildhauerin Mariann Grunder (1926-2016) in Rubigen. Eine Handvoll der klassisch modernen Skulpturen der Vorgängerin stehen im Garten. «Ich habe das Gefühl, in diesem Haus kann gar niemand anderes als ich wohnen», so Nyffeler. Die Künstlerin kannte Mariann Grunder noch persönlich und ist überzeugt, dass es in Grunders Sinne sei, dass hier weiterhin künstlerisch gearbeitet wird. «Als ich hier einzog und das Bad Rosa strich, spürte ich eine mir wohlgesonnene Präsenz.» Kunst und Leben sind bei Nyffeler eins. Nicht nur in ihrem Atelier, auch im Haus stösst man auf zahlreiche Fundgegenstände und Erinnerungstücke: Puppenköpfe, Rehe aus Porzellan, Furbys aus den 90ern, die schwarzweisse Fotografie der einst bildhübschen Grossmutter, bunte Kissen aus Mexiko. «Ich bin viel durch die USA und Mexiko gereist», sagt die Künstlerin. «Ich liebe Farben und Mexiko hat eine Kultur, die mir nahe ist.» Bereits viele Jahre vor dem internationalen Hype schätzte Nyffeler die mexikanische Künstlerin Frida Kahlo (1907-1954).

Faszination Totenkult

«Man kann malen, was man will, als Frau sowieso», das habe sie auf diesem heute stark kommerzialisierten Werk gezogen. «Malen ist eine Freiheit, die du dir nehmen musst», ist Nyffeler überzeugt. Sie liebt Künstler, die eigene Wege gehen, etwa den belgischen Maskenmaler James Ensor (1860-1949) oder den weissrussischen Chaim Soutine (1893-1943) – beides Maler, die man weder klar einem Stil noch einer Schule zuordnen kann. Nyffelers Liebe zu den alten Meistern zeigte sich früh. «Mein Konfirmations-Bild war das Abendmahl von Leonardo da Vinci», verrät sie. Die Künstlerin ist nicht nur von dem Totenkult Mexikos, sondern auch von der Inuit-Kultur fasziniert. In zarten Aquarellen malt sie fischende und jagende Figuren oder bannt einen ornamentalen Schamanen-Mantel auf Leinwand. In ihrer Ölmalerei wird das Figurative zunehmend weniger. Auf türkisfarbigem Grund hat sie abstrahiert, aber gut erkennbar eine Chanel-Flasche festgehalten. Das kleinformatige, quadratische Bild ist so kondensiert wie Coco Chanels Kreationen: Nichts ist zu viel und doch lässt einem das Bild in Luxus schwelgen. «Meine Bilder finden ihren Platz», so Nyffeler. Manchmal brauche es ein bisschen Zeit, bis das richtige Bild zur richtigen Person komme. Spiritualität ist für Nyffeler wichtig. «Ich glaube an das Gute in den Menschen und an die heilende Kraft von Kunst.»

Helen Lagger

Weitere Beiträge

Weitere Beiträge